Wie gerne wäre Shauna dort gleich durchgeritten, hinaus aus dem Schloss. Doch die Wachen hatten den Befehl, niemanden ohne Bewilligung aus dem Schloss herauszulassen. Zum dunklen Schloss ihres Vaters kam sie höchst selten, bei offiziellen Anlässen vielleicht, wenn es darum ging, Margaret und sie vorzuführen.
Shauna spürte sehr wohl ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte, und wenn sie das Leben ihrer Mutter betrachtete und sich vorstellte, ihr eigenes könnte einmal ähnlich aussehen, dann sträubte sich alles in ihr. Sie bedauerte ihre Mutter und hätte ihr gerne irgendwie geholfen.
Je mehr sich Shauna eingeengt fühlte, desto stärker wurde ihr Wunsch, ihre Umgebung selbstständig zu entdecken. Und so sann sie darüber nach, wie sie das erreichen konnte.
9
Lady Margaret hatte von der Ankunft der zwei Fremden gehört, und sie wurde neugierig, als sie vernahm, dass diese aus Frankreich kamen.
Ronald hielt sich selten in der Villa auf. Er verbrachte seine Tage lieber auf dem Schloss oder war mit seinen Chieftains irgendwo unterwegs. Margaret wusste, dass Ronald eine Mätresse hatte, und sie war sogar froh darüber, das hielt ihn ihr vom Leibe. Doch auch Mätressen haben ihre Tage, und manchmal überkam Ronald die Hoffnung, doch noch einen Sohn zu zeugen. So hatte er Margaret ausrichten lassen, dass er mit ihr dinieren werde, gleich an diesem Abend. Sie wusste, was das bedeutete. Mit Widerwillen dachte sie an sein tierisches Verhalten, eher einem Stier vergleichbar, der eine Kuh bestieg, als einem Mann, der den Namen Gatte verdient hätte.
Margaret wusste nicht, dass Ronald einen Sohn hatte. Es war nicht einmal ein Geheimnis, doch bis zu Margaret war es all die Jahre nicht durchgedrungen. Doch etliche wussten es, vor allem die Zieheltern, der Bruder von Ronald und seine Frau, die ihn aufgenommen und dafür ihren Sohn Osgar in die Obhut des Clan-Chiefs gegeben hatten. So, wie es üblich war, um den Zusammenhalt im Clan zu stärken — oder um eben auch die eine oder andere Frucht weitergehender Beziehungen zu versorgen. Untereinander versippt, verschwägert, beinahe jeder mit jedem verwandt. Stets zerstritten, stets in Machtkämpfe verwickelt. Jeder für sich, doch immer jeder für alle und alle für einen.
Margaret hörte am Gepolter im Erdgeschoss, dass Ronald eingetroffen war, wie immer mit seinen Leibwächtern. Die hatte er stets dabei. Er fühlte sich nicht einmal auf dem eigenen Schlossareal sicher.
Dann kam er die Treppe hoch, ging auf Margaret zu. „Guten Abend, meine Teure.“ Er setzte sich an den Tisch, an dem zwei Gedecke aufgelegt waren. Er bückte sich — Margaret sah seinen Schädel kurz unter dem Tisch verschwinden — und entledigte sich seiner Stiefel. „Wie geht es dir?“, fragte er, als er wieder auftauchte, und ohne eine Antwort abzuwarten: „Wie geht es Shauna? Lernt sie eifrig?“
„Uns geht es gut“, antwortete Margaret. „Ich kann Shauna rufen lassen, dann kannst du sie selbst fragen.“
„Ja, ja.“ Er wischte mit der Hand durch die Luft.
Der Butler schenkte roten Wein ein und für Ronald zusätzlich Whisky.
„Und, wie läuft es sonst so?“, fragte Margaret.
Er erwähnte einige Belanglosigkeiten.
„Du hast anscheinend Besuch von Frankreich?“
Er schaute sie erstaunt an. „Das weißt du also auch schon?“
„Ja, ich habe davon gehört. Wer sind sie?“
„Es sind zwei Offiziere. Der eine ist Fechtlehrer, der andere so etwas wie ein Drillmeister.“
„Ich könnte eine Einladung zum Tee machen. Vielleicht wollen auch die anderen Damen die beiden kennenlernen. Es ist immer interessant, Besucher aus Frankreich anzuhören“, meinte Margaret.
Ronald runzelte die Stirn. Sie fühlte, dass er Gründe suchte, ihren Vorschlag abzulehnen. Er aß wie immer hastig, trank seinen Whisky in großen Schlucken, und als sie die Mahlzeit beendet hatten, fragte er: „Können wir jetzt gehen?“ Er tastetet nach seinen Stiefeln.
Margaret faltete ihre Serviette. „Ich meine, es wäre auch für Shauna interessant mit den Besuchern sprechen zu können. Sie trifft ja immer nur die gleichen Leute.“
Ronald wurde langsam ungeduldig. „So interessant sind die beiden auch wieder nicht.“
„Ich habe gedacht, Shauna könnte dann vielleicht ihr Französisch anwenden.“
„Die sprechen beide unsere Sprache und Englisch.“
Margaret machte keine Anstalten aufzustehen. „Und auch Französisch nehme ich an, oder?“
„Ja, ja, ja.“ Ronald hatte seine Stiefel wieder übergestülpt und war aufgestanden. „Ich will nicht, dass sie ihre Zeit mit Teetrinken vergeuden.“
Margaret sah zu ihm hoch. „Dann tun wir es für Shauna“, erwiderte sie, immer noch sitzend.
„Komm jetzt!“ Gereizt fügte er hinzu: „Dann lad sie halt ein. Aber haltet sie nicht zu lange auf!“
Margaret erhob sich langsam und beide verließen den Raum.
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