Langsam löste sich Moses von dem Anblick und ging sinnend weiter. Die Männer hatten kräftig ausgesehen, nicht so ausgemergelt wie die Hebräer im Süden, ob das hier auch Hebräer gewesen waren?
Er verließ hinter der Baustelle das Ufer und ging auf einer gepflasterten Straße in die Stadt, weg vom Fluss, auf einen Palast zu, einer der wenigen Gebäude, die fertig waren.
„Melde mich deinem Herrn, dem Statthalter von Pitom; ich bin Moses, der Bote Pharaos, der den Fortgang der Arbeiten inspizieren soll.“ Eilfertig entfernte sich der Wächter, um Moses zu melden, und kam nach wenigen Augenblicken zurück. „Mein Gebieter lässt dich bitten.“
Moses trat durch das Tor in einen Garten, der ebenfalls groß angelegt, aber nicht von solchen Ausmaßen wie der des Königspalastes war. Hier waren die Springbrunnen schon mit Wasser gefüllt, sie plätscherten inmitten der Beete, durch den Hauptweg ging er, geführt von der Wache, auf das Gebäude zu, in dem Ptoma residierte, trat in einen Flur, der schattig war, eine Wohltat nach der sengenden Sonne, die schon jetzt, am Vormittag, die Hitze fast unerträglich machte. Die Balustrade war mit Malereien geschmückt und nach Süden und Norden mit Öffnungen versehen, die den Nordwind einließen, der jetzt noch linde wehte, aber ab Mittag die Hitze nur verstärken würde. Durch den Gang gelangten sie in einen Raum, der ebenfalls nach Süden und Norden offen war, mit Wänden aus reinem Marmor, über den kühlendes Wasser lief, gleichzeitig die Atmosphäre erfrischend und Farne wässernd, die von der Decke und an den Wänden hingen. Auch in der Mitte des Saales waren Springbrunnen und Wasserspiele eingelassen, die beruhigend plätscherten. Am Nordende war eine Sitzgruppe aufgestellt, von der sich drei vornehme Ägypter erhoben, als Moses eintrat. Der Älteste und Würdigste von ihnen war vielleicht vierzig Jahre alt, von gewaltiger Statur, mit einem kantigen Kopf, braunen, durchdringenden Augen und einem kräftigen Kinn unter dem schmalen Mund.
„Ich bin Ptoma, Statthalter Pharaos in der Baustelle Pitom“, begann er mit volltönender Bassstimme, „dies hier sind die Oberaufseher über die Arbeiten, Chenar und Hermet. Wir heißen dich, den Boten Pharaos, der die Bauten inspizieren soll, herzlich willkommen.“
„Ich danke dir, Ptoma, für deine freundlichen Worte“, erwiderte Moses, „aber die Bauten inspizieren, die unter deiner Aufsicht und der deiner Begleiter entstehen, das kann ich nicht. Pharao schickt mich nicht, euch zu kontrollieren. Wie ihr aber wisst, ist unser großer König Sethos an dem Fortgang der Arbeiten persönlich interessiert, ist doch diese Stadt seine zukünftige Hauptstadt. Er möchte sich durch mich von dem Fortgang der Arbeiten informieren, er wäre brennend gern selbst gekommen, wenn ihm seine Zeit das erlaubte.“
Ptomas Miene hatte sich bei den Worten Moses etwas aufgehellt. Er hatte sich schon gefragt, warum Pharao es für nötig hielt, die Arbeiten zusätzlich zu beaufsichtigen, wo doch er, Ptoma, die Leitung hatte. Und dann hatte er diesen hellhäutigen Grünschnabel gesehen, den der König schickte und sich noch mehr verwundert, was Pharao wollte. Aber die Worte Moses hatten seinem Erscheinen den Stachel genommen. Pharao war ungeduldig, das wussten alle im Reich, und ungeduldig erst recht, was seine Stadt Pitom anging. Moses sollte nicht beaufsichtigen, sondern über den Fortgang der Arbeiten berichten, nun gut, die Arbeiten schritten zügig voran, mochte der Bote das nach Theben berichten.
„Es ist gut, Moses, morgen zeige ich dir die Baustellen, aber auf jeden Fall bist du mein Gast, und zwar während deines ganzen Aufenthaltes hier, ich bitte dich, und heute Abend werden wir gemeinsam speisen“
Moses dankte ihm nickend und so rief Ptoma einen Diener und gab ihm den Auftrag, Moses die Gastgemächer zu zeigen. Moses schickte seine bisherigen Begleiter zum Schiff zurück, sie sollten dem Schiffsführer ausrichten, morgen früh erhielte er neue Befehle.
Ptoma bewirtete den hohen Gast aus Theben am Abend mit ausgesuchter Höflichkeit, die Zimmer, die er Moses zugewiesen hatte, waren weitläufig, elegant und kühl, so dass Moses am nächsten Morgen ausgeruht Ptoma bat, nun mit ihm in die Stadt zu gehen. Der Statthalter ließ es sich nicht nehmen, seinen Gast selbst zu begleiten, mit einem stattlichen Gefolge. Auf Bitten Moses besichtigten sie zuerst den zukünftigen Königspalast, den Moses schon gestern bewundert hatte. Als sie auf das Gebäude zugingen, fiel Moses geschäftiges Treiben am Ufer des Nil auf.
„Wir müssen die Baustelle gegen die Fluten des Flusses schützen“, erklärte Ptoma, „der Nil steigt, die Priester erwarten eine sehr hohe Flut, wir haben Dämme gebaut, damit das Wasser nicht die Baustellen behindert, aber mein Oberaufseher hat versäumt, auch hier rechtzeitig den Damm zu errichten. Das wird jetzt nachgeholt.“
Hunderte von Menschen schufteten am Ufer, Moses nahm sie zunächst nur als sinnloses Gewimmel wahr. Als er näher hinsah, bemerkte er die unterschiedlichen Tätigkeiten: Die einen waren damit beschäftigt, unermüdlich kleine Kiesel und Erde herbei zu schaffen. Andere schichteten die Steine und bildeten damit das Fundament für den Damm, der dann aus einem Lehmgemisch, durch Mauern verstärkt, um das Fundament errichtet wurde. Von beiden Seiten wurde gearbeitet, Moses konnte den Damm fast wachsen sehen. Er sah allerdings auch, wie nahe der Nil schon an der Uferkrone stand, es fehlte nicht viel und er würde sein Flussbett verlassen und die Stadt überschwemmen.
„Wie lange brauchen sie denn, um den Damm fertig zu stellen?“, fragte er neugierig.
„Wenn sie in diesem Tempo weitermachen, bis heute Abend, und vor morgen oder übermorgen steigt der Nil nicht so hoch, wir werden rechtzeitig fertig, um den Bau und vor allem den Garten zu schützen“, beruhigte ihn Ptoma.
„Und das sind Hebräer, die da arbeiten?“ Moses sah nun Einzelheiten. Er betrachtete die unterschiedlichen am Bau beschäftigten Menschen. Da waren Ägypter, in Arbeitsleinen gekleidet, die offenbar lediglich Anweisungen gaben, unter ihnen einige, die mit langen Peitschen bewaffnet waren, von denen sie ohne weiteres Gebrauch machten, und zwar auf den Rücken der Arbeiter. Diese hatten durchweg hellere Haut als die Aufseher, so hell etwa wie die Moses. Einige von ihnen hatten dunkelblondes Haar, eine Farbe, die bei den Ägyptern so gut wie nie vorkam. Unter ihnen gab es junge Burschen, stämmig, mit starken Muskeln bepackt, die die großen Karrenwagen mit Steinen beladen zogen, andere schleppten das Material von den Karren zur Baustelle. Die meisten wirkten allerdings nicht kräftig, es waren Männer aller Altersgruppen, auch ganz alte, ausgemergelte dabei. Alle trugen sie lediglich einen Schurz aus Leder um die Hüften, die Rücken waren bloß, den Peitschenhieben der Aufseher wehrlos ausgesetzt. Als Moses noch genauer hinsah, ging es ihm wie ein Stich durch das Herz. Die hebräischen Männer waren schmutzig, so schmutzig, wie Moses sich das bisher nicht hatte vorstellen können. Die Rücken waren voll Staub, mit Blut aus den Hieben gemischt, schweißnass, und jetzt, als sie näher kamen, hörten sie das unterdrückte und zum Teil laute Stöhnen und Jammern, unter dem die Männer ihre Arbeit verrichteten.
„Musst du sie denn schlagen lassen?“, fragte Moses erbittert. Ptoma schaute auf. Er war verwundert, dass der königliche Bote sich für die hebräischen Sklaven interessierte. Er, Ptoma, hatte noch nie einen Gedanken an sie verschwendet. Klar, wenn sie so hart heran genommen wurden, starben sie, vor allem die Alten und die, die nicht so stark waren. Aber was lag daran? Wenn sie starben, wurden sie durch andere ersetzt, die Dörfer der Hebräer in der Nähe waren voll von ihnen, ein unerschöpfliches Reservoir, darüber brauchte man sich nun wirklich keine Gedanken zu machen. Aber Moses ließ nicht locker:
„Arbeiten sie denn nicht besser, wenn sie nicht geschlagen werden?“
„Nein, sie sind das gewöhnt. Wenn man nicht auf sie aufpasst, werden sie langsam und schaffen ihr vorgeschriebenes Pensum nicht. Und dann ziehen wir die