Casa Pipistrelli Das Haus der vergessenen Dinge. Peter Platsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Platsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741821790
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mit dem Frühstücksmesser, las aufgeregt die zwei Seiten, legte sie auf den Tisch, holte tief Luft und sagte mit einem unsicheren Seufzer: „Sie haben mich genommen.“

      Es war das Entwicklungsprojekt in Indien, wofür sie sich als Biologin beworben hatte und jetzt sollte sie sogar die Leitung übernehmen.

      „Für wie lange?“, fragte Papa mit belegter Stimme.

      „Mindestens ein Jahr. Das ist eine einmalige Gelegenheit, ein Sprungbrett für eine internationale Karriere. Ich werde alle vier Wochen nach Hause kommen, ihr könnt mich besuchen, das Jahr ist so schnell vorüber. “

      Inzwischen waren fast drei Jahre vergangen, und Niko hatte seine Mutter das letzte Mal vor vier Monaten gesehen, als sie für ein paar Tage nach München in ihr Institut kam und nur wenige Stunden Zeit hatte, ihn und Papa zu besuchen. Anscheinend hat sie dort ihren Traumjob gefunden, der sie vollkommen ausfüllt, sodass in ihrer jetzigen Welt nur wenig Platz für ihren Mann und Niko ist.

      Er träumt oft, stets den gleichen Traum. Sieht seine Mama in- mitten ihrer indischen Familie wunderschön in einen blau- bunten Sari gekleidet. Sie hat ihren Arm liebevoll um die Schulter eines schwarzhaarigen braunen Jungen gelegt, der ihn mit seinen dunklen Augen feindselig anschaut. Er geht auf den Jungen zu und je näher er ihm kommt, verschwimmt sein hübsches Gesicht und die fleischige Gestalt mit dem bösen Grinsen von Siegfried lässt ihn dann mit einem flauen Gefühl im Bauch aufwachen. Niko braucht dann immer Zeit, um sich wieder zurechtzufinden. Manchmal trottet er, noch nicht ganz wach, in das Elternschlafzimmer, kuschelt sich an seinen Papa, der ihn brummelnd in den Arm nimmt, bis sein gleichmäßiger Atem ihn wieder einschlafen lässt.

      „Nimm deine Tasche und steige ein. Es wird spät. Ich habe Hunger, wir können uns Spaghetti mit Tomatensoße und Gambas kochen oder wollen wir uns eine Pizza von unserem Italiener mitnehmen?“

      „Lieber Spaghetti. “ Niko hat zwar nach dem Streit mit Siegfried keinen Hunger mehr, aber die Aussicht, mit seinem Vater reden zu können während sie kochen, lässt die Wut, die Angst, langsam verblassen.

      Niko wirft seine Sporttasche auf den Rücksitz, plumpst erleichtert in den Beifahrersitz und dreht das Radio auf.

      „Surfi`USA...“grölen beide und grinsen sich an.

      “Mensch Niko, da war ich so alt wie du jetzt.“

      „Ich mag die Songs von den Beach Boys auch.“

      „Apropos surfen, wahrscheinlich werden wir diesen Sommer nicht gemeinsam in Urlaub fahren können.“

      Niko dreht das Radio leiser. „Warum nicht, ich habe mich so darauf gefreut. Ich dachte sogar, dass Mama mitfährt.“

      „Mama wird während des Monsuns in Indien bleiben und ich kann dieses Jahr nur eine Woche Urlaub nehmen. In dieser Woche möchte ich endlich unsere Einfahrt fertig pflastern. Aber ich habe am Rathaus in dem Schaukasten eures Basketball-Clubs ein Plakat gesehen, auf dem in den Sommerferien ein Basketballcamp angeboten wird. Du würdest dort mit Spielern aus der NBA trainieren. Das würde dir doch Spaß machen, oder?“

      „Das hat uns unser Trainer auch schon erzählt, ich will aber mit euch in Urlaub fahren.“

      Die eben noch so fröhliche Stimmung kippt in beleidigtes, nachdenkliches Schweigen.

      Zu Hause angekommen, räumt Papa das restliche Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und Niko läuft mit seiner Sporttasche in den Keller hinunter, um sein verschwitztes Trikot in die Waschmaschine zu stopfen. Als er es herauszieht, fällt klappernd ein Handy auf den Boden.

      Es ist eingeschaltet. „Das hat mir dieser Siegfried oder sein Freund in die Tasche geschmuggelt“, zischt Niko und will es schon wütend in die Kiste mit den verbrauchten Batterien werfen, steckt es aber dann doch in seine Hosentasche und geht wieder hinauf in die Küche, wo sein Papa die Gambas in der Pfanne mit dem heißen Olivenöl rot werden lässt.

      In diesem Moment klingelt das Handy.

      „Hast du einen neuen Klingelton?“ Belustigt schaut sein Papa von dem Topf mit der Tomatensoße hoch.

      Niko drückt die grüne Taste und meldet sich mit „Hallo?“

      „Du Ratte hast mein Handy geklaut!“

      Erschreckt drückt Niko die Auflegtaste. Das Handy läutet wieder.

      „Meine Eltern haben es schon als gestohlen bei der Polizei gemeldet, du wirst ganz schön Probleme bekommen“, lacht Siegfried hämisch.

      „Du hast es mir heimlich in die Tasche geschmuggelt“, schreit Niko und wirft es auf die Couch, als hätte er eine ekelige tote Maus in der Hand.

      „Ist das wohl gar nicht dein Handy

      ?“ Fragend schaut ihn sein Vater an.

      Wie aus einer geschüttelten Cola-Flasche sprudeln die Worte, als Niko seine Leidensgeschichte mit Siegfried erzählt. „Deshalb will ich auch nicht in das Basketballcamp, weil er bestimmt dort hingeht“, endet er mit trotziger Stimme.

      Sein Vater geht vor ihm in die Hocke und schaut ihm ernst in die traurigen Augen.

      „Hast du Angst vor ihm?“

      „Ja.“ Beschämt schaut Niko zu Boden.

      „Okay, dann bringen wir ihm jetzt das Handy zurück.“

      Siegfrieds Vater öffnet die Tür. Ein großer, fleischiger Mann

      füllt den Rahmen: „Sie wünschen?“

      Nikos Papa stellt sich vor, erklärt ihm den Vorfall und will ihm das Handy reichen.

      „Mein Sohn lügt nicht“, unterbricht ihn barsch Siegfrieds Vater, „wir werden die Angelegenheit unserem Rechtsanwalt übergeben“ und schließt unhöflich die Tür.

      „Ach du lieber Gott, was sind denn das für Eltern“, schneidet Nikos Papa eine Grimasse mit hochgezogenen Augenbrauen und drückt noch einmal den Klingelknopf.

      „Sind das schon wieder diese Leute“, hören sie eine keifende Frauenstimme, bevor die Tür wieder von Siegfrieds Vater geöffnet wird. Der Geruch von Schweinebraten dringt ihnen aus dem Flur entgegen.

      „Ich habe ihnen doch gesagt das regelt mein Rechtsanwalt. Übrigens hier meine Karte.“

      Nikos Papa hat sich nun so in die Haustüre gestellt, dass sie nicht mehr geschlossen werden kann. Mit einem Blick auf das Klingelschild versucht er es noch einmal mit ruhiger Stimme.

      „Herr Schmidthuber, wir haben auch eine Rechtsschutzversicherung, aber wir können doch über das Problem, das anscheinend unsere beiden Söhne haben, wie vernünftige Menschen reden. Hier ist das unversehrte Handy ihres Sohnes zurück und ich bitte Sie mit Siegfried zu reden, wie ich das auch mit Niko tun werde. Die beiden sollten sich die nächste Zeit aus dem Wege gehen. Nach den großen Ferien werden wir uns gemeinsam mit dem Trainer zusammensetzen und“….

      „Das Abendessen ist fertig“! ertönt wieder die strenge Stimme durch die offene Küchentür. Herr Schmidthuber holt mit rotem Kopf tief Luft. Aber bevor er antworteten kann drückt ihm Nikos Papa das Handy in die Hand, bedankt sich und wünscht einen guten Appetit.

      Niko, der die ganze Zeit seitlich hinter seinem Papa gestanden hat, stößt einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie sich durch den warmen Sommerabend auf den Nachhauseweg machen.

      „Das war cool“, drückt Niko Papas Hand. Der dicke Kloß in seinem Bauch ist schon viel kleiner geworden.

      „Warten wir `mal ab, ob dich dein Freund Siegfried vorerst in Ruhe lässt. Versuche, so wenig wie möglich in seine Nähe zu kommen. Auf jeden Fall sind nun unsere Spaghetti pappig und die Gambas trocken, komm wir gehen doch zum Italiener. Dort können wir uns in Ruhe darüber unterhalten, was du in den Ferien unternehmen wirst.“

      Das