6.
Spät war Moses in sein Schlafgemach gekommen, dennoch stand er früh auf, von seinem Diener geweckt.
„Herr, die Sonne wird in einer Stunde aufgehen, du wolltest früh aufbrechen, um der größten Tageshitze zu entgehen.“
Richtig, Moses hatte den Diener gestern Abend vor dem Fest angewiesen, ihn zu dieser Stunde zu wecken, er hatte noch in der Nacht losgehen wollen zu der Wasserstelle, um Reuben zu treffen, der ihm auch heute helfen sollte, seine Pflegeeltern zu finden. Schnell war Moses hoch und war auch schon bereit, verließ, nur von seinem Diener begleitet, die Residenz und die Stadt, nur einmal von den Wächtern am Stadttor aufgehalten, denen er aber schnell klar machen konnte, dass sie ihn durchlassen sollten. In den noch finsteren Morgen hinein ging er, nach Osten, auf dem Damm, den er auch gestern benutzt hatte, der Wasserstelle entgegen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, jetzt, am frühen Morgen, war die Luft angenehm kühl, tief atmete Moses ein und genoss es, kräftig auszuschreiten, so schnell, dass sein Diener ihm kaum folgen konnte. Nach einer halben Stunde erreichte er die Wasserstelle, schneller als gestern, weil er bei dem Marsch auf seine Würde keine Rücksicht nehmen musste, niemand außer ihm war auf dem Damm unterwegs.
„Guten Morgen, Herr, Amun sei dir gewogen“, begrüßte ihn am Wasser Reuben mit einer seiner tiefen demütigen Verbeugungen und mit einem Grinsen, das seine verfaulten Stummelzähne sehen ließ. „Ich war gespannt, ob du heute kommen wirst, aber jetzt, da du da bist, wirst du zufrieden mit mir sein. Ich habe gestern nachgeforscht und Amram und Jochebed gefunden. Sie leben in einem Dorf, das etwa drei Stunden von hier im Osten liegt, ich kann dich hinführen, dann kommen wir, wenn wir jetzt losgehen, vor der schlimmsten Tageshitze in dem Dorf an. Nicht, dass es von Bedeutung wäre", und abermals machte Reuben die furchtbare Verrenkung, die eine Verbeugung sein sollte, und lächelte sein Lächeln, „in dem Dorf gibt es ebenso wenig wie in der Umgebung Bäume oder Sträucher, die die Tageshitze mildern könnte. Du musst dich also gegen Leiden wappnen, Leiden, die mein Volk schon seit Jahrhunderten erträgt.“
„Nimm dich in Acht, Reuben“, warnte Moses ihn, „derartige Reden will ich nicht hören. Wenn du Amram gefunden hast, dann wollen wir aufbrechen. Meine Wasserflasche ist gefüllt, also, geh voran.“
Und wieder wanderten sie, Moses Diener zurücklassend, zu zweit in das Land hinaus, immer weiter nach Osten, Moses vertraute sich, etwas misstrauisch zwar, der Führung Reubens an. Gerade ging die Sonne auf, der Himmel explodierte in den Farben dieses Sonnenaufganges, zuerst tiefes Rot, fast dunkel noch, dann schien flüssiges Gold am Himmel zu stehen, abgelöst von türkisen und blauen Abschnitten, bis schließlich am untersten Rand des Horizontes ein kleinster Abschnitt der Sonne erschien, sich schnell vergrößernd, riesig, glühend, blendend, so dass Moses und sein Begleiter, die die gleißende Helle genau vor sich hatten, die Augen zusammenkniffen. Immer weiter gingen sie, immer nach Osten, auf die Sonne zu, die sich jetzt, ein strahlender Ball, über den Horizont erhob und höher und höher stieg, die Luft schnell mit seiner Glut ansteckend, bis die Sommerhitze den frühen Morgen erfüllte.
„Aton, siehe Aton“, dachte Moses vor sich hin, nie hatte er die Anbetung des Gottes der Sonne klarer verstanden als in diesem Augenblick, als er sich aus seinem Nachtasyl erhob und die Herrschaft über die Welt übernahm.
Eine lange Karawane in der Ferne, die auf sie zukam, unterbrach die stille Andacht des Wanderers. Angespannt blickte er ihr entgegen, zuerst waren sie nur als kleine Punkte am Horizont erschienen, rechts von dem Sonnenball und von ihm beschienen, Menschen, die langsam gingen, ihm entgegen zogen. Allmählich näherten sie sich dem Zug, bis ihnen Einzelheiten deutlich wurden. Die Karawane zog schleichend dahin, soviel war zu erkennen, sie bestand aus drei Reihen nebeneinander, wohl hundert Mann, und neben den Reihen in einigem Abstand von ihnen einzelne Aufseher.
„Wer mag das sein?“ fragte Moses seinen Begleiter, der aber stumm blieb und gebannt dem Zug entgegenblickte. Zerlumpt waren sie, das sah Moses jetzt, alle, bis auf die nebenher gehenden Personen, das waren Ägypter, die mit Lanzen und Messern bewaffnet waren und lange Peitschen trugen, die sie über dem Zug kreisen ließen. Jetzt drang das Knallen dieser Peitschen zu Moses herüber und noch ein anderer Laut: ein Stöhnen und Wimmern, wollte ihm scheinen, kam aus dem Zug, der jetzt so nahe war, dass Moses Gesichter erkennen konnte. Ja, das waren offenbar hebräische Arbeiter, die zu ihren Baustellen getrieben wurden, zur Eile gezwungen von zehn Ägyptern, hundert Hebräer. Und jetzt, im Näherkommen, konnte Moses ihre Gesichter erkennen, die an ihm vorbei zogen und den vornehmen Ägypter mit gehässigen, feindseligen Blicken bedachten, der da am Wegesrand stand und jetzt einen der Aufseher ansprach.
„Wohin geht ihr?“ fragte er.
„Wir bringen diese elenden Hebräer zu ihrer Arbeitsstätte, in die Nähe von Pitom, dort sollen sie die Dämme erhöhen, der Nil wird bald über die Ufer treten, Herr. Und wer bist du?“ Der Aufseher betrachtete neugierig diesen offenbar vornehmen jungen Mann, der hier am frühen Morgen so allein durch die Steppe ging.
„Ich bin Moses, gesandt von Pharao, um nach den Bauten in Pitom und der Umgebung zu sehen und auch nach den Arbeitern.“ Moses sagte da mehr, als sein Auftrag war. Niemand am Hofe hatte ihn beauftragt, nach den Hebräern zu sehen, die für den Pharao die Bauten zu errichten hatten, diese Arbeiter waren dem König von untergeordneter Bedeutung. Es seien ihrer ohnehin zu viele, war die allgemeine Meinung am Hofe unter den Ägyptern, darum könne man sich nicht kümmern. Sterbe einer, so sterbe er und es träten andere an seine Stelle. Hauptsache, die Bauten würden fertig.
„Nun, hier sind die Männer, wir gehen zum Deich, wenn du ihre Behausungen sehen willst, musst du etwa eine Stunde weiter in diese Richtung gehen“, der Aufseher deutete nach Osten, „dann kommst an eines ihrer Dörfer. Aber warnen will ich dich, Herr, du wirst ihre Dörfer stinkend finden, dreckig die Menschen und die Tiere, und viel Fäulnis und vor allem sieh dich vor den Banden vor, den Jugendlichen, die gerne nicht nur ihresgleichen überfallen und ausrauben, sondern bevorzugt auch Vornehme, wie du einer bist.“
„He, ihr da“, schrie er plötzlich, sich unterbrechend, „wer hat euch erlaubt, stehen zu bleiben und Maulaffen feilzuhalten“, und er schwang die Peitsche, die dieses Mal nicht knallte, sondern die Luft durchschnitt und den vordersten Hebräer traf, einen jungen Mann, nicht älter als Moses, der stehen geblieben war und die Ägypter bösartig ansah. Hinter ihm hatte die ganze Reihe angehalten. Die Peitsche wickelte sich dem jungen Hebräer um den Hals, dort einen blutigen Striemen hinterlassend. Hasserfüllt sah der Mann Moses und den Aufseher an, ging aber doch langsam weiter, von den anderen Hebräern gefolgt.
„Vorbild sollten sie sein, die Sippenführer“, brummte der Ägypter, „meistens sind sie das auch, aber dieser, Jochen, ist besonders boshaft. Warum wir dulden, dass er Führer seiner Sippe geworden ist, verstehe ich nicht. Nun, junger Mann, Amun sei mit dir und guten Weg", und damit wendete der Aufseher sich dem Zug zu, befahl einen schnelleren Schritt und langsam, ächzend, passierten die Menschen Moses und Reuben, die schweigend zusahen. Erst langsam erholte sich Moses von dem Anblick, der Zug war schon seit einer Viertelstunde verschwunden, als er seufzend Reuben befahl, weiter zu gehen.
Nach drei knappen Stunden Wanderung, die immer beschwerlicher wurde, nicht etwa, dass der Weg schwierig war, sondern wegen der sommerlichen Hitze, die die beiden Wanderer quälte, tauchten am Horizont mehrere Hütten auf.
„Das ist das Dorf, in dem Amram mit seiner Frau wohnt, die du suchst, Herr, wir haben jetzt noch kurze Zeit zu gehen, dann hast du dein Ziel erreicht.“
Und wirklich, nach einigen Minuten kamen sie der Siedlung näher, die sich von der, die sie gestern besucht hatten, kaum unterschied. Auch hier staubige Wege zwischen den Hütten, mit Abfall bedeckt, nur, dass dahinter im Osten eine Hügelkette auftauchte, die die weite Ebene des Nildeltas abschloss. Auch hier standen überall Hebräer untätig herum, die die Ankömmlinge neugierig und feindselig musterten.
„Was machst du denn hier, Reuben, mit