Aber Mutter ahnte wohl trotzdem etwas. „Dein Hemd riecht nach Parfüm und Zigaretten. Wo du doch Nichtraucher bist.“
„Ach, ja, Mutter. Das kann sein. Vielleicht kommt der Geruch von der Abschlussfeier. Da wurde es manchmal eng.“
„Stimmt es, du bist der beste Lehrling, den die Bank hatte?“
„Stimmt, ich bin der beste in diesem Jahrgang. Aber du weißt ja, es waren auch viele Luschen dabei. Fünf von den Söhnchen sind erst gar nicht zur Prüfung angetreten. Trotzdem ist ihnen ein Job in der obersten Etage sicher.“
„Ja, aber du kommst ja jetzt auch weiter. Das ist doch ein Erfolg.“
„Ja, Mutter, das stimmt. Ich bin auch sehr stolz. Das kannst du mir glauben. Ich denke auch, es wird sich jetzt einiges ändern müssen. Wenn ich den Posten im Vorzimmer von Sell ausfüllen soll, dann wird es abends immer spät, denn ich muss mich in die neue verantwortungsvolle Aufgabe erst noch einarbeiten. Für lange Zugfahrten habe ich dann keinen Nerv mehr.“
„Das heißt, du willst ausziehen? Dann bin ich allein in dem großen Haus?“
„Ich werde wohl ausziehen müssen. Du musst dich allmählich mit dem Gedanken anfreunden. Ich weiß nicht, ob du allein in dem Haus bleiben sollst. Solltest du dich nicht lieber verkleinern?“
„Also, Felix, das kommt nicht in Frage. Ich bin hier, und ich bleibe hier, bis man mich mit den Beinen voraus hinausträgt. Was du machst, gut, das musst du entscheiden. Hast du schon eine Wohnung?“
„Nein, es wird sich auch noch hinziehen. Es ist eine Sache, die gut vorbereitet werden muss.“
Zuerst machte Felix nun den Führerschein und kaufte sich einen VW-Käfer. Damit fielen die zeitraubenden Zugfahrten weg. Er wurde unabhängiger und mobiler. Gelegentlich holte er sogar die Mutter für eine Fahrt nach Frankfurt. Das brachte Abwechslung in ihr eintöniges Leben. Aber mehr als zwei Stunden hielt sie es in der betriebsamen Metropole nicht aus. Dann saß sie wieder im Bummelzug und fuhr nach Hause.
Mutter war einsam, keine Frage. Und unbeweglich. Sie hatte sich ihr Leben zwischen Arbeit und Pflicht eingerichtet, und beides half ihr, die Enttäuschungen zu überwinden, aber sie besaß nicht die Kraft, etwas Neues anzufangen.
Am 1. April begann Felix seine berufliche Laufbahn im Vorzimmer von Sell. Fräulein Sindermann kochte jetzt auch für ihn Kaffee und organisierte Termine, wimmelte ungebetene Gäste ab. Frau Binder schrieb seine Briefe und erledigte den Formularkrieg. Auf Felix' Schreibtisch standen zwei Telefone, eines war der heiße Draht direkt zum Ohr seines Chefs. Der war voll des Lobes über seinen begabten Assistenten, dessen Vorschlag, das Ablochen der Belege zu vergeben, inzwischen umgesetzt worden war.
„Die Bank hat sich die Erweiterungskosten gespart und wir haben nicht mehr unter den extrem hohen Krankenständen zu leiden“, erzählte er jedem, der es hören wollte. Nur Daser hörte regelmäßig gezielt weg.
Felix' erstes Ziel war es, die Weichen für die von Donovan aufgezeigte Entwicklung zu stellen. Dazu brauchte er Sells Unterstützung. Der stand der ,,Denkmaschinenindustrie“ durchaus positiv gegenüber.
„Wie Donovan erzählte, ist die Lochkartensprache durch Neuentwicklungen über kurz oder lang überholt. Jetzt wird ein Magnetband verwandt. Das Magnetband kann auf einer fünfhundert Meter langen Spule in Form winzigster magnetischer Pünktchen soviel Information aufnehmen wie eine herkömmliche Lochmaschine. Diese hochgezüchteten Denkmaschinen, wie sie sagen, sind nicht nur imstande, fast jede arithmetische Operation blitzschnell auszuführen, sie können auch Tausende von Informationen in ihrem Gedächtnis vergleichen, aufbewahren und auf Abruf in Bruchteilen von Sekunden in der richtigen Reihenfolge darstellen.“
„Das ist beeindruckend, lieber Admont. Ich habe auch schon darüber gelesen. Aber, wer kennt sich damit aus?“
„Das ist es ja gerade. Wenn wir die Denkmaschinen bei uns einsetzten, dann brauchen wir auch Spezialisten, die damit umgehen können. Das heißt, wir müssen schon heute Leute auswählen und schulen, damit sie den Umgang mit den Großrechnern lernen. Wir müssen vorbereitet sein. Donovan hat versprochen, mir das Material zu schicken.“
„Machen Sie das so, suchen Sie sich Leute aus, die Sie für geeignet halten. Schulung halte ich für sehr wichtig. Das ist ein ganz neues Gebiet. Wir brauchen Leute, die das beherrschen.“
Und so geschah es dann auch. Felix suchte sich in den einzelnen Abteilungen gezielt zwei bis drei Ansprechpartner, von denen er wusste oder ahnte, dass sie den neuen Entwicklungen positiv gegenüberstanden. Offenheit für Neues, war aber nicht das einzige Kriterium seiner Wahl. Er suchte junge Mitarbeiter, die das Angebot als Sprungbrett für einen internen Aufstieg begriffen.
Leistungsbereitschaft und der Wille zu Veränderung waren ebenso Voraussetzung wie die Fähigkeit zur Kommunikation; schließlich sollten sie später weitere Mitarbeiter in die Rechnerproblematik einweisen können.
Felix tastete sich vor, sammelte Informationen, führte Gespräche und formte dann in wenigen Wochen aus einem Kreis interessierter und fähiger Mitarbeiter eine hochmotivierte Gruppe.
Daser versuchte die Anstrengung zu hintertreiben. „Wer nichts kann und wer nichts weiß, der gründet einen Arbeitskreis“, frotzelte er gegenüber einem Mitarbeiter, der für den Kreis vorgesehen war. Und seine Vasallen kolportierten. „Ein Kamel ist ein Pferd, das von einem Arbeitskreis entworfen wurde.“ Felix erkannte in den Sticheleien eine gezielte Provokation, und er berichtete Sell davon. „Was wir brauchen, sind Handwerker und keine Maulwerker“, schimpfte Sell und spielte damit auf Dasers rhetorische Fähigkeiten an und unterstellte ihm ein Schicki-Micki-Vokabular. Dasers Angriff verpuffte, ja er war in seinem Sinne kontraproduktiv, denn Sell war das Gerede zuwider.
Unbeirrt ging Felix seinen Weg. Sicher, er sprach jeden seiner Schritte mit Sell ab, aber der bremste nicht, legte keine Hürden auf, um ihn an seinem Großrechner-Vorhaben zu hindern. Auch der Arbeitskreis funktionierte hervorragend. Felix führte regelmäßige Arbeitsessen ein, um den Zusammenhalt in seiner Truppe zu stärken, das Bewusstsein zu geben, dass ihr Engagement geschätzt wurde. Auch der Kontakt zu Donovan war intensiv, und er hatte zu jeder Zeit das Gefühl. sehr gut beraten zu werden.
Dann war es soweit. Der erste Großrechner wurde aufgebaut. Alle Mitarbeiter wurden auf einer Versammlung informiert. Die Mitglieder des Arbeitskreises hatten das Feld gut vorbereitet. Die neue Technik wurde akzeptiert. Und die Investition ins Personal machte sich bezahlt. Es gab wenig Anlaufkosten und Probleme. Seine Arbeitsgruppe erwies sich auch in der Anlaufphase als hervorragender Kommunikator. Sie führten abteilungsweise Informationsveranstaltungen durch, erklärten das System und nahmen so den Mitarbeitern die Scheu, damit umzugehen.
Auch Dasers Buschtrommel verstummte zeitweise, denn Felix erhielt im ganzen Haus Anerkennung. Vogt lud ihn zu einer Dienstagsrunde. Das empfand er als eine besondere Auszeichnung. Nach dem er kaum ein Jahr zuvor die Ausbildung beendet hatte, stand er selbst vor den Auszubildenden und erklärte ihnen die Bedeutung der Computertechnik. „Die Maschinen befreien den menschlichen Geist, sie nehmen ihm langweilige Routinearbeit ab, machen den Kopf frei für schöpferische Gedankenarbeit. Und das ist auch notwendig. Gebraucht werden Spezialisten, keine Buchhalter, sondern Bilanztechniker, Statistiker und Operators. Diese Reform der Organisation steht noch am Anfang. Gestalten Sie mit. Bringen Sie sich ein. Die Zukunft gehört den Computern“.
Felix verstand es, seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Er konnte überzeugen, motivieren. Und er genoss das Vertrauen seines Vorgesetzten. Als Anerkennung für die erfolgreiche Einführung des Großrechnersystems erhielt Felix Handlungsvollmacht. Natürlich war damit auch eine kräftige Gehaltserhöhung verbunden. Es ging auch finanziell steil aufwärts.