Casa Pipistrelli Das Haus der vergessenen Dinge. Peter Platsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Platsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741821790
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den Anorak, die Wanderschuhe, die Zahnbürste ...“ Lachend schlägt er die Zimmertür hinter sich zu, als die Sandale, die für Babu bestimmt war, geflogen kommt.

      Als Julia aufwacht, tanzen die Sonnenstrahlen, die von den Blättern des Nussbaumes vor ihrem Fenster bewegt werden, auf ihrem Kopfkissen über ihr Gesicht. Sie hat geträumt, sie liegt ganz still, bewegungslos. Die Bilder des Traumes mischen sich mit den gelb-orangen Lichtpunkten hinter ihren geschlossenen Augenlidern, als träume sie immer noch. Ich habe italienisch gesprochen, aber mit wem? Dann die dunklen Umrisse dieses großen Hauses, war es das Mondlicht, das die Fenster so bedrohlich auf sie herabblicken ließ? Langsam gleitet sie in den Traum zurück, erschrickt, als eine gebeugte Gestalt auf sie zu hinkt. „Aspetto te, ich erwartete dich“, eine weiße, zur Kralle gekrümmte Hand greift nach ihr, will ihren Arm berühren.

      Hellwach springt Julia aus dem Bett, reißt das Fenster weit auf, dass die Scheiben klirren. Der kühle Morgenwind streicht ihr über das Gesicht, sie atmet tief durch, bläst die Luft aus vollen Backen in die Stille des Morgens. Langsam schwindet die düstere Erinnerung an ihren gruseligen Traum.

      Noch im Schlafanzug springt sie die Treppe hinunter. Mama, Papa und Leo sitzen schon am Frühstückstisch.

      „Warum habt ihr mich nicht geweckt?“

      „Ach Schatz, in Deinem Camp wirst Du wohl nicht mehr lang schlafen können. Ich kann mir vorstellen, dass ihr mehrere Mädchen im Zimmer seid, da werden die Abende länger und ihr werdet früh aufstehen müssen, damit euer Tagesablauf nicht gar zu hektisch wird.“ Mama reicht ihr das Brotkörbchen.

      „Frühstücke noch einmal richtig mit Vollkornbrot, die nächsten Wochen bekommst du nur Pane bianco.“

      Alle am Tisch lachen. Julia überlegt, ob sie von ihrem Traum erzählen soll, aber sie beschließt, diesen Traum für sich zu behalten, da bestimmt alle noch mehr lachen würden.

      Julia ist tief in den Beifahrersitz gerutscht, hat ihre nackten Füße, trotz Papas Protest, auf die Ablage vor sich gelegt und schaut verträumt aus dem Fenster. Sie haben gerade den Brenner überquert, die leer stehenden Zoll- und Grenzgebäude passiert und Papa erzählt von früher, als sie noch gar nicht auf der Welt war, dass dies hier eine richtige Grenze war mit Schlagbaum, Polizeibeamten, denen man seinen Reisepass zeigen musste und langen Wartezeiten im Stau. Auf dem Heimweg von Italien hatten sie immer Bammel, wenn der Zollbeamte seinen Kopf durch das heruntergeleierte Fenster steckte, als ob er die zwei, drei Flaschen Wein, die sie zu viel mitgenommen hatten, riechen konnte und mit strenger Stimme fragte, ob sie etwas zu verzollen hätten.

      „Das ist schon eine feine Sache, dass wir in Europa fast keine Grenzen mehr haben, das bringt die Menschen näher zusammen. Für deine Generation wird das ganz selbstverständlich sein“, lächelt Julias Papa frohgelaunt und beginnt ein Lied von Eros Ramazotti zu summen.

      Julia hat zwar zugehört, aber immer wieder spukt der Traum von heute Nacht durch ihren Kopf.

       Sechs

      Peters Vater ist am Telefon. Er ist schon seit zwei Wochen in Indien und arbeitet dort gemeinsam mit einer großen Firma an einem Flugzeug-Projekt.

      „Hi Peter, ich möchte dir nur einen lustigen Urlaub wünschen, Mami bringt dich doch heute zum Meeting-Place. Hier bei mir ist es jetzt Mittag, dann ist es bei dir neun Uhr morgens. Frühstückt ihr gerade? Vergiss nicht deine Badesachen, Tennisschläger und......“

      „Aber Papa, ich denke erst morgen beginnt das Camp“, unterbricht ihn Peter aufgeregt.

      „Nein, nein heute, ich habe es mir extra in meinen Terminkalender notiert, gib mir bitte die Mama.“

      Die Eltern diskutieren und Mamas Stimme wird, wie meistens, am Anfang schriller, um dann plötzlich ganz ruhig und kühl zu enden.

      “Okay, okay, wir packen, wir haben noch sechs Stunden Zeit, um pünktlich am Sammelpunkt zu sein.“

      Selma ist inzwischen in das Wohnzimmer gekommen. „Komm Peter, mein Schatz, wir fangen schon einmal an, deine Sachen zusammenzupacken.“

      „Nehmen Sie am besten Peters Reisetrolley, da passt alles rein. Peter, ich muss für kurze Zeit in die Firma, ich bin aber um zehn Uhr wieder hier, dann haben wir noch genügend Zeit, um rechtzeitig zu deinem Abholtermin dort zu sein“, ruft ihnen Peters Mama hinterher.

      „Willst du etwas Bestimmtes mitnehmen?“, fragt Selma, während sie die T-Shirts und Sweatshirts ordentlich zusammenlegt und in dem Trolley verstaut.

      „Ist mir egal“, antwortet Peter lustlos, während er überlegt, ob er sein i-Pad oder sein i-Phone mitnehmen soll.

      „Soweit ich es mitbekommen habe, sind Handys in deinem Ferien-Camp nicht erlaubt.“, macht Selma ihm die Entscheidung leicht - als ob sie seine Gedanken erraten könnte.

      „So, jetzt sei nicht mehr so mürrisch und freue dich auf das Camp, das ist bestimmt viel spannender, als immer nur mit den Eltern in schicken Hotels am Swimmingpool oder Strand sich anständig benehmen zu müssen. Im Camp wird sich niemand aufregen, wenn du die ganze Woche mit einem T-Shirt herumläufst. Ich halte dir die Daumen, dass alles gut läuft und dir nichts passiert.“

      Da fällt Peter plötzlich seine Schatzkiste ein. Er schaut in seinem Zimmer herum, wo habe ich die nur versteckt. Unter dem Bett ? Dort würde sie Selma beim Saubermachen finden, also im Regal, ganz unten, hinter den Schachteln mit den alten Puzzles. Schon liegt Peter auf dem Bauch und zieht die Kartons aus dem Regal heraus. Viel zu hastig, sodass die oberste Schachtel herunterrutscht und die vielen bunten Teilchen überall auf dem Boden verstreut sind.

      „Scheiße!“, zischt Peter, schiebt die anderen Schachteln achtlos beiseite. Früher hatten sie oft, wenn es draußen regnete oder stürmte, gemeinsam im Wohnzimmer auf dem Boden gelegen und die vielen Teilchen zusammengefügt. Am PC ist es jetzt interessanter und ich brauche hinterher nicht immer aufzuräumen... ach, da ist sie ja die Schatzkiste... aber zu dritt war es lustiger.

      „Scheiße!“, flucht Peter lauter und versucht wütend alles auf einen Haufen zu schieben.

      „Wieso fällt mir gerade jetzt diese olle Schatzkiste ein?“ brummelt er ärgerlich über sich selbst.

      „Ich räume das Puzzle dann zusammen, jetzt musst du dich beeilen.“

      ´Warum verwöhne ich ihn eigentlich so sehr, er wird nie lernen, Ordnung zu halten, wenn ich ihm stets sein Zimmer aufräume´, fragt sich Selma und sucht ein Ecke für die Tennisschuhe in dem fahrbaren Koffer.

      Die Schatzkiste ist eine rechteckige Blechdose mit einem aufklappbaren Deckel, auf dem ein Wappen geprägt ist, ein Name, eine Jahreszahl. Die restliche Dose ist mit dunkelroten Ornamenten, Weintrauben, Blättern und einem Schloss auf goldenem Untergrund bemalt. Sein Vater hatte sie von Freunden geschenkt bekommen und wollte sie entsorgen, nachdem er die braune, bauchige Flasche mit dem wertvollen Inhalt entnommen hatte.

      Peter setzt sich auf sein Bett, klappt den Deckel auf, so genau kann er sich nicht mehr erinnern, was er alles gesammelt und in seine Schatzkiste nur für sich, als alleinigem Besitzer, verwahrt hat. Mit der einen Hand, Peter ist Linkshänder, wühlt er in seinem Schatz, eine Steinmaus, die er im Kindergarten gebastelt hat, ein rotes Taschenmesser mit einem weißen Kreuz darauf, zwei bunte Armreifen seiner Mama, einen schmalen Papierblock mit am unteren, halb aufgerollten Ende aufgemalten Strichmännchen – sein Papierkino, ein verrostetes Vorhängeschloss ohne Schlüssel und dann ein dünnes braunes Lederband. Er zieht es behutsam heraus bis auch der Stein, der daran hängt, zum Vorschein kommt. Der Stein ist hellgrün, glatt und als er seine Hand um ihn schließt, fühlt er dessen halbrunde Form, er ist nicht kalt, er hat die gleiche Wärme wie seine Hand.

      Peter steckt das Taschenmesser in seine Hosentasche. Als er sich das enge Lederband um seinen Hals hängen will, bleibt es an seiner Nase hängen. Er drückt es über die Nasenspitze, dabei fällt ihm ein, diesen Stein hatte er seiner Oma abgebettelt.

      Das Lederband mit dem durchbohrten Stein hing