„In der Regel ist es ja so, dass die Berichte von Lehrlingen nichts enthalten, was den Vorstand interessieren könnte. Bei Admont war das eine Ausnahme. Ich fand vor allen Dingen seine Herangehensweise interessant. Der Mann ist eine ausgesprochene Begabung. Der kann strategisch denken und geht ungewöhnliche Wege. Darauf wollte ich Herrn Sell aufmerksam machen.“
„Ungewöhnliche Wege gehen Sie, lieber Doktor. Seit wann werden hier im Hause die Informationswege vermint? Wieso werde ich nicht informiert?“
„Ich ging zunächst nicht davon aus, dass Admonts Vorschlag umgesetzt wird. Ich hätte Sie sonst selbstverständlich informiert. Wie schon gesagt, ich wollte Herrn Sell lediglich auf ein Talent aufmerksam machen.“
„Ich wollte, ich hätte, ich könnte. Mit Ihrer Begabung scheint es nicht weit her zu sein, Herr Doktor. Ich erwarte unverzüglich den Admont-Bericht und alle Stellungnahmen.“
Dieser Zwerg! Dr. Vogt schäumte innerlich, als er die 50 Meter zu seinem Büro zurücklegte. Zu dumm auch, die Sache war schiefgegangen. Natürlich hatte er Daser bewusst nicht informiert. Auf dem sogenannten Dienstweg ist schon so mancher Vorschlag versickert und hintertrieben worden. Dieser aufgeblasene Frosch! Vogt biss die Zähne zusammen, bewahrte Haltung bis zu seinem Büro.
„Fräulein Kohlhardt, ich möchte jetzt nicht gestört werden“. Später musste Fräulein Kohlhardt zu Sell durchstellen, eine Notiz für Vogts Akten aufnehmen und Felix Admont für den kommenden Tag bestellen.
Abends, noch bevor Elvira, seine Frau, ihn fragte, ob er lieber einen Sherry oder einen Cognac wolle, ließ Vogt Dampf ab. „Er hat wieder mal zugeschlagen. Dieser zu kurz gekommene, arrogante Pinscher hat mich angepinkelt!“
„,Reg dich doch nicht so auf, Georg. Das ist nicht gut für deinen nervösen Magen! Der Daser ist das nicht wert.“
„Ja, ich weiß, aber ich muss mich aufregen. Den ganzen Tag muss ich alles in mich hineinfressen. Ich kriege noch Magengeschwüre. Dann ist er so scheinheilig, so hinterhältig. Jedes Wort ist ein versteckter Angriff. Das ganze Gespräch ist vermint. In alles steckt er seine Nase, und wenn er was in den Fingern hat, dann kennst du das nachher nicht mehr wieder.“
„Ich weiß ja, wie der ist. Ich habe ihn ja selbst erlebt. Sekretärinnen bekommen allerhand mit, auch intime Einzelheiten. Ist dir das schon aufgefallen?“
„Natürlich, ja. Worauf spielst du an? Weil ich dich geheiratet habe und du meine Sekretärin warst?“
„Nein, ich meine, es wird schon seit Jahren über Daser hergezogen. Der Kleine mit dem großen Minderwertigkeitskomplex und mit einem Geltungsbedürfnis wie ein Wolkenkratzer. Und deswegen lässt er auch nur Zwerge um sich sein. Der herrscht doch in einem Zwergenstaat.“
„Das ist gut, da ist was dran. Ich hab das Wort auch schon gehört. Wenn man aber über Daser redet, muss man vorsichtig sein, denn der Feind hört überall mit.“
„Ja, das stimmt. Sein Zwergenstaat war ja schon zu meiner Zeit gut durchorganisiert. Nicht nur, dass er sich Winzlinge aussucht für seine Abteilung, die müssen auch noch alle den Buckel krumm machen. Er sucht sich Untertanen.“
„Um ihnen aber dann immer den Stiefel ins Genick zu stellen. Wer eigene Gedanken hat, wird ausgemerzt. Ekelhaft.“
„Aber wirkungsvoll. Es soll ja auch Leute geben, die Stiefel lecken, wenn man ihnen ins Gesicht tritt. Und einer von denen hat mir einmal vor Jahren ganz heimlich gesteckt, dass Daser eine halbe Million zahlen würde, wenn er seine Körpergröße nur um zehn Zentimeter strecken könnte.“
„Wirklich, wer war das? Das ist ja eine schöne Geschichte.“
„Das war der Schlichting, der kurz vor seiner Pensionierung den Herzschlag bekommen hat!“
„Gib mir einen Cognac, Elvira, trinken wir auf Schlichting, der diese schöne Geschichte kolportierte.“
Vogt beruhigte sich, er würde die Angriffe von Daser überstehen. Aber er übersah noch nicht die Auswirkungen für seinen Schützling Felix. Es erwies sich als ein schwerer Fehler von Dr. Vogt, dass er Felix Bericht dem eigenen Vorstand vorenthalten und nur an Sell weitergegeben hatte. Ein Fehler, der sich weniger für Vogt als für Felix Admont auswirken sollte. Bei seinem Gespräch mit Felix erwähnte er den Konflikt nur indirekt.
„Ich will Sie informieren, dass der Vorstand Personalwesen, Herr Daser Ihren Bericht leider nicht mit ähnlichem Wohlwollen wie Herr Sell aufgenommen hat. Herr Daser sieht das aus der Perspektive der Personalverantwortung. Und es geht ja auch um hundert Arbeitsplätze. Das ist durchaus legitim. So ein Rationalisierungsschritt greift natürlich in viele Kompetenzen ein“, erklärte er Felix, der hinter den wohlgesetzten Worten den Konflikt zwischen Vogt und Daser erahnte.
Felix hoffte, aus der Schusslinie zu kommen. Er hatte weder einen direkten Draht zu Sell noch zu Daser. Die starke, zähe und langlebige Feindschaft Dasers sollte ihm noch das Leben schwer machen. Von nun an war Felix unsichtbar für Daser. Er beachtete ihn nicht. Nur einmal, als Daser zu einem Dienstagsvortrag geladen war, wurde seine Aggression gegen Felix greifbar.
„Nun, was hat unser großer Stratege zu sagen? Lassen Sie mal ihr Licht leuchten, Herr Admont, aber an der richtigen Stelle“, flötete Daser, und viele lachten gehorsam.
Felix spürte den Neid als ein Ekelgefühl. Er fraß an seinem Wohlbefinden. Seine Haut war noch dünn. Ihm dämmerte, dass es nicht nur darauf ankam, durch exzellente Leistungen aufzufallen, es war ebenso wichtig, sich einen Panzer zuzulegen, um gegen seine Feinde gewappnet zu sein.
Kapitel 2
Eines Tages zog Großvater einen Joker. Felix und seine Mutter saßen beim Abendbrot, als er mit rotem Kopf und unruhigen Augen die Küche betrat.
„Ich muss mit euch reden.“
„Was ist vorgefallen, Vater?“
„Jetzt ist es endgültig. Die Gemüsefelder bei der Mühle werden Baugebiet. Ich komme von der Gemeinderatssitzung. Einstimmig ist das beschlossen worden.“
„Weißt du, wie viel es für Bauland gibt, Vater?“
„Die Preise sind enorm gestiegen. Die Nachfrage ist riesig. Es werden sicher noch mehr Baugebiete ausgewiesen. Jetzt, wo viele ein Auto kaufen, kann man aufs Land ziehen. Man redet von 50 Mark für den Quadratmeter. Als Bauernland wäre das nur ein zehntel soviel wert.“
„Das bedeutet, wir sind finanziell aus dem Schneider, Großvater?“
„Vorsicht, mein Junge. Vorsicht ist trotzdem geboten. Man kann Grund und Boden nur einmal verkaufen. Aber es gibt jetzt eine Alternative. Wir müssen nicht alles behalten. Du hast ja doch kein Interesse an der Landwirtschaft.“
„Man muss ja nicht gleich alles verkaufen. Aber es bedeutet doch Entwarnung für uns alle Großvater, dann brauchst du nicht mehr so zu schuften. Du legst das Geld gut an und lebst von den Zinsen. Und Mutter kann wieder durchatmen.“
„Nur nichts übereilen, Felix. Aber erleichtert bin ich schon. Ich sah das Land bereits brach liegen und veröden. So, Junge, jetzt trinken wir noch einen aus der Eierlikörflasche, die du neulich mitgebracht hast. Das ist doch mal eine gute Nachricht. Die muss begossen werden.“
Zufrieden und mit zwei Eierlikören und einem Pflaumenschnaps im Bauch schlürfte Großvater am Abend in sein Zimmer. Er faltete Hose und Hemd und legte sie sorgfältig über den Stuhl, der neben seinem Bett stand. Seine Zahnprothese kam in ein Glas mit Wasser auf den Nachttisch. Den Baldriantee rührte er nicht an.
Als Großvater am nächsten Tag nicht zum Sonntagsfrühstück kam, ging Felix hinauf, um nach ihm zu sehen. Er lag auf dem Rücken, eine Hand ruhte entspannt auf der Bettdecke. An den starr aufgerissenen