„Aber ich gedenke, eines ihrer Dörfer zu besuchen, ein Dorf nämlich, in dem ein Mann namens Amram wohnt, mit seiner Frau Jochebed.“
Ungläubig starrte Ptoma seinen Gast an.
„Du willst in eines ihrer Dörfer gehen? Bist du lebensmüde oder willst du dich verkleiden? Du bist noch jung, lass dich von mir beraten, Moses, geh da nicht hin, du wirst erschlagen werden und, wenn nicht, dich zu Tode ekeln.“
Aber Mosche war entschlossen, und er gab Ptoma keine weiteren Erklärungen ab. Ptoma betrachtete ihn neugierig. Er sah diesen jungen Mann mit den merkwürdigen Wünschen, der das Siegel des Königs trug, aber eine Haut, die ihn, Ptoma, auf den Gedanken brachte, ob er den Hebräern nicht näher stand, als er zugab. Aber einen Mann namens Amram finden? In welchem Dorf denn? Wenn man einen bestimmten Hebräer suchte, schickte man hebräische Kundschafter in die Dörfer und befahl ihnen, nach diesem Menschen zu suchen und ihn her zu bringen, in den Palast.
„Du hast also hebräische Kundschafter?“, war alles, was Moses auf den Redeschwall seines Gastgebers antwortete, „dann möchte ich, dass zwei von ihnen mich morgen begleiten, damit ich Amram und seine Frau finde.“
Und langsam gingen sie weiter, zur nächsten Baustelle. Es war inzwischen Mittag geworden, die Sonne brannte unbarmherzig auf die Arbeiter herab und selbst Ptoma und Moses, die im Schatten von dichten Palmen standen, wurde es zu heiß. Dennoch arbeiteten die Sklaven ohne Pause weiter, ihre Arbeit nur unterbrechend, wenn sie vor Durst zusammen zu brechen drohten. Moses konnte kaum an sich halten, als er einen ägyptischen Aufseher sah, wie er auf einen alten Mann, der offenbar vor Durst und Erschöpfung nicht mehr weiter arbeiten konnte, so lange einschlug, bis der Sklave leblos auf dem Weg liegen blieb. Der Ägypter rief zwei andere Sklaven, die den alten Mann weg trugen, Moses war sich sicher, dass er unter den Schlägen gestorben war. Sein Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen, aber er sah, wie Ptoma die Szene beifällig betrachtete, wollte ihn nicht weiter verärgern und fügte sich, als Ptoma ihn bat, zum Palast zurück zu kehren.
3.
Moses Herkunft war unbekannt und wurde verschwiegen, ihm und allen anderen, zu seiner Verzweiflung. Seine helle Haut und seine hohe und breite Gestalt ließen alle Menschen seiner Umgebung vermuten, er sei Hebräer, Angehöriger dieses verachteten Sklavenvolkes, das im Norden des Landes unter der Knute schuftete und von dem nur Einzelne in der Stadt Frondienst taten, in der Moses aufwuchs, der Königsstadt Theben. Aber wenn er Hebräer war, so fragte er sich und so fragten sich natürlich auch alle anderen, warum ging er in die Schule der Vornehmen, der Söhne der Palastbeamten und tat nicht Frondienst in Theben oder wurde sogar nach Norden geschickt, um unter der Aufsicht der Beamten zu arbeiten? Stattdessen wurde er ausgebildet und erzogen, als ob er der Sohn eines Vornehmen war, hatte sogar zum Palast des Pharao Zutritt, wie nur wenigen Menschen vergönnt war.
Hässliche Gerüchte begleiteten ihn, so lange er denken konnte, selten wurden sie ihm ins Gesicht gesagt, und wenn, dann nur als eine der üblichen Beleidigungen, wie sie unter den jungen Menschen nach dem Unterricht an der Tagesordnung waren. Hinter seinem Rücken aber und nicht nur über ihn wurden schlimme Geschichten erzählt. Ein Früchtchen sei er, Frucht einer kurzen leidenschaftlichen Verbindung zwischen der Prinzessin Thermutis, der Tochter Pharaos, und einem hebräischen Sklaven. Sie habe ihn arbeiten gesehen im Palaste in der Nähe ihrer Gemächer, wie er mit nacktem, verschwitztem Oberkörper Steine behauen habe, habe auf ihrem Balkon gesessen, den süßen Saft der Mango getrunken und habe das Spiel seiner starken Muskeln beobachtet, bis sie, von der Hitze und dem Anblick angestachelt, nicht habe an sich halten können und den Sklaven in ihr Schlafzimmer befohlen habe. Dort habe sie sich ihm ergeben, einen Nachmittag und eine Nacht lang, bis sie ihn, erschöpft von dem Liebesspiel, von sich geschickt habe. Ihre Leibwächter aber, denen ihr Schutz auferlegt gewesen sei, hätten die Begegnung erst zu verhindern gesucht, dann aber geschehen lassen. Um aber sicher zu gehen, dass von dieser Nachlässigkeit und dem Vergehen der Prinzessin niemand Kunde erhalte, hätten sie den Hebräer direkt nach dem Verlassen des Palastes getötet und verscharrt.
Niemand, so wurde gemunkelt, habe von diesem Vorfall etwas mitbekommen, weil die Leibwächter schon zu ihrem eigenen Schutz eisern geschwiegen hätten. Nach fünf Monaten sei es aber nicht zu verheimlichen gewesen, Thermutis sei schwanger gewesen, rund wölbte sich schon ihr Bauch unter dem leichten Leinen, das sie in Zeremonien tragen musste. Sie habe sich dann ihrem Bruder Ramses offenbart, der sehr erbost gewesen sei, aber doch seine Schwester zu sehr liebte. Er habe eine Geburt im Verborgenen organisiert und das Früchtchen seiner Schwester, seinen Neffen, zu Hebräern in Pflege gegeben, bis zum fünften Lebensjahr, danach sei das Kind „Sohn“, eben Moses, genannt und in den Palast genommen worden, wo er bei ägyptischen Pflegeeltern aufgenommen wurde und aufwuchs.
Moses also war, wenn das alles richtig hinter den Rücken der Herrscher und der Betroffenen erzählt wurde, von einer Herkunft, die vornehmer nicht sein konnte, aber eben auch der Sohn eines Hebräersklaven, niedrig von Geburt.
Am Hofe begegnete ihm die Königsfamilie mit Freundlichkeit, Thermutis besonders hatte sich seiner angenommen, ohne aber jemals über das hinaus zu gehen, was sie anderen Günstlingen auch gewährte. Einerseits war Moses stolz auf die Gerüchte, die ihm Verwandtschaft zur königlichen Familie nachsagten, stolz auch darauf, dass er jederzeit Zugang zum königlichen Plast hatte, andererseits verzweifelt über die Unklarheit seiner Herkunft. Wie klar und geregelt waren doch Vergangenheit und Zukunft seiner Kameraden, wie ungewiss seine eigene Zukunft. Früh lernte Moses, für sich allein zu sein, weil in den Gesichtern der anderen die leise Frage nach seiner Existenz zu lesen glaubte. Nur mit Setaou verband ihn eine enge Freundschaft, zu der sich aber Setaou nicht bekannte, wenn sie sich im Kreise ihrer Altersgenossen bewegten. Moses hätte sich gewünscht, sein Freund würde offen zu ihm stehen, auch unter den anderen, dieser Wunsch war aber nicht zu erfüllen.
4.
Und nun war er hier, in Pitom, auf der Suche nach seinen Pflegeeltern, die irgendwann von Theben nach hier geschickt worden waren, ohne dass Moses das mitbekommen hatte und auf der Suche nach seinem Volk, seinen Vätern und war bereit, das Befremden in den Gesichtern der königlichen Beamten zu ertragen.
Moses ging langsam, würdevoll, in Begleitung der zwei hebräischen Kundschafter und zweier Soldaten des Königs, auf denen Ptoma zu seinem Schutz bestanden hatte, aus der Stadt, nach Osten, auf der Suche nach den hebräischen Dörfern. Zwei Stunden waren sie jetzt in der Sonne unterwegs, die, sie waren am frühen Morgen losgegangen, jetzt schon mit unbarmherziger Glut auf sie herunter brannte. Sie trugen das weiße Leinen, das die Sonne und das Ungeziefer von der Haut fernhielt, sie hatten leichte Perücken aufgesetzt, die den Kopf vor der Glut schützten, und dennoch war der Gang fast unerträglich, Moses wurde ausschließlich von seinem Willen, auf die Suche nach den Pflegeeltern zu gehen, angetrieben, seine Begleiter von seinem Befehl. Kein Baum, kein Schatten, nichts milderte die Hitze der Sonne ab, die auf sie hinab strahlte. Endlich, nach einer weiteren halben Stunde, sahen sie eine Ansammlung von Palmen und Bäumen am Rande des Wegs, schattenwerfende Pflanzen, an denen, wie sie aus der Ferne erkannten, eine Gruppe Menschen lagerten. Moses beschleunigte seine Schritte, in der Hoffnung auf eine Ruhepause und auf einen Schluck Wasser, der sich dort finden würde.
Schon von weitem erkannte er, dass er sich einer Wasserstelle näherte, an der ägyptische Soldaten lagerten und in einiger Entfernung eine weitere Gruppe, offenbar hebräische Arbeiter. Ein einzelner Mann kam von den Hebräern auf Moses zu, der nun seinen Leibwächtern und den hebräischen Kundschaftern weit vorausgeeilt war.
Moses erschrak, als er dem Ankommenden entgegen ging und ihn aus der Nähe ansehen konnte. Leicht gebückt ging der Hebräer und humpelte. Die Gestalt war gewissermaßen zusammengezogen, ein riesiger Buckel wuchs aus seinem Rücken