Sonne am Westufer. Fabian Holting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Holting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631798
Скачать книгу
und gab reichlich Milch dazu. Bessell trank den Kaffee schwarz. Während Favalli seinen Kaffee mit dem Zuckerlöffel umrührte, schien er sich zu überlegen, mit welcher Frage er beginnen könnte. Dann legte er los, wieder auf Italienisch, genau wie am Vortag.

      »Signore Bessell, wir hatten gestern gar nicht über Ihren Familienstand gesprochen.« Er machte eine kurze Gedankenpause und ergänzte dann, als glaubte er, Bessell könnte ihn nicht richtig verstanden haben.

      »Ich meine, sind Sie verheiratet, geschieden oder Junggeselle?«

      Bessell nippte an seinem Kaffee. Er war vom langen Warmhalten ganz bitter geworden. Er hatte wieder auf dem Sessel gegenüber Platz genommen.

      »Ich bin verheiratet, lebe aber von meiner Frau getrennt. Wir wollen uns scheiden lassen, haben aber bisher noch keine Zeit dafür gefunden.«

      »Haben Sie Kinder?«, Favalli rührte noch immer in seiner Tasse herum.

      »Nein, sagte Bessell knapp, fast so als wäre er darüber traurig. Aber was sollte er auf diese Frage auch weiter antworten. Sich vielleicht dafür rechtfertigen?

      »Was ist Ihre Frau von Beruf?« Favalli sah Bessell vornübergebeugt sitzend über den Rand seiner Tasse an und nahm einen kleinen Schluck. Er verzog das Gesicht. Zu heiß konnte der Kaffee mit der ganzen kalten Milch darin nicht gewesen sein, denn noch bevor Bessell seine Frage beantworten konnte, bat er ihn um einen weiteren Löffel für den Zucker.

      »Sie ist Journalistin«, sagte Bessell im Stehen und reichte Favalli den Löffel.

      »Sehr interessanter Beruf. Ich wollte auch einmal Journalist werden, weil man dann viel in der Welt herumkommt, dachte ich jedenfalls. Aber dann habe ich jemanden von der Corriere del Ticino kennengelernt und was er mir erzählte, klang sehr langweilig.«

      Er hatte sich noch zwei schwach gehäufte Löffel Zucker in die Tasse gegeben und rührte wieder darin herum.

      »Wie heißt Ihre Frau?«

      »Saskia, Saskia Bessell. Sie hat meinen Namen angenommen.«

      Favalli hörte auf zu rühren und holte ein Notizbüchlein aus der Innentasche seiner Jacke. Ein kleiner Kugelschreiber steckte daran.

      »Ungewöhnlich für eine Journalistin. Ich hätte darauf gewettet, dass sie ihren Mädchennamen behalten oder sich zumindest für einen Doppelnamen entschieden hätte.«

      »Sie war noch nicht besonders bekannt, als wir heirateten und ich glaube ihr gefiel der Name Bessell besser als ihr Mädchenname. Sie hieß nämlich Schmidthuber.«

      Favalli trank seinen Kaffee in kleinen Schlucken. Dann setzte er die Tasse ab, ließ sich zurücksinken und legte das rechte über das linke Bein.

      »Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen, aber das Erste, was wir machen, ist nach einem Motiv zu suchen. Raubmord scheidet übrigens definitiv aus. Herr Hengartner hatte sein Portemonnaie mit EC- und Kreditkarten sowie über dreihundert Schweizer Franken in bar dabei. Nichts davon wurde angerührt. Der oder die Täter hatten gar nicht erst danach gesucht und sich ganz offenbar auch nicht dafür interessiert. Ach, übrigens sind wir auch Ihrem Hinweis mit dem BMW nachgegangen. Nicht, dass Sie denken, wir wären voreingenommen. Das Auto hat zwar sonst niemand gesehen und es wurde auch kein solcher Wagen in einer Radarfalle an dem Abend geblitzt, aber wir haben in Erfahrung gebracht, dass mittlerweile auch rumänische Investoren das Tessin für sich entdeckt haben. Wahrscheinlich hatte sich an dem Abend nur jemand ein potenzielles Kaufobjekt angesehen und stand ganz zufällig dort und ist dann gleich weiter gefahren.« Favalli machte eine Pause und trank wieder von seinem Kaffee. Bessell beobachtete ihn dabei und er wusste, dass das Wichtigste noch kommen würde.

      »Aber wie es aussieht, profitiert Frau Hengartner finanziell von dem Tod ihres Mannes. Sie selbst hat kein Vermögen, geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, noch hat sie reiche Eltern. Ihr Mann ist derjenige, der für ihren Wohlstand gesorgt hat. Wir wissen auch, dass er eine ganz stattliche Summe auf der hohen Kante hatte. Da die Hengartners keine Kinder haben, für deren Unterhalt gesorgt werden muss, besteht in einem solchen Fall die Gefahr, dass Frau Hengartner bei einer Scheidung ziemlich leer ausgehen könnte.« Favallis Mobiltelefon klingelte. Er ertastete es in seiner Hosentasche und holte es dann umständlich heraus.

      »Entschuldigen Sie bitte. Pronto?«

      Favalli blieb sitzen, sagte selber nichts und begleitete das Telefongespräch mit einem gelegentlichen Mmh und einem unverständlichen Grummeln. Dabei sah er verschiedene Male zu Bessell auf. Dann drückte er die Auflegetaste.

      »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei Frau Hengartner. Wie Sie sehen, hätte sie ein klassisches Motiv.«

      Bessell sah ihn verwundert an. Aus seinem Hungergefühl war mittlerweile ein leichtes Unwohlsein mit einem flauen Magen geworden.

      »Aber wir müssen noch über Ihre mögliche Rolle in der ganzen Angelegenheit sprechen. Sagen wir mal Frau Hengartner gefällt Ihnen als Frau.« Favalli klang jetzt beinahe überheblich.

      »Und wenn mit der Aussicht auf eine Beziehung mit dieser attraktiven Frau auch noch eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit dazukommen könnte, hätten dann nicht auch Sie ein Motiv für die Tat oder zumindest für die Beihilfe?« Favalli kam sich in diesem Moment sehr klug vor. Etwas eitel fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, griff nach seiner Tasse, um sie dann doch stehen zu lassen. Bessell war geschockt und wusste nicht, was er sagen sollte. Ein Gefühl der Ohnmacht stieg in ihm auf und die Erinnerung seiner ersten Begegnung mit dem Kommissar einer deutschen Mordkommission mischte sich bitter darunter. Eine unerträgliche Stille entstand, die erst durchbrochen wurde, als Favalli sich wieder zu Wort meldete.

      »Übrigens war das gerade mein Kollege Caroni am Telefon. Er hat in Erfahrung gebracht, dass Sie gestern am frühen Abend mit Frau Hengartner anscheinend sehr vertraut unten an der Hauptstraße spazieren gegangen sind. Sie hat sie vom Anleger abgeholt. Wie war übrigens Ihr Bootsausflug? Fahren Sie immer so nah am Ufer entlang, bevor Sie ihr Boot hinaus auf den See steuern?«

      Bessell stand auf und stellte seine Tasse in den Spülstein. An der Arbeitsplatte angelehnt, blieb er stehen, den Blick auf Favalli gerichtet.

      »Frau Hengartner hatte mich unten am Anleger angesprochen und war dann so freundlich mir beim Tragen zu helfen. Sie wollte einfach mit jemandem reden. Übrigens sagte sie mir, dass sie frische Luft schnappen war und mich dann oben von der Straße aus in meinem Boot gesehen hat. Es war also eine Zufallsbegegnung. Ich kann verstehen, dass das schwer zu glauben ist, aber es ist die Wahrheit.«

      »Gut, lassen wir das jetzt«, sagte Favalli wohlwollend.

      »Wenn wir nicht zu ganz neuen Erkenntnissen kommen, dann stellen Sie sich bitte darauf ein, dass wir Sie demnächst noch einmal intensiv auf dem Polizeipräsidium verhören müssen. Sie und Frau Hengartner. Wie gesagt, wir stehen mit unseren Ermittlungen noch ganz am Anfang. Uns liegt auch noch nicht der vollständige Obduktionsbericht vor.« Favalli stand auf. Er wollte sich verabschieden. Gemeinsam gingen sie zur Tür. Bessell kam sich machtlos vor, egal was er jetzt noch sagen würde. Vielleicht würde die genaue Bestimmung des Todeszeitpunktes ihn noch entlasten, schließlich war er ja fast den ganzen Abend im Restaurant in San Nazzaro gewesen. Und dann sagte er doch noch etwas und es klang sehr trotzig.

      »Übrigens hat Frau Hengartner mich gestern darum gebeten, sie heute bei einem kleinen Ausflug zu begleiten. Sie würden ja ohnehin davon erfahren, bei Ihren Verbindungen hier im Ort.« Favalli lächelte sauer und verabschiedete sich nochmals von Bessell.

      8

      Bessell saß vor seinem Laptop. Er versuchte zu schreiben, doch seine Gedanken schweiften immer wieder ab und verfingen sich in einem dichten Gewirr von Grübeleien. Es ging dabei um Verdacht, Ungerechtigkeit, Hilflosigkeit, ungeklärten Gefühlsregungen und die Frage, was mit ihm und seinem Leben veranstaltet werden könnte, wenn sich nicht bald alles aufklären würde. Als er so dasaß und auf die Buchstaben und Wörter starrte, die er nicht an diesem Morgen geschrieben hatte, spiegelte sich sein Antlitz blass auf