NO auf Bildungsreise. Bernd Franzinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Franzinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016772
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noch nicht.«

      »Dann bist du also sozial nicht gesund entwickelt.«

      Gero lacht. »Na, das wollen wir doch nicht hoffen, oder?«

      NO geht darauf nicht ein, sondern erkundigt sich nach Details aus Geros Kindheit. Ein Thema, auf das sich Gero gerne einlässt.

      »Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wundere ich mich schon manchmal, dass ich überhaupt groß geworden bin«, sagt der Bildungsexperte.

      »Wieso?«

      Gedankenversunken zeichnet Gero mit der Fußspitze ein Kreuz in den Sand. »Na ja, wir saßen ohne Sicherheitsgurte und Airbags im Auto. Beim Fahrradfahren trugen wir keine Schutzhelme.« Gero reckt bedeutungsvoll den Finger in die Höhe. »Kleine Anmerkung am Rande: Unsere Fahrräder besaßen keine Gangschaltung. Unvorstellbar heute!«

      »Interessant«, bemerkt NO.

      »Wir haben überall gespielt: im Wald, am Fluss, am See, in alten Bunkeranlagen.« Gero grunzt amüsiert. »Und das völlig unbeobachtet von unseren Eltern. Natürlich mussten wir nach dem Mittagessen zuerst unsere Hausaufgaben erledigen. Aber wenn wir damit fertig waren und Mutter sie kontrolliert hatte, konnten wir anschließend tun und lassen, was wir wollten.

      Meist gab es nur eine einzige Anweisung, an die wir uns zu halten hatten. Sie lautete: Bevor’s dunkel wird, seid ihr zu Hause. Und wenn es mal später wurde, hat man sich eben seine Ohrfeige abgeholt oder es wurde einem der Hintern versohlt – damit war die Sache dann aber erledigt.«

      »Haben deine Eltern keine Kinderpsychologen, Erziehungsberatungsstellen oder Selbsthilfegruppen aufgesucht?«, fragt NO verwundert.

      »So etwas gab’s früher nicht«, lacht Gero und schnäuzt sich trompetenartig die Nase. »Ja, das waren damals schon harte Zeiten für Kinder.« Er seufzt wehmütig. »Aber es waren auch sauschöne, wilde Jahre, in denen man …« Den Rest lässt Gero unausgesprochen.

      »Erzähl bitte noch ein bisschen mehr aus deiner Kindheit«, versucht NO den unterbrochenen Redefluss wieder in Gang zu bringen.

      »Das kann man sich heute im Handy-Zeitalter mit dieser schrecklichen Überall-Erreichbarkeit kaum mehr vorstellen: Unsere Eltern wussten nicht, wo wir waren«, sagt Gero mit verklärtem Blick. »Stell dir das mal vor«. Mit dem Daumennagel reibt er sich über den Handrücken und seufzt: »Welche traumhaften Zustände.«

      »Wir hatten damals auch absolut keinen Freizeitstress, so wie heute, wo schon die Kleinsten tagaus, tagein durch die Gegend chauffiert werden: von der Musikschule zum Ballett, vom Nachhilfestudio direkt in den Tennisverein oder zum Event in die Spiel- und Spaßfabrik.«

      Gero atmet hörbar aus. »Und wenn wir uns mal gegenseitig vermöbelt haben, kam nicht gleich ein hysterisches Elternteil mit Anwalt angerannt und hat den Sieger verklagt. Das haben wir alles unter uns geregelt.«

      Er taucht völlig ab in die ferne Zeit seiner unbeschwerten Kindertage.

      »Wir hatten weder einen Computer, noch eine Playstation. Und das Fernsehprogramm begann erst um 18 Uhr.« Er winkt ab. »Wir durften eh nur von unseren Eltern ausgewählte Sendungen anschauen – bei denen sie auch noch dabeisaßen.«

      Gero grinst breit und lässt seinen verklärten Blick über die unzähligen Lichtpunkte der Stadt hinwegschweifen. »Wenn sich mal zwei Schauspieler geküsst haben, hat meine Mutter das Fernsehgerät ausgeschaltet.« Wieder legt er eine Pause ein.

      »Ihr hattet also viel freie Zeit«, sagt NO.

      »Ja, das kann man wohl sagen. Und vor allem verfügten wir über reichlich selbstbestimmte Zeit.« Gero kneift seine schmalen Lippen so fest zusammen, dass sie nicht mehr zu sehen sind und wiegt den Kopf sanft hin und her.

      »Was wir damals so alles getrieben haben«, fährt er fort: »Ohne Seilsicherung sind wir von Baum zu Baum geklettert. Bei Wind und Wetter haben wir im Freien Fußball gespielt und uns dabei wie Schweine im Schlamm gewälzt. Wir haben Bäume gefällt, aus den Stämmen Flöße gebaut und Seeräuberschlachten gegen die Jungs aus dem Nachbardorf veranstaltet.«

      »Und da haben alle mitgemacht?«, will NO wissen.

      »Nee, nee. Damals herrschten klare Verhältnisse mit strengen Hierarchien, die aber jeder von uns akzeptiert hat. Zum Beispiel wurden die Kinder bei der Aufstellung von Fußballmannschaften knallhart nach Leistung aufgeteilt: Wer gut war, durfte mitspielen, und wer nicht gut war, musste eben mit der Enttäuschung klarkommen. Das war …«

      »Ihr habt also selektiert«, wirft NO ein.

      »Wie? Quatsch!«, zischt Gero. »Das ist doch etwas ganz anderes als die Selektion im Schulsystem.«

      »Was hat derjenige, der nicht mitspielen durfte, denn gemacht?«

      »Na ja, der hat sich eben mit seinem Schicksal abgefunden oder so lange hart trainiert, bis er besser wurde.« Gero lässt ein schmatzendes Geräusch verlauten.

      »Ich war damals auch nicht gerade ein begnadeter Fußballer, musst du wissen«, verkündet er. »Weil ich als Feldspieler nicht so gut war, haben sie mich eine Zeit lang immer nur ins Tor gestellt, besser gesagt im Tor abgestellt. Aber dann habe ich mit meinem Bruder und meinem Vater trainiert bis zum Umfallen. Und irgendwann war ich dann ein guter Torwart, den man unbedingt in seiner Mannschaft haben wollte.«

      »Qualität kommt eben von quälen«, murmelt NO.

      2. Kapitel

      Gero stemmt die Arme in die Lenden, drückt die Hüfte nach vorne und stöhnt: »Ah, mein Rücken ist schon ganz steif von dieser langen Herumsitzerei.«

      »Möchtest du dir ein wenig die Beine vertreten?«, fragt NO seinen von chronischen Ischiasbeschwerden geplagten Gesprächspartner.

      »Ja, das wäre toll.«

      »Na, dann steh doch einfach auf und recke deine müden Glieder.«

      Gero verzieht skeptisch das Gesicht. »Geht das denn?«

      »Klar, wenn ich will, geht alles. Ich könnte ja durchaus mal ein bisschen nett zu dir sein, schließlich habe ich dir bereits einige Knüppel zwischen die Beine geworfen – im übertragenen Sinne, versteht sich.«

      »Danke.«

      »Keine Ursache. Weißt du, Gero, ich bin zwar ein Nicht-Mensch, aber kein Un-Mensch.« NO kichert wie ein pubertierendes Schulmädchen. »Also, erhebe dich von deinen vier Buchstaben und tue, was du nicht lassen kannst. Apropos lassen: Könntest du bitte mal einen fahren lassen?«

      Gero unterbricht abrupt seine Dehnübungen. »Was soll ich?«, fragt er geschockt.

      »Du sollst jetzt bitte furzen, pupsen, pupen oder wie immer du den geräuschvollen Abgang deiner Darmgase auch nennen magst.«

      »Wie?«

      »Na, wie das geht, solltest du schon selbst wissen.«

      »Was?«

      »Du hast mich schon richtig verstanden. Ich würde dieses Geräusch so gerne einmal hören. Ich kann ja leider nicht furzen. Nach dem, was ich gelesen habe, seid ihr Menschen zu allen möglichen akustischen Variationen fähig.«

      Gero weiß nicht, was er zu dieser ungewöhnlichen Bitte sagen soll. Nervös verlagert er sein Körpergewicht abwechselnd von einem Fuß auf den anderen. Ihm wird immer unbehaglicher zumute.

      »Na, was ist mit furzen?«, drängt NO.

      »Benutze doch nicht andauernd dieses ordinäre Wort.«

      »Furzen ist ordinär.«

      »Ja, schon. Aber man muss doch wirklich nicht so ungeschminkt die Dinge beim Namen nennen.«

      »Man soll also nicht die ungeschminkte Wahrheit sagen?«

      Gero stimmt mit einer Kopfbewegung zu.

      »Interessant«, kommentiert NO. »Okay, von mir aus: Kannst du nicht pupsen oder willst du nicht?«

      »Das