Karriere und Liebe. Phil Lister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Phil Lister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844251074
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Aber er hatte schon gelernt, Vorurteile zu überprüfen, nichts als gegeben hinzunehmen. Meinungen über Menschen oder Abteilungen wurden schließlich auch von Leuten wie EL geprägt, die nicht durch die Kraft ihrer Argumente überzeugten. Schließlich wandelte sich auch die Gesellschaft rasant, neue Herangehensweisen, neue Maßstäbe wurden gebraucht.

      Felix war offen, sogar neugierig auf die Hollerith-Abteilung, seit er wusste welche Leistungen die Zählmaschine des in Österreich geborenen Amerikaners, des Bergwerkingenieurs Dr. Hermann Hollerith, schon 1890 vollbrachte. Ursprünglich war die Maschine für die Volkszählungsbehörde gebaut. Die Volkszählung in den USA konnte in diesem Jahr mit 40 Hollerith-Maschinen und 40 Mitarbeitern in vier Wochen bewältigt werden. 10 Jahre zuvor hatten noch 500 Menschen sieben Jahre zu zählen und auszuwerten. Ihr Prinzip bestand darin, bestimmte einfache Informationen in Lochform auf Pappkarten zu stanzen. Liefen diese Karten durch eine Reihe von kleinen elektrisch geladenen Metallbürsten, so wurde zwischen Loch und Bürste ein Stromkreis ausgelöst, der eine Rechenmaschine und einen Schreibautomaten in Bewegung setzte. Später hat man dann die Hollerith-Entwicklung durch das Militär gefördert. Die Lochkartensprache wurde bereichert und verfeinert, man lernte, verschiedene Tatbestände auszudrücken und zu kombinieren.

      Schon nach dem ersten Tag war Felix von der Lochkartenmaschine überzeugt. Und fasziniert. Ein Wunder der Technik! Dieser Rechner konnte zwar nur zwischen Ja und Nein unterscheiden, aber was konnte man damit alles erfahren! In atemberaubender Geschwindigkeit wurden Millionen von brauchbaren Daten gespeichert und sortiert.

      Es gab aber auch eine andere Seite der Medaille, das war die Tatsache, dass der Lochkartenausstoß nicht befriedigend war, wie der Abteilungsleiter, Herr Bauer, offen zugab. Die Leistungen der knapp hundert Beschäftigten entsprachen nicht den Erwartungen. Es war fast ausschließlich Frauenarbeit. Nur der Abteilungsleiter und die Aufsichtspersonen waren männlich. Schon nach kurzer Beobachtung wurde Felix deutlich, dass die Tätigkeit eintönig und einseitig war. Immer dieselben Handgriffe und keine geistige Anregung, das war ermüdend.

      „Der Krankenstand ist viel zu hoch, obwohl wir doch ganz überwiegend sehr junge, belastbare Frauen eingestellt haben. Viele klagen über Nacken- und Rückenschmerzen“, erklärte Herr Bauer. Andererseits gebe es kaum Proteste der Beschäftigten gegen diese ungünstigen Faktoren.

      „Wenn ich sie nach Krankheitsgründen befrage, weichen sie aus.“

      Eine Woche betrieb Felix Feldforschung. Er beschäftigte sich in der Abteilung, unterhielt sich mit den Frauen und beobachtete die Arbeitsabläufe. Die Zeit zwischen den Pausen war offensichtlich zu lang. Viele Frauen suchten sie durch kleine Erholungsphasen abzukürzen, sie rauchten Zigaretten oder gingen für längere Zeit zur Toilette. Untereinander klagten sie offensiv über Verspannungen im Rücken, trockene Luft im Saal und fehlende Erholungsmöglichkeiten in den offiziellen Pausen. Es gab auch Spannungen zwischen den Kolleginnen, die offenbar von einer unzureichenden Personalführung herrührten. Das Arbeitsklima war gereizt und rau. Felix erkannte, dass auch Zank und Streit eine Möglichkeit war, Stress abzubauen, obwohl das für die Arbeitsleistung kontraproduktiv war.

      Wenn die Aufsicht den Raum verließ, nutzten viele Frauen die Gelegenheit zu einem Schwatz. Die Probleme schienen vielschichtig und kompliziert, das spornte Felix an. Zuerst musste die Frage geklärt werden: was war eigentlich das wirkliche Problem und was waren die Symptome? Eine Diagnose allein aufgrund von Symptomen erschien nicht sinnvoll. Möglicherweise ist dies der passende Ansatz für einen Mediziner. Ein Manager muss zunächst davon ausgehen, dass Symptome lügen, da er weiß, dass Probleme der unterschiedlichsten Art zu den gleichen Symptomen führen können und, dass andererseits ein und dasselbe Problem in einer unendlichen Fülle von Erscheinungen auftreten kann.

      „Man muss das Problem analysieren und nicht diagnostizieren“, hatte Dr. Vogt in einem seiner Dienstagsvorträge über die Frage „Was macht einen Manager aus“, erklärt. Die Analyse eines lokalen Problems müsse immer in Beziehung stehen zu den Zielen des gesamten Unternehmens.

      Felix begann mit einer Datensammlung. Nur eine möglichst umfassende Information konnte die Basis der Analyse sein. Er sammelte systematisch: Die biografischen Daten der Mitarbeiterinnen, die jährlich aufgeschlüsselten Krankenstände in der Bank und speziell in der Hollerith-Abteilung; er nahm die Anordnung der Arbeitsplätze und die Sitze in Augenschein, er maß die Luftfeuchtigkeit.

      Schnell wurde ihm klar, die Informationssammlung selbst erfordert schon eine geschickte und phantasievolle Herangehensweise, mit der Hintergründe aufgedeckt und die Problemstellung überprüft werden konnte. Ein weiteres Problem war die Glaubwürdigkeit der Daten selbst. Offenbar verweigerten viele Frauen aus verschiedenen Gründen eine ehrliche Antwort. Wie konnte er an verlässlichere Daten gelangen?

      Felix führte die anonyme Befragung ein. Nur so konnte er seine Informationen absichern. Ein kühnes Vorhaben für einen Lehrling, das er mit seinem Ausbildungsleiter besprach. Dr. Vogt, der jeden Schritt mit Wohlwollen verfolgte, unterstützte seine Pläne. Gemeinsam erarbeiteten sie einen Fragebogen. Auch Herr Bauer, der Abteilungsleiter, zeigte sieh kooperativ. Vielleicht war das, was der forsche Lehrling da inszenierte, sogar zu gebrauchen.

      Die Mitarbeiterinnen wurden in einer Versammlung ausführlich informiert, strikte Anonymität zugesichert. Die Ergebnisse überraschten: Als großer Missstand wurde die schlechte Bezahlung empfunden, die nicht im Einklang mit den Anforderungen zu stehen schien. Mehr Selbständigkeit bei den Pausenregelungen, die Möglichkeit von individuellen Kurzpausen war ein zweiter wichtiger Komplex. Die Gestaltung der Pausenräume, der Arbeitsplätze und der Umgebung wurde als weniger relevant eingeschätzt, obwohl zwei Drittel der Frauen chronische Erkältungen und Rückenschmerzen notierten. In der Gesamtbewertung notierten aber auch die Frauen, die massive Kritik übten, überwiegend eine hohe Arbeitszufriedenheit. Dies korrelierte jedoch mit einer Frage zur Arbeitslosigkeit. Die Angst, seine Arbeit zu verlieren war allem Anschein nach der Motor für die Zufriedenheit an diesem Arbeitsplatz.

      Oft saß Felix noch bis tief in die Nacht an den Daten. Vieles widersprach sich, es kam darauf an, richtig zu gewichten. Er studierte wieder und wieder die Geschäftsberichte und die Zielvorgaben der Bank, die ja die Rahmenbedingungen für die Lösung der Probleme absteckten. Mittelfristig wurde ein jährliches Wachstum von 7% unterstellt. Übertragen auf die Hollerith-Abteilung bedeutete dies eine erhebliche Erweiterung, sowohl räumlich als auch personell. Wie könnte die Lösung aussehen?

      Dr. Vogt wusste oft Rat. „Ist es denn überhaupt richtig, nur nach einer Lösung zu suchen? Nach einem Patentrezept?“

      „Ich glaube auch, dass man zunächst nach Alternativlösungen suchen muss. Ich muss mehrere Lösungen gegeneinander abwägen können.“

      „Das glaube ich auch. Das Entweder-Oder-Denken lässt ja nur zwei Möglichkeiten zu. Zunächst würde ich alles abklopfen und die Alternativen erarbeiten und darstellen. Welche sehen Sie denn?“

      „Ich denke, dass man die Frauen mehr in die Pflicht nehmen muss. Mit Kontrolle und Druck alleine ist es nicht getan. Man muss die Mitarbeiterinnen über Verantwortung einbinden. Wir könnten sie gruppenweise zusammenfassen und eine Frau verantwortlich machen, die auch entsprechend mehr bezahlt bekommt. Regelmäßige Schulungen und Gespräche mit diesen Frauen, nennen wir sie Vorarbeiterinnen, wären ein weiterer Schritt. Auch an der Arbeitsplatzsituation muss gefeilt werden. Viele Klagen sind berechtigt. Es ist unendlich viel zu tun, wenn sich die Abteilung zum Positiven verändern soll. Und das wird enorm aufwändig. Und hinzu kommt ja die vorhersehbare Ausweitung des ganzen Bereiches.“

      „Gut, das ist schon ein Bündel von Alternativen. Arbeiten Sie daran, und vergessen Sie nicht, dass zum Finden der besten Alternative auch der Zeitrahmen und die Sparsamkeit des Aufwandes gehört.“

      Und Felix brütete, rechnete, diskutierte verschiedene Alternativen. Schließlich kristallisierte er seinen Vorschlag unter diversen Alternativen heraus: Es war ein eindimensionaler, aber schlüssiger Vorschlag: Unter Berücksichtigung der Ziele und des Kostenrahmens ist es sinnvoll, das Ablochen der Belege an Fremdfirmen zu vergeben, die Abteilung zu schließen. Das Personal kann entweder zu der Fremdfirma wechseln oder umgeschult und in anderen Abteilungen untergebracht werden.

      Nachdem er seinen Bericht