Sonne am Westufer. Fabian Holting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Holting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631798
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Mannes?«

      »Nein, das hätte ich gemerkt, und als ich ihm meinen Entschluss mitgeteilt habe, mich unbedingt von ihm trennen zu wollen, hätte er mir doch davon erzählt.«

      »Aber warum war er mit der Scheidung so schnell einverstanden?«

      »Weil auch er gemerkt hat, dass wir keine richtige Ehe mehr geführt haben.«

      »Über welches Vermögen reden wir überhaupt? Favalli sprach von einer stattlichen Summe, die dein Mann auf der hohen Kante hätte.«

      »Du wirst lachen, aber ich habe mich für diese Dinge nicht interessiert. Er war schließlich der Banker. Ich wusste nur, dass er gut verdiente und gelegentlich anständige Gratifikationen kassierte. Mir war auch klar, dass unser Haus in Zürich und natürlich das hier im Tessin nicht gerade billig gewesen sein konnten. Hin und wieder bekam ich mit, wie er nach gewinnbringenden Anlageformen Ausschau hielt und sie wohl auch fand. Manchmal wirkte er deswegen angespannt und nervös, aber schließlich war er der Fachmann und ich habe mir darüber keine weiteren Gedanken gemacht.«

      »Das bringt uns alles nicht recht weiter«, sagte Bessell und trank den Rest aus seiner Kaffeetasse.

      »Darum bin ich ja so beunruhigt.«

      »Gibt es ein Testament?«

      »Keine Ahnung. Um das in Erfahrung bringen zu können, muss ich zurück nach Zürich. Ich weiß sowieso nicht, wie das jetzt alles weiter geht.«

      »Erst muss wohl die Leiche deines Mannes freigegeben werden. Dann wird ein offizieller Totenschein ausgestellt. Mit dem hast du dann die Möglichkeit, die Bankkonten einzusehen, glaube ich zumindest. War dein Mann bei einem bestimmten Notar oder Rechtsanwalt?«

      »Ja, wir haben einen Rechtsanwalt.«

      »Hat er sich die Steuererklärung machen lassen?«

      »Ja, selbstverständlich.«

      »Leben die Eltern von deinem Mann noch?«

      »Seine Mutter schon, sein Vater ist vor einigen Jahren gestorben.«

      »Weiß seine Mutter bereits davon?«

      »Ich denke ja, ich hatte Thomas Bruder angerufen. Er lebt in der Nähe von Schaffhausen, wo seine Muter wohnt. Er wollte hinfahren und es ihr schonend beibringen.«

      »Wie war dein Verhältnis zu seinen Eltern?«

      »Eher reserviert, ich glaube sie hatten sich eine andere Schwiegertochter für ihren Thomas gewünscht. Thomas war ihr jüngster Sohn.«

      »Hatte er noch weitere Geschwister?«

      »Nein, nur seinen Bruder Andreas. Er ist drei Jahre älter.«

      »Wie verstehst du dich mit ihm?«

      »Sehr schlecht. Er mochte mich von Anfang an nicht und hat es mich gelegentlich auch spüren lassen.«

      »Und wie hat Thomas sich mit seinem Bruder verstanden?«

      »Gut, würde ich sagen. Sie haben sich zwar nur selten gesehen, aber häufig miteinander telefoniert.«

      »Hört sich alles ganz normal an. Hatte dein Mann Hobbys, denen er nachgegangen ist?«

      »Außer Segeln, war da eigentlich nichts. Das heißt, gelegentlich ist er zu den Heimspielen von Grasshopper Zürich gegangen.«

      »Allein?«

      »Nein, mit einem Arbeitskollegen. Manchmal hat er auch einen Freund von uns mitgenommen. Er wohnt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Baden.«

      »War er Mitglied in einem Segelverein?«

      »Nein, aber hin und wieder haben wir uns ein Segelboot geliehen und sind am Wochenende auf dem Zürichsee gesegelt.«

      »Verstehst du auch etwas vom Segeln?«

      »Nur sehr wenig. Ich war der Fockaffe.« Sie mussten beide lachen. Bessell wusste, der Fockaffe bekam Anweisungen vom Steuermann, dem Großschoter und war dazu da, Vorsegel und Spinnaker zu setzen, zu bergen und zu bedienen. Der Fockaffe auf einem Segelboot wird häufiger nass und ist viel beschäftigt. Für einen kurzen Moment stellte Bessell sich vor, wie Nicole vorne am Bug hockte, das flatternde Vorsegel vor dem Gesicht und auf neue Befehle von ihrem Mann wartete, der stolz an der Ruderpinne unter dem Großschot saß.

      »Manchmal hatte ich den Eindruck, er wäre lieber allein gesegelt, als mit mir zusammen.«

      Bessell spielte mit der leeren Kaffeetasse, bis sie ihm schließlich aus der Hand glitt und über den Rand der Untertasse auf die Tischdecke kullerte. Er fing sie wieder ein und stellte sie zurück.

      »Wenn ich das alles so höre, dann kann ich mir nicht recht vorstellen, wer deinem Mann etwas Böses gewollt haben könnte. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass er sich einen seiner Bankkunden zum Feind gemacht hat, aber ob dieser ihn deshalb gleich umbringt ...? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.« Bessell schwieg einen Moment, weil er über etwas nachzudenken schien. Nicole sah ihn erwartungsvoll an.

      »Wo wird die Beerdigung sein?« Nicole strich mit ihrem Daumen langsam über ihre Oberlippe. Sie bekam feuchte Augen und nahm sich die Serviette vom Tisch und putzte sich damit leise die Nase.

      »Ich mag gar nicht daran denken.«

      Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Zwinkerte mit den Augen, doch eine Träne fand trotzdem den Weg aus dem Augenwinkel heraus. Mit der flachen Hand rieb sie die Träne von der Wange.

      »Die Beerdigung wird ganz sicher in Schaffhausen stattfinden. Da ist er aufgewachsen, seine Mutter lebt dort und auf dem Friedhof liegt sein Vater begraben.« Bessell sah auf seine Armbanduhr. Es war Viertel nach sechs. Mittlerweile waren drei Männer und eine Frau eingetreten und hatten sich an einen Tisch ganz in ihrer Nähe gesetzt.

      »Ich glaube wir sollten zurückfahren«, sagte Bessell. »Es war gut, dass wir gesprochen haben, auch wenn ich immer noch nicht den geringsten Anhaltspunkt habe, wer deinen Mann auf dem Gewissen haben könnte. Vielleicht war es auch irgendein Verrückter, der in der Gegend umherfährt und Leute umbringt.« Bessell hatte es mit dem Verrückten nicht besonders ernst gemeint. Nicole zahlte die Rechnung. Die junge Kellnerin kassierte. Während Bessell die Jacken von der Garderobe holte, sah Nicole aus dem Fenster und betrachtete die Felsenmadonna im Schein der grellen Strahler, die der Kirche einen Teil ihres Zaubers nahmen. Sie verabschiedeten sich noch von der älteren Kellnerin, die sie in der Nähe des Ausgangs abgepasst hatte.

      »Schön, dass Sie wieder einmal da waren, und grüßen Sie Ihren Mann von mir.« Nicole lief rot an, sagte aber nichts, sondern nickte nur. Dann verließen sie das Lokal. Es war sehr kühl geworden und die Luft war feucht. In der Ferne funkelten die Lichter der Uferorte. Unter ihnen zogen die Reihen der Straßenlaternen von Locarno gelb gepunktete Linien in den Berg und in die Ebene bis hin zum Seeufer. Schweigend gingen sie an der Brüstung des Fußweges entlang. Steile Stufen führten hinunter in einen terrassierten Park, der jetzt in völliger Dunkelheit lag.

      10

      Als sie das Parkdeck erreicht hatten, suchte Nicole nach dem Parkticket und fand es schließlich in ihrer Jackentasche. Bessell half mit Kleingeld aus. Ihr Auto stand jetzt allein auf dem Parkdeck. Wie selbstverständlich betätigte Bessell die Fernöffnung des Wagens, hielt Nicole die Beifahrertür auf, ging dann um das Fahrzeug herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Ihre Wanderstiefel wollte Nicole anbehalten, so dass sie gleich losfahren konnten.

      »Ich mag die Stimmung am Abend sehr, mit den ganzen Lichtern unten am Ufer und den wenigen in den Bergen«, sagte Nicole leise, während sie mit zur Seite geneigtem Kopf aus dem Fenster der Beifahrertür sah.

      »Wenn man eine Zeit lang hinaufschaut und den Berg beobachtet, dann sieht man zuweilen noch spät abends ein Auto zu einer Stelle hinauffahren, wo ein paar mehr Lichter verraten, dass dort eine Gruppe von Häusern ist, vielleicht sogar ein kleines Dorf. Ich stelle mir die Abgeschiedenheit dort oben sehr schön vor.«

      Bessell