NO auf Bildungsreise. Bernd Franzinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Franzinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016772
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Gesamtschule eine gerechte Schule ist.«

      »Weil dort alle Kinder fair behandelt werden. Jedes wird entsprechend seiner Fähigkeiten optimal gefördert. Vor allem diejenigen Schüler, die aus bildungsfernen Elternhäusern stammen, haben in einer Integrierten Gesamtschule bedeutend bessere Bildungschancen als im dreigliedrigen Schulsystem.«

      »Was sind denn bildungsferne Elternhäuser?«

      »Na ja, das sind solche, in denen es nur wenige Bücher gibt und in denen die Eltern ihren Kindern nicht oder nur selten vorlesen.«

      »Und warum tun diese Leute das nicht?«

      »Weil sie keine Zeit dafür haben und weil sie nicht genügend Geld haben, um Bücher zu kaufen.«

      »Aber die kann man doch auch ausleihen, wie ich inzwischen weiß.«

      Gero macht eine flatternde Geste. »Ja, schon, aber diese Eltern müssen eben hart arbeiten und haben keine Zeit für Bildung. Diese wichtige Aufgabe muss dann die Schule für sie übernehmen.«

      »Und wo bekommen diese Kinder die Schulbücher her?«

      »Wenn die Eltern kein Geld haben, Lernmaterialien zu kaufen, können die Kinder sie in der Schule ausleihen oder sie erhalten Lernmittelgutscheine.«

      »Stimmt es, dass früher an den Gesamtschulen alle Schulbücher nachmittags und über die Wochenenden hinweg eingeschlossen wurden?«

      »Ja, klar. Und das war auch richtig so!«, stößt Gero erregt aus. Er schlägt eine Faust in die offene Hand. »Wenn’s nach mir ginge, wäre es noch immer so. Nur auf diese Weise konnte verhindert werden, dass die bildungsnahen Eltern mit ihren Kindern zu Hause lernen.«

      »Und das ist nicht gut?«

      »Nein, natürlich nicht. Das ist Chancenungleichheit pur. Dadurch werden diejenigen Kinder extrem benachteiligt, mit denen niemand zu Hause lernt.«

      NO brummt eine Weile vor sich hin. Eine Verkehrsmaschine fliegt über die beiden mit einem Höllenlärm hinweg und steuert den am anderen Ende der Stadt gelegenen Flughafen an.

      »Wieder einer, der mit einer Sondergenehmigung das Nachtflugverbot umgeht«, schimpft Gero.

      »Wenn dich die Triebwerksgeräusche stören, musst du auf meinen Planeten umziehen«, bemerkt NO kichernd. »Die Antriebe unserer Flugmaschinen sind völlig geräuschlos.«

      »Könnten wir diese Technologie denn nicht auch nutzen?«

      NOs Antennen kreisen wild und produzieren stroposkopartige Blitze. »Nein, das geht nicht«, feixt er. »Erstens seid ihr Menschen viel zu blöd, um diese Technologie zu verstehen, und zweitens existieren die dazu benötigten Rohstoffe auf der Erde nicht.«

      »Schade«, seufzt Gero.

      »Wie war das denn eigentlich bei dir zu Hause, als du Kind warst? Du warst doch auch einmal ein Kind, oder?«

      Gero grinst breit. »Na klar, jeder Mensch ist selbstverständlich zuerst Kind, bevor er zum Erwachsenen wird.«

      »Aber manche Menschen sind doch auch noch als Erwachsene kindisch. Dann sind sie doch wieder ein Kind, oder?«

      »Ja, irgendwie schon, aber eben nur im übertragenen Sinne.«

      NO quietscht vor Vergnügen. »Noch mal zu deinen Eltern: Waren die bildungsnah oder bildungsfern?«

      Gero zieht abschätzig die Mundwinkel nach unten. »Mit Bildung hatten meine Alten nichts am Hut.«

      »Wieso denn nicht?«

      »Meine Mutter war nur Hausfrau. Sie hat den ganzen lieben langen Tag nichts anderes gemacht als geputzt, aufgeräumt, Wäsche gewaschen und für ihre Söhne gekocht.«

      »Du hast also mindestens einen Bruder?«

      »Woher weißt du das?«, fragt Gero, doch gleich darauf kommt ihm die Erleuchtung. Er tippt sich an die Stirn. »Logisch, das hast du aus meinem Plural abgeleitet.«

      »Aus dem von dir verwendeten Plural«, verbessert NO. »Ja, ich bin ein kleiner Schlauberger. Logik ist eine meiner großen Stärken. Ich habe übrigens einen IQ von über 500.«

      Gero schnaubt verächtlich. »Solch einen hohen Wert gibt es doch gar nicht, du Angeber!«

      »Neidhammel«, kontert NO. »Da könnte man vor Neid glatt grün werden, gell?«

      Passend zu dieser Bemerkung verwandelt sich seine Körperfarbe in ein dunkles Tannengrün. Es duftet markant nach zerriebenen Fichtennadeln.

      »Du kommst ja nur auf einen IQ-Wert von gerade mal 107«, legt No nach. »Und das war dein bisher bestes Testergebnis.«

      »Woher weißt du denn das schon wieder?«

      »Recherche, mein lieber Erdbewohner, professionelle Recherche.«

      »Du verblüffst mich immer mehr.«

      »Gut so. Zurück zu deiner Herkunftsfamilie.«

      »Warum?«

      »Mich interessiert deine Bildungsbiographie eben.«

      »Okay, was willst du noch wissen?«

      »Deine Eltern hatten also keine Bücher und haben dir auch nicht aus geliehenen Büchern vorgelesen?«

      »So ist es«, nickt Gero und räuspert sich. »Obwohl, das stimmt nicht ganz«, korrigiert er. »Meine Mutter hat irgendwann einmal ein paar Kinderbücher gekauft und sie uns vorgelesen.«

      »Wie oft?«

      Denkpause. »Eigentlich jeden Abend, wenn wir ins Bett sind«, murmelt Gero vor sich hin.

      »Und dein Vater?«

      »Der hat immer nur malocht.« Abschätzig presst Gero Luft durch die Nase. »Der Alte hat richtig drangeklotzt. Überstunden um Überstunden hat er gemacht. Und sogar am Wochenende hat er geschuftet wie ein Brunnenputzer.« Mit einem Augenzwinkern ergänzt er: »Schwarz, versteht sich.«

      »Konnte dein Vater denn auch die Körperfarbe wechseln, so wie ich?«

      »He?« Geros verdutzte Miene bringt sein Unverständnis plakativ zum Ausdruck. Doch dann lacht er schallend los. »Nein, NO, er wurde nicht schwarz, er hat nur schwarz gearbeitet.«

      »Also mir wurde nur die Redensart ›Er hat sich schwarz geärgert‹ einprogrammiert.«

      »Schwarz arbeiten bedeutet, dass man dem Staat von seinem Arbeitslohn keine Steuern abführt. Ist zwar nicht legal, aber wie hieß es früher zu Sponti-Zeiten so schön: Legal – Illegal – Scheißegal!«

      »Verstehe ich immer noch nicht.«

      »Ja, gibt’s denn auf deinem Planeten keine Steuern?«

      NO wiegt den Kopf hin und her.

      »Auch kein Finanzamt?«

      Dieselbe Reaktion.

      »Ich glaube, ich fliege doch mit dir zu deinem Stern«, prustet Gero und klatscht in die Hände.

      »Das geht nicht«, erklärt NO nüchtern.

      »War ja auch nur Spaß.«

      »Aus Spaß wurde Ernst, Ernst lernt jetzt laufen«, bedient sich NO aus seinem schier unerschöpflichen Sprüche-Fundus. »Zurück zu deiner Kindheit. Hast du eine Grundschule besucht?«

      »Ja, sicher, schließlich gibt es in Deutschland eine Schulpflicht.«

      »Wie lange dauert die Grundschule?«

      »Leider nur vier Jahre. In einigen besonders fortschrittlichen Bundesländern beträgt die Grundschulzeit allerdings sechs Jahre. Dieses längere gemeinsame Lernen ist ganz, ganz wichtig für die gesunde soziale Entwicklung der Schüler und verhindert das frühzeitige Aussondern und Abschieben gerade der Kinder aus bildungsfernen Schichten.«

      »Die Selektion.«

      Gero nickt.