Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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zuvor geschenkt, doch hatte sie ihr dankbarerweise eine traumlose Bettruhe ohne Verfolgungsjagden, blutige Szenarien oder Bösewichte gewährt. Dass sie abermals wie eine Tote geschlafen und nicht einmal wachgeworden war, war eindeutig ein Zeichen dafür, dass sich ihr Körper und Geist immer noch in der Genesungsphase befanden und sich ohne Zögern komplett ausklinkten, wenn sie die Möglichkeit dazu bekamen.

      Gwen rollte sich zur Seite, um auf ihren Wecker zu spähen. Es war kurz vor halb zehn, Sonntagmorgen. Die Bettseite von Josh war bereits leer.

      In Gedanken ging sie die Optionen durch, wohin ihr Freund abgerauscht sein konnte. Möglich, dass er bereits wieder am Schreibtisch saß, eine Runde joggte oder beim Bäcker Brötchen holte, um Frühstück herzurichten, wie er es manchmal am Wochenende tat.

      Auf dem Rücken liegend, starrte sie an die Zimmerdeckte. Was Nick wohl gerade machte?

      Beim Gedanken an ihn formten sich zwei Bilder vor ihrem inneren Auge. Auf dem einen stand sie, die Hände in die Hüfte gestemmt, da und machte ihn ordentlich zur Schnecke. Auf dem anderen lagen sie auf einer Decke im Park und beobachteten den Sternenhimmel. Auch wenn das erste Bild seinen Reiz hatte, übte das zweite eine noch größere Anziehungskraft auf Gwen aus, weswegen sie beschloss, Nikolaj einen Besuch abzustatten. Sie musste sich lediglich eine Ausrede für Josh überlegen – schon wieder. Eigentlich wollte sie ihn nicht anlügen; im Moment sah sie allerdings keine andere Möglichkeit.

      Sie kletterte aus dem Bett und schlich den Gang entlang. In seinem Arbeitszimmer war Josh nicht, im Bad auch nicht, ebenso wenig wie im Wohnzimmer oder der Küche. Als ihr Blick auf einen kleinen Zettel fiel, der neben der Kaffeemaschine und einer Tasse lag, huschte ein liebevolles und zugleich schuldbewusstes Schmunzeln über ihre Lippen. Josh kannte sie so gut, dass er wusste, dass die Kaffeemaschine nach der Morgentoilette ihr erstes angesteuertes Ziel war - und sie log ihn an.

      Sie griff nach dem Papier und las die handschriftliche Nachricht.

       Habe einen Anruf bekommen. Muss mich noch mal mit einem Klienten treffen und ein paar Details durchgehen. Keine Ahnung, wie lange das dauert. Hoffe du fühlst dich inzwischen besser. Bis später. Kuss, Josh.

      Gwen spürte, wie sich ein Knoten in ihrer Brust bildete und noch mehr Schuldgefühle verströmte. Das war die schlechte Seite dieser Situation. Die Gute war, dass sie sich nun keine Ausrede ausdenken und somit keine weitere Lüge in die Welt setzen musste.

      Nachdem sie sich im Eiltempo eine Tasse heiß dampfenden Kaffee genehmigt hatte, schlüpfte sie in Jeans und Pullover, frischte sich kurz auf und machte sich auf den Weg zu Nick. Sie hoffte inständig, dass sie noch vor Josh zurück sein würde; andernfalls brauchte sie schneller eine neue Ausrede als ihr lieb war.

      Auf der kurzen Strecke zu Nikolajs Wohnung kreuzten nur wenige Menschen ihren Weg. Hauptsächlich Passanten, die mit ihrem Hund spazieren gingen, Brötchen vom Bäcker oder die Zeitung vom Kiosk holten. Sicherlich genoss die überwiegende Mehrzahl den freien Tag, um sich ordentlich auszuschlafen und einen relaxten Morgen zu genehmigen. Gwen überlegte, wann sie das letzte Mal einen solchen Sonntag verbracht hatte, konnte sich aber nicht erinnern, was eindeutig dafür stand, dass es zu lange her war.

      Schließlich erreichte sie das rote Backsteingebäude, in dem Nikolajs Wohnung lag. Gerade, als sie klingeln wollte, stieß sie sich erneut an der Tatsache, dass sie seinen Nachnamen nicht kannte. Ob sie einfach irgendwo läuten sollte?

      Sie biss sich auf die Unterlippe, wippte unschlüssig vor und zurück, und lehnte sich dann, mehr in letzter Hoffnung, gegen die Eingangstür. Verwundert, aber erfreut, stellte sie fest, dass sie nicht verschlossen war, sodass sie das Gebäude problemlos betreten konnte.

      Die Treppen gemächlich hinaufsteigend, machte sie schließlich im fünften und letzten Stock halt und beäugte die drei im Gang befindlichen Wohnungstüren.

      Welche davon war nun die Richtige?

      Sie ging nochmals zum Treppenabsatz zurück, schloss die Augen, tat ein paar Schritte und öffnete sie wieder. Sie stand einen Schritt entfernt von einer Tür auf der linken Seite. Ob sie ihrem Gefühl trauen und klopfen sollte? Was, wenn es doch der falsche Stock war? Oder die richtige Etage, aber die falsche Tür?

      Gwen atmete tief durch, dann hämmerte sie etwas zögerlich gegen das Holz. Nichts rührte sich. Vielleicht drang ihr Klopfen nicht bis ins Innere? Vielleicht war Nick auch einfach nicht da - sofern es überhaupt Nicks Wohnung war.

      Nachdem sie ein drittes Mal geklopft hatte, hörte sie Schritte, dann öffnete sich die Tür. Dahinter stand, welch eine Erleichterung, Nick. Einzig bekleidet mit einer ausgewaschenen Cargo-Jeans und einem weißen Handtuch, das er sich um die Schultern geworfen hatte. Wasser perlte von seinen Haarspitzen auf seinen nackten Oberkörper, welcher, wie vorausgesehen, muskulös gebaut war, jedoch ohne bullig oder wie mit Anabolika aufgepumpt auszusehen. Eine starke Brust, die Schutz und Geborgenheit versprach und problemlos jedes Frauenherz in Ekstase versetzen konnte. Eine starke Brust, die im Moment vor allem Gwens Herz in Ekstase versetzte und schneller schlagen ließ.

      Ein heißes, vibrierendes Kribbeln entfachte in ihren Fingerspitzen, ganz so, als sehnten sie sich danach eine Erkundungstour über Nicks nackte Haut zu machen und herauszufinden, wie sie sich anfühlte. Sie widerstand dem Drang die Hand zu heben und platzte stattdessen mit dem ersten Wort heraus, das ihr in den Sinn kam. „Donnerwetter.“

      Nikolajs Antwort war ein schalkhaftes Lachen. Als er sich wieder gefangen hatte, trat er einen Schritt zur Seite und bat sie herein.

      Gwen benötigte einige Sekunden, ehe sie sich aus ihrer bewundernden Versteinerung lösen und in die Wohnung treten konnte. Ganz sicher waren ihren Wangen gerötet; sie könnte spüren, dass es so war.

      „Waren wir verabredet? Ich dachte, ich hätte gesagt, dass ich bei dir vorbeikomme. Das wäre ich, nachdem ich dir eine kleine Auszeit gegönnt habe. Aber ich freue mich natürlich, dass du hier bist. Setz dich, ich ziehe mir nur noch schnell ein Shirt über. Außer“, ein Funkeln huschte durch seine Augen, „du möchtest meinen Prachtkörper noch etwas länger begutachten?“

      Gwen streckte ihm die Zunge heraus. Gerötete Wangen und kindliches Benehmen – was war nur mit ihr los?

      In sich hineinlachend tapste Nikolaj auf nackten Füßen ins Schlafzimmer und kam, ein paar Augenblicke später, in ein weißes Langarmshirt gekleidet zurück.

      „Also, was beschert mir die Ehre? Hat dein Freund dich einfach so abhauen lassen? Zu mir?“ Nikolaj ging um die Theke herum, füllte seine Tasse mit Kaffee und sah sie fragend an.

      „Nein danke, ich hatte schon eine Tasse.“ Als er einen Schluck nahm, sagte sie: „Oder doch, warum eigentlich nicht.“

      Augenscheinlich amüsiert über ihre Unentschlossenheit, füllte Nikolaj eine zweite Tasse und schob sie zu ihr herüber.

      Gwen nippte daran, ehe sie erklärte: „Josh weiß eigentlich gar nicht, dass ich hier bin. Er war schon weg, als ich aufgestanden bin. Aber ich muss dringend was mit dir besprechen.“

      „Ich bin ganz Ohr.“

      „Wegen gestern Nacht. Ich habe Josh nichts von dem erzählt, was passiert ist – oder besser: Ich habe einen Großteil davon weggelassen. Ich habe ihm gesagt, dass ich auf dem Heimweg vom Krankenhaus zufällig meinem besten Freund aus Kindertagen über den Weg gelaufen bin und so hin und weg war, dass ich ganz vergessen habe, mich bei ihm abzumelden. Ein paar Gläser Alkohol zur Feier des Tages hätten den Rest erledigt.“

      Nikolaj nippte an seinem Kaffee, erst dann sagte er: „Warum hast du ihm nicht die Wahrheit gesagt?“

      Abermals fühlte Gwen sich wie eine Angeklagte im Gerichtssaal. „Tja, ich hielt das für besser. Josh ist Staatsanwalt. Er hätte, nun, hätte ich ihm von den beiden Kerlen, deinem Auftauchen und meiner Rettung erzählt, hätte ich wohl auch das mit dem … dann hätte ich wohl auch erwähnen müssen, dass die beiden Männer tot sind. Ich schätze, dass er das nicht so einfach auf sich beruhen hätte lassen. Du Thema und sprach hastig weiter. „Ich wollte weißt ja, wie Anwälte sind. Sie geben nicht eher Ruhe, ehe das Recht gewonnen hat. Wobei Recht und