„Und immer noch willst du mir nicht sagen, wer mein Vater war oder ist?“ Moses sah zu ihr auf, „du weißt, wie mich die Schulkameraden gehänselt haben wegen meiner zu hellen Haut und meines Bartwuchses. Irgendwie, haben sie immer gesagt, erinnere ich sie an einen Hebräer.“
Thermutis lächelte. „Nein, das will ich dir nicht sagen, selbst wenn ich es genau wüsste. Moses, du bist nun fast erwachsen, vor zwanzig Jahren war ich ein lebenslustiges Mädchen, ohne Aussicht auf eine Heirat, die nicht ausschließlich politisch bestimmt wäre. Und da habe ich mir meine Vergnügungen gesucht. Dass ich dann nicht verheiratet worden bin, lag ausschließlich an politischen Gründen. Schließlich bin ich die Tochter des Pharao, die heiratet nicht einfach so.“
„Und so hast du dir Männer gesucht, eben auch meinen Vater“, stellte Moses bitter fest.
„Aber Moses, du kennst das doch, wenn der Körper einem kribbelt, du hast doch sicher auch schon mit Mädchen gespielt.“
Moses schüttelte stumm den Kopf. Gedacht hatte er schon an Mädchen, und ihnen hinterher gesehen, wusste auch, wie er mit sich selbst spielen musste, um Entspannung zu suchen, aber er hatte sich nie getraut, Mädchen anzusprechen.
Thermutis schüttelte den Kopf. Sie sah ihren Sohn an, groß war er, stark, breitschultrig, mit schmalen Hüften, sie konnte sich vorstellen, dass so manche junge Frau gerne gesehen hätte, wenn er mit ihr angebändelt hätte, ein bisschen finster das Gesicht, aber das lag wohl an seiner grüblerischen Jugend.
„Bestimmt kann ich dir leicht ein Mädchen besorgen, wenn du willst“, bot sie versuchsweise an, aber Moses schüttelte heftig den Kopf.
„Nein, ich werde schon eine finden, die mir so gefällt, dass ich sie nehmen will, aber bisher will ich noch nicht.“
Thermutis war die einzige Person, mit der Moses so offen sprechen konnte und wollte. Im Verkehr mit anderen Menschen war er verschlossen, schweigsam bis an die Grenze der Unhöflichkeit und darüber hinaus. Wenn er sprach, dann schwer, langsam, stolpernd, die Worte brachen mehr aus ihm heraus, als dass er sie sprach. Er redete wenig, weil er wahrhaftig sein wollte und schmerzhaft die Schwäche von Sprache vor der Wahrheit empfand. Nie trafen Worte genau seine Empfindungen und versuchte er, seine Empfindungen auszusprechen, so klangen die Worte, die er benutzte, nicht wie das, was er empfand, sondern klischeehaft, abgeschmackt und lügnerisch. Und so wurde Moses in dieser Zeit immer mehr zum Einzelgänger, der über sich und die Welt grübelte, allein gelassen von allen außer seiner Mutter.
Immer wieder dachte er an die beiden Frauen, die behaupteten, seine Mütter zu sein und an den Mann, den er nicht kannte und den er wohl nie kennen lernen würde, der sein Vater war.
Er hatte als Verwandter des Pharao Pflichten am Hof, er musste an allen Festen teilnehmen, die der König veranstaltete und diese Feste waren immer den Göttern gewidmet. Amun besonders verlangte von Pharao und seinem Hof die Anwesenheit bei allen Anlässen, bei denen der Gott vor dem Volk repräsentiert werden wollte. Moses gab sich keine Rechenschaft darüber, ob er diesen Gott oder andere Götter verehrte. Die Begriffe Frömmigkeit oder Religiosität kamen in seiner Gedankenwelt oder der der anderen Ägypter nicht vor. Götter spielten immer dann ihre Rolle, wenn sie Bezug zum Leben der Menschen hatten, Chapi immer dann, wenn der Nil über die Ufer trat und Osiris, wenn Menschen starben.
4.
Moses stand vor dem Thron Pharaos und bewunderte den König. Ramses hatte sich in dem halben Jahr nach seiner Inthronisierung sehr verändert. Schon immer hatte er ein kantiges Gesicht gehabt, in dem die schwarzen energischen Augen auffielen, die Hakennase und ein ausgeprägtes Kinn, das auf Willensstärke schließen ließ. Jetzt, in vollem Ornat, den er zur Audienz angelegt hatte, wirkte er älter und strahlte eine Autorität aus, vor der Moses sich ohne weiteres zu beugen bereit war. Moses wusste, dass die Stellung des Königs bisher noch nicht gefestigt war. Hatte doch sein Bruder Chenar die Entscheidung seines Vaters Sethos, Ramses zu seinem Nachfolger zu bestimmen, keineswegs ohne Widerstand hingenommen. Zwar hatte er zu Lebzeiten des alten Pharao nicht zu opponieren gewagt, aber nach dessen Tod sehr schnell eine kleine Anhängerschaft gewonnen, die Ramses für nicht regierungsfähig, für zu jung und Chenar für den besseren König hielt.
Einen Pharao, den Gott, der direkt von der Sonne abstammte, zu stürzen, das durfte in der Geschichte Ägyptens nicht vorkommen, und so hatte Ramses die Gruppe der Opponenten schnell, energisch und hart zur Verantwortung gezogen. Sieben der führenden Aufrührer waren kurzerhand hingerichtet worden, seinen Bruder Chenar hatte Ramses nach Süden geschickt, um dort Bauten zu beaufsichtigen, die er in Auftrag gegeben hatte. Dennoch, immer noch gab es in Theben eine Opposition, die Ramses stürzen und seinen Bruder Chenar auf den Thron heben wollten.
Moses stand vor dem König mit unruhigem Herzen. Ramses hatte ihn gestern für heute zur Audienz befohlen, und obwohl Moses sich nicht vorstellen konnte, womit er den Unwillen des Königs hervorgerufen haben könnte, ganz sicher war man sich dessen nie.
„Moses, mein Neffe“, begann Ramses und Moses atmete auf, diese Anrede benutzte Pharao nur, wenn er ihm wohlwollte, „Wir haben deine Ungeduld wohl gemerkt und deinen Drang, Uns zu dienen", fuhr Pharao fort, „Wir haben aber bisher noch nicht die rechte Aufgabe für dich gefunden. Nach Norden schicken Wir dich nicht, obwohl Uns dein Wunsch bekannt ist. Wir glauben nicht, dass die Erfüllung dieses Wunsches für dich glücklich ist.
Stattdessen", Pharao hob die Stimme, Moses bewunderte im Stillen die Leichtigkeit, mit der Ramses sich inzwischen des königlichen Wir bediente und wie er seiner Rede Nachdruck zu verleihen wusste, „stattdessen haben Wir einen ehrenvollen Auftrag für dich. Unten im Süden, stromauf, wollen die Nubier wieder einmal einen Aufstand wagen. Unsere Spione haben berichtet, wie sie ihre Stämme versammeln und ihre Krieger ausheben. Wir wollen diesen Aufstand im Keim ersticken, sind aber zurzeit in Theben nicht entbehrlich. Wir haben daher beschlossen, dich an die Spitze einer Armee von dreitausend Kriegern und dreihundert Streitwagen zu stellen. Fahre mit dieser Streitmacht flussaufwärts bis an die Grenze des Südreiches, spüre die aufständischen Truppen auf und schlage sie. Bringe mir ihre Anführer, wenn du sie lebend fangen kannst, sonst töte sie.
In dieser Streitmacht sei du Unser Feldherr, sei wie Pharao, mit der vollen Befehlsgewalt, und Wir befehlen dir, schlage den Aufstand nieder und kehre siegreich nach Theben zurück!“
Moses verschlug es die Sprache und nur seine sorgfältige Erziehung verhinderte es, dass er mit offenem Mund vor Pharao stehen blieb. Der erste Auftrag, den er vom König erhielt und dann gleich als Feldherr an der Spitze einer solchen Armee! Ramses musste ihm allerhand zutrauen, mehr, als Moses sich selbst zutraute, das alles ging ihm durch den Kopf, während er sich vor dem König auf das Knie niederließ und die rituellen Worte sprach:
„Du befiehlst, o Pharao, und was du befiehlst, geschieht unweigerlich. Ich werde die Streitmacht nach Süden führen, die Aufständischen besiegen und siegreich mit ihren Anführern wiederkehren.“
Diese Neuerung hatte Ramses eingeführt. Jeder Befehl, den er erteilte, war zu wiederholen, damit nicht der geringste Zweifel aufkommen konnte, was Pharao befohlen hatte.
Die Audienz war beendet, Moses bewegte sich rückwärts, mit dem Gesicht zum König, zum Eingang zurück, als er die Stimme Pharaos hörte, diesmal leiser.
„Moses!“
Er sah auf und sah, wie Pharao ihm zuwinkte, noch zu bleiben, während er die Palastdiener hinaus winkte. Moses trat wieder näher, auf Ramses zu.