Sonne am Westufer. Fabian Holting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Holting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631798
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verheiratet. Wir haben uns an der Universität in St. Gallen kennengelernt. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und ich Innenarchitektur. Als er mit dem Studium fertig war und eine Anstellung in einer Baseler Bank angeboten bekam, heirateten wir. Ich hatte mein Studium noch nicht abgeschlossen, aber als seine Frau ging ich natürlich mit ihm nach Basel. Er ist ...«, Nicole verbesserte sich, »... er war übrigens zwei Jahre älter als ich. Ich habe dann ein halbes Jahr in einem Architekturbüro eine Schwangerschaftsvertretung übernommen. Als die Frau zurückkam, musste ich wieder gehen. Wenn ich meinen Abschluss gehabt hätte, hätte ich möglicherweise noch bleiben können. Dann wollten wir Kinder haben. Ich blieb also zu Hause, doch es wollte einfach nicht klappen. Wir probierten es zwei Jahre. Erst dachten wir, es läge am Stress, dem mein Mann beinahe ständig in der Bank ausgesetzt war. Dann ließen wir uns untersuchen. Mit mir war alles in Ordnung und ich hätte Kinder kriegen können, doch Thomas war zeugungsunfähig. Er hatte als jugendlicher Mumps, mit einigen Komplikationen, wie sich später herausstellte. Obwohl es mit dem Kinderkriegen nicht mehr klappen konnte, blieb ich dennoch zu Hause, aus lauter Bequemlichkeit. Thomas verdiente gut und wir kauften uns eine schicke Eigentumswohnung in Basel. Ich begnügte mich damit, zuerst unsere Wohnung hübsch einzurichten und dann anschließend Freunde bei der Inneneinrichtung ihrer Häuser zu beraten. Zwei Jahre später bekam Thomas dann das Angebot zum Stammsitz der Bank nach Zürich zu gehen.«

      Die Kaffees wurden gebracht. Schweigend sahen sie dabei zu, wie die Tassen auf den Tisch gestellt wurden. Es war wieder die junge Kellnerin.

      »Ecco qua.«

      »Grazie.«

      »Hört sich alles ziemlich langweilig und unspektakulär an oder?« Bessell verzog den Mund.

      »Nein, wieso?«, murmelte er.

      »Dann kauften wir ein Haus in Zürich und ich war wieder für eine Weile damit beschäftigt, alles geschmackvoll einzurichten. Thomas ließ mir dabei alle Freiheit. Vielleicht war es ihm auch egal, denn seine Arbeit schien ihn weitaus mehr zu beschäftigen, als alles andere. Als unser Haus soweit fertig und alles so eingerichtet war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, nahm ich eine ehrenamtliche Tätigkeit an. Ich las in Kindergärten Geschichten vor, dreimal die Woche, jeweils fast den ganzen Vormittag lang. Es machte mir sehr viel Freude.« Nicole sah Bessell verträumt an.

      »Hattet ihr nie darüber nachgedacht, ein Kind zu adoptieren?« Während Nicole erzählt hatte, war Bessell schon eine Weile dieser Gedanke durch den Kopf gegangen. Nicole nahm sich Zeit für die Antwort.

      »Doch, und Thomas hatte auch erst so getan, als ob er es sich vorstellen könnte. Aber je öfter ich darauf zu sprechen kam, um so mehr hatte ich den Eindruck, dass er eigentlich kein ehrliches Interesse an einer Adoption hatte. Und irgendwann sagte er es dann frei heraus.« Nicole machte ein nachdenkliches Gesicht.

      »Dann kauften wir das Haus in Gerra. Ich hatte das Gefühl, dass er mich damit ablenken wollte und es gelang ihm auch recht gut. Die gemeinsamen Aufenthalte hier am Lago Maggiore brachten uns wieder näher zusammen. Ich hatte auch den Eindruck, dass er sich insgesamt wieder mehr Zeit für mich nahm.«

      Nicole und Marco sahen zur Theke. Die ersten Abendgäste waren eingetroffen. Ein älteres Ehepaar. Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe des Kamins. Die junge Kellnerin legte noch ein Holzscheit nach. Sie schürte das Feuer. Funken sprangen knackend umher. Flammen züngelten auf.

      »Was genau hat dein Mann eigentlich bei der Bank gemacht? Nicole atmete laut aus und ihre Lippen vibrierten dabei leicht.

      »Er war in den letzten Jahren Abteilungsdirektor und betreute wohlhabende Kunden, unter anderem bei Immobilienprojekten und konservativen Geldanlagen. Viel habe ich jedoch von dem nicht verstanden, was er mir gelegentlich erzählte.« Bessell nippte an seinem Kaffee. Er war noch sehr heiß.

      »Was hatte er für Freunde?«

      »In Zürich hatte er eigentlich niemanden. Nach der Arbeit ging er ganz selten mit einem Kollegen ein Bier trinken. Ein bis zweimal im Jahr traf er sich mit Kommilitonen aus der St. Gallener Studienzeit zum Segeln.«

      »Hier am Lago Maggiore?«

      »Nein am Bodensee oder am Vierwaldstättersee, einmal auch am Genfer See.«

      »Hast du ihn mal begleitet?«

      »Wo denkst du hin, das war reine Männersache. Sie wollten unter sich bleiben.«

      »Und irgendwann habt ihr euch dann auseinandergelebt?«

      »Ja, seit etwa zwei Jahren schien er wieder fast ausschließlich für seinen Beruf zu leben. Letzten Sommer war ich sogar alleine hier. Er hatte keine Zeit, wegen der Wirtschaftskrise.« Nicole sah ihn traurig an.

      »Glaubst du, dass er eine andere Frau kennengelernt hatte?«

      »Nein, auf keinen Fall. Das wäre mir ganz sicher aufgefallen. Es schien tatsächlich die Arbeit gewesen zu sein, die ihn besonders in Anspruch genommen hatte.« Sie trank von ihrem Kaffee.

      »War er möglicherweise unter Druck geraten, weil er Fehler in der Bank gemacht hatte?«

      »Ich glaube, dafür hatte er ein zu dickes Fell. Außerdem hatte er die Fehler nicht allein gemacht. Das ganze Management der Bank war ja dafür verantwortlich, wenngleich er in seiner Position sicherlich seinen Teil dazu beigetragen hatte.«

      »Vielleicht hatte er fahrlässig das Geld seiner Kunden riskiert und einer davon hatte es ihm besonders übelgenommen?« Nicole schaute ihn ungläubig an.

      »Die Kunden, die er hatte, konnten doch den Hals nicht voll genug bekommen und wussten genau, welches Risiko sie eingingen. Außerdem hatte es gerade die reichen Kunden gar nicht so hart getroffen, wie immer behauptet wird. Einige hatten hinterher sogar noch mehr auf dem Konto. Thomas hatte mir gegenüber einmal eine Andeutung dieser Art gemacht, obwohl er gerade in den letzten beiden Jahren fast gar nicht mehr über diese Dinge mit mir gesprochen hat.«

      »Stimmt es, was Favalli sagt, dass du bei einer Scheidung möglicherweise leer ausgegangen wärst?«

      »Damit habe ich mich nicht näher beschäftigt. Ich wollte einen Schlussstrich ziehen, weil ich so nicht länger leben konnte. Er hat sich auch nicht lange dagegen gewehrt und war schließlich mit der Scheidung einverstanden.«

      »Aber irgendwie musst du dir doch Gedanken über deine Zukunft nach der Scheidung gemacht haben?« Nicole sah zur Seite und versuchte einen Blick auf die züngelnden Flammen im Kamin zu werfen, doch sie konnte nicht viel davon sehen. Es standen zu viele Tische und Stühle im Weg. Das Thema war ihr unangenehm.

      »Gut, ich bin davon ausgegangen, dass Thomas noch für meinen Unterhalt aufkommt, bis ich auf eigenen Füßen stehen würde.« Sie machte eine Gedankenpause und trank wieder von ihrem Kaffee. Dann sagte sie:

      »Ich hatte auch gehofft, dass er mir das Ferienhaus in Gerra überlässt. Nicht damit ich es zu Geld machen kann, nein ich konnte mir gut vorstellen, dort zu leben.«

      »Und hattet ihr schon darüber gesprochen, du und dein Mann?«

      »Doch, wir hatten darüber gesprochen und er hatte mir versichert alles fair abzuwickeln, obwohl wir...« Nicole zögerte und griff wieder nach ihrer Tasse. Während sie trank, blickte sie Marco über den Tassenrand an.

      »Obwohl ihr was?« Nicole setzte die Tasse ab.

      »Gütertrennung vereinbart hatten.«

      »Gab es dafür einen bestimmten Grund?«

      »Ich war sehr verliebt in unserer Anfangszeit und er auch. Sein Vater hatte ihm dazu geraten und mir war es damals egal.«

      »Warum gerade sein Vater?«

      »Ach, was weiß ich.« Sie überlegte und machte dabei eine trotzige Miene. »Ich glaube ein Freund seines Vaters wurde von seiner Frau nach der Scheidung finanziell ruiniert. Er war wohl schon vor der Hochzeit vermögend und sie hatte keinen einzigen Rappen.«

      Bessell wusste nicht, was er davon halten sollte. Auf jeden Fall hatte Favalli recht und Nicole Hengartner profitierte von dem Tod ihres Mannes. Die vereinbarte