Casa Pipistrelli Das Haus der vergessenen Dinge. Peter Platsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Platsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741821790
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      „Diese Aquarelle waren deine Erstlingswerke. Mit meinem alten Farbkasten habe ich dir die Farben beigebracht. Mein Gott, war das immer eine Panscherei. Du hast immer viel zu viel Wasser mit dem Pinsel in die Farben gerührt. Du kanntest schon lange, bevor du in den Kindergarten gingst, alle Farben.“

      Stolz und ein bisschen Traurigkeit klingt aus Opas Stimme. Niko hatte viel von seinem Opa gelernt. In den ersten zwei Jahren in der Grundschule erzählten die Lehrer während eines Elternabends, das Niko schwer zu überzeugen sei , da er oft eine Diskussion mit dem Argument beendet – das hat mein Opa gesagt.

      „Weißt du, wie der Ort heißt, wo der Treffpunkt sein soll? Das Tal kenne ich, glaube ich, aber den Namen des Ortes hat mir dein Papa in der ganzen Hektik nicht genannt, oder ich habe ihn einfach überhört.“

      Es war schon, wie des Öfteren, wieder alles unklar gewesen. Erst hieß es, Nikos Mama käme für zwei Monate aus Indien zurück, da dieses Jahr der Monsun in der Region um Kanpur, wo sie arbeitet, besonders heftig sei. Deswegen wäre Niko auch nicht ins Feriencamp gefahren, um bei seiner Mutter zu sein. Dann rief sie über ein Satellitentelefon an - das indische Festnetz funktioniert in der Monsunperiode in den entlegeneren Regionen nicht mehr - dass sie doch nicht käme. Ihr Team ist in den Süden nach Bangalore umgezogen. Dort sei das Klima erträglicher, nicht so feucht und heiß, und weil sie sich gerade in der wichtigsten Phase des Projektes befinden.

      So kam es, dass ihn heute Morgen Niko ganz aufgeregt anrief: „Opa, Opa kannst du mir helfen, ich fahre jetzt doch in das Feriencamp, Papa kann mich nicht hinbringen, weil er ausgerechnet heute nach Berlin muss, aber i..i..i..ich muss heute Nachmittag um drei Uhr am Treffpunkt sein!“

      Niko redet immer sehr schnell, aber wenn er aufgeregt ist, Angst hat, fängt er an zu stottern. Sein Opa weiß das. „Wann soll ich kommen“?

      „Gleich......bitte“!

      „Soviel ich weiß, liegt das Camp am Ende des Tales. An der Straße dorthin gibt es keine Ortschaft, also muss der Meeting- Place am Taleingang liegen.“

      „Okay, ich war zwar schon lange Zeit nicht mehr in diesem Tal, aber wir beide schaffen das doch, wie immer.“

      Sie grinsen sich beide an.

      „So, und jetzt suchst du `mal eine fetzige CD im Handschuhfach.“

      „Und du gibst jetzt endlich Gas, Opa!“

      Nachdem sie eine Zeit lang schweigend den Rhythmus, Opa am Lenkrad, Niko auf seinen Oberschenkeln, von „Highway to Hell“ mitgetrommelt haben, ruft Nikos Opa durch das Dröhnen des Basses: „Ich erinnere mich jetzt an das Tal, dreh` doch bitte mal` etwas leiser.“

      „Es war im Herbst nach meinem Staatsexamen, ich war mit Freunden auf einer Bergtour am Monte Stella. Wir sind nach drei Tagen Klettern in das Tal hinuntergestiegen und den langen ermüdenden Weg am Fluss entlang durch das Tal gewandert. Es dämmerte schon, wir waren alle ziemlich erschöpft, als plötzlich, wie aus dem Nichts, eine junge Frau vor uns stand. Sie war ganz aufgeregt, fuchtelte mit ihren Armen wild herum und schrie mit schriller Stimme auf Italienisch, wir sollten schnell einen Arzt holen. Erst waren wir so erschrocken, dass wir kaum verstanden, was sie wollte, es musste etwas ganz Schlimmes passiert sein. Dann beruhigten wir sie und versuchten ihr klar zu machen, dass ich Arzt sei. Sie nahm mich sofort bei der Hand und zog mich auf einen Seitenweg, der in einen lichten Laubwald führte. Wir hatten den Weg gar nicht bemerkt, er sah auch nicht so aus, als ob er viel befahren oder betreten wurde.

      „Venga, venga, presto presto, kommen Sie schnell!, rief sie mit immer noch angstvoller Stimme.

      Wir begannen zu laufen, ich sage dir, jetzt wurde es mir mulmig. Von wegen Arzt, ich hatte gerade mein Examen gemacht, aber praktisch hatte ich zu dieser Zeit kaum Erfahrung. Mein Herz klopfte mehr vor Angst als vom schnellen Laufen. Was erwartet mich dort, wohin sie mich mit all ihrer Angst und Verzweiflung zerrte. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange wir gerannt sind. Irgendwann eilten wir durch ein großes, offenes schmiedeeisernes Tor, quer durch einen Park mit alten mächtigen Bäumen auf eine herrschaftliche, aber schon etwas heruntergekommene Villa zu. Ich erinnere mich noch, da war ein runder schlanker Turm, ohne Fenster, irgendwie passte er nicht zu dem Gebäude.

      Wie auch immer, wir betraten durch einen Seiteneingang die große Küche, wo auf einem langen, derben Holztisch ein junger Mann, stöhnend in seinem Blut lag. Ein springender Ast hatte ihm bei Holzfällarbeiten die rechte Kniescheibe zertrümmert. Er blutete stark aus einer klaffenden Wunde. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst anfangen sollte.

      „Aiutarlo, helfen sie ihm.“, flüsterte die junge Frau nur noch und schaute mich mit ihren dunklen verzweifelten Augen an. Ich habe wie in Trance gearbeitet, die Wunde zugenäht, das Bein gerichtet und geschient. Ich höre heute noch seine Schmerzensschreie. Gott sei Dank ist er irgendwann in Ohnmacht gefallen, wir hatten ja kein Betäubungsmittel.

      Ich war froh, dass er nicht verblutet ist. Sein Bein habe ich mehr schlecht als recht zusammengeflickt. Das war wirklich kein Meisterwerk, ich habe noch heute ein schlechtes Gewissen. In meiner Verzweiflung habe ich ihm fest versprochen, wieder zu kommen, um ihn zu einem Spezialisten zu bringen.

      Mein Gott, ich war ja noch so jung und er fast noch ein Kind.“

      „Und weiter...?“Niko sah seinen Opa von der Seite an, er spürte, wie sehr ihn diese alte Geschichte berührte.

      „Später einmal hat er mir geschrieben, sich bedankt, sein Bein sei zwar steif, aber mit einem Gehstock könne er laufen, nicht lange aber er könne sich fortbewegen.“

      „Mensch Opa, was du schon alles erlebt hast, und...?“

      „Ich bin hingefahren, ich wollte ihn holen. Nach diesem Brief wünschte ich mir, dass er wieder einigermaßen gehen könnte, aber meinst du, ich hätte diese alte Villa wiedergefunden. Im Dorf waren die Leute sehr verschlossen, als ich mich nach ihm erkundigte, auch meine Frage nach dem Weg beantworteten sie nur mit einem abweisenden Schulterzucken. Ich bin dann bis zur nächsten Stadt weitergefahren. Dort erzählten die Leute von einem Hinkefuß, der mit Zigeunern und dem Teufel im Bunde gewesen sei. Über die Zeit habe ich die Geschichte dann vergessen oder einfach verdrängt.“

      Nachdenklich schaut er auf die grünen Autobahnschilder.

      „Bei der nächsten Ausfahrt müssen wir raus.“

      Acht

      Nach zweihundert Metern haben sie ihr Ziel erreicht - und dann - sie haben ihr Ziel erreicht. Peter mag die angenehm sanfte, weibliche Computerstimme. Er hat sie für sich auf den Namen Fee getauft. So, konnte er sich vorstellen, sprechen Feen.

      Sie haben die letzten Häuser der Ortschaft hinter sich gelassen.

      „Wohin denn nun?“ Peters Mama hat am Straßenrand angehalten und sich auf ihren Fahrersitz gestellt. Mit der einen Hand hält sie sich am oberen Rand der Windschutzscheibe fest, mit der anderen deutet sie auf die Berge rings herum.

      „Irgendwo muss es da reingehen. Ich kann doch nicht - Abzweigung mit Fluss, Brücke, dicke Eiche – in den Navi eingeben.“

      Sie sieht Peter an: „Hast du auch bemerkt, das Dorf hinter uns wirkt wie ausgestorben, ich habe niemanden gesehen.“

      „Vielleicht machen die alle Siesta“, meint Peter und steigt ebenfalls auf seinen Sitz.

      „Wenn wir weiter an dem Fluss dort drüben entlangfahren, müssten wir doch an eine Brücke oder an einen anderen Fluss aus einem Seitental kommen, wo dann bestimmt auch der große Baum steht.“

      „Du bist ja ein echter Pfadfinder, die Beschreibung des Treffpunktes ist wirklich, besch..., äähh, unklar. Ich hätte sie doch noch einmal durchlesen oder mitnehmen sollen. Also los, du bist jetzt der Navigator.“

      Peter bleibt auf seinem Sitz stehen, hält den Rand der Windschutzscheibe wie ein Steuerrad fest, er fühlt sich wie Captain Sparrow,