Der Shaolin. Karl-Heinz Jonas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl-Heinz Jonas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742736345
Скачать книгу
anderen Mönche nicht unterschätzen.“

      Li Ning nahm sich vor, die Worte des Meisters ernst zu nehmen.

      Obwohl das stundenlange Wandern mit Gepäck ungewohnt und daher recht anstrengend war, freuten sich die jungen Mönche doch, auf diese Weise einen Teil ihrer Heimat kennenzulernen.

      Als die Wanderer nach sechs Tagen ihr Ziel erreichten, waren sie von dem Treiben im gastgebenden Kloster überrascht. Sie waren bei weitem nicht die ersten, die angekommen waren, und stündlich wurden es mehr. Es herrschte eine Stimmung wie auf einem Volksfest.

      Meister Shu und seine jungen Kämpfer wurden vom Abt des Klosters auf das Herzlichste begrüßt, ebenso wie alle anderen auch. Sie erfuhren, dass Kämpfer aus zwanzig Klöstern ihre Teilnahme angekündigt hatten. Kämpfer aus der gesamten Provinz Henan würden also am Start sein!

      Meister Shu hatte in jungen Jahren des öfteren an solchen Turnieren teilgenommen und auch mehrmals gewonnen. Doch eine solch große Teilnehmerzahl war auch in seinen Augen ungewöhnlich.

      Bis zum Turnierbeginn waren noch zwei Tage Zeit. Sie wurden genutzt, um sich an die ungewohnte Atmosphäre zu gewöhnen, andere Mönche kennenzulernen, aber auch, um noch ein wenig zu trainieren. Im Einvernehmen mit seinem Meister achtete Li Ning darauf, die neuen Techniken noch nicht zu zeigen. Diese würde er erst im Wettkampf anwenden.

      Endlich war es soweit, der Wettkampftag brach an. Alle Teilnehmer und deren Meister waren schon sehr früh auf den Beinen, um sich so gut wie möglich auf den Wettkampf vorzubereiten.

      Dann versammelte man sich auf dem Kampfplatz, um der Eröffnung beizuwohnen.

      Die Eröffnungsworte des berühmten Meisters Tang Fu brachten für alle Anwesenden eine Überraschung.

      „Liebe Brüder, verehrte Meister“, begann er. „Ich bin sehr glücklich, dass so viele Kung-Fu-Kämpfer den Weg in unser Kloster gefunden haben. Zeigt es doch, wie intensiv unsere traditionelle Kampfkunst in den Klöstern unserer Provinz betrieben wird. Dies freut mich umso mehr, da am heutigen Tag auch in allen anderen Provinzen des Reiches der Mitte ein ebensolches Turnier stattfindet. Die Sieger dieser Turniere werden an den erstmals stattfindenden Meisterschaften des gesamten Reiches teilnehmen. Deshalb möge der Beste von euch den Sieg davontragen und unsere Provinz Henan bei den großen Meisterschaften würdig vertreten.“

      Nach den letzten Worten Meister Fus ging ein Raunen durch die Menge. Eine Kung Fu-Meisterschaft des gesamten chinesischen Reiches! Damit hatte das heutige Turnier beträchtlich an Bedeutung gewonnen. Aber nur der Sieger würde berechtigt sein, an diesen Meisterschaften teilzunehmen.

      Meister Fu gab nun den Ablauf des heutigen Wettkampfes bekannt. Es war denkbar einfach: Das Los entschied über die Reihenfolge, in der die Kämpfer aufeinander trafen. Die Sieger kamen eine Runde weiter, während die jeweiligen Verlierer ausschieden. Auf diese Weise halbierte sich die Anzahl der im Wettkampf verbliebenen Teilnehmer nach jedem Durchgang, bis nur noch zwei Kämpfer ohne Niederlage waren. Diese beiden würden dann um den Sieg streiten.

      Auch die Regeln, nach denen die Sieger ermittelt wurden, waren leicht zu verstehen und selbstverständlich allen bekannt. Derjenige, der seinen Gegner in eine ausweglose Position zwang, war der Sieger. Dies konnte dadurch erreicht werden, dass ein Schlag oder Stoß so angesetzt wurde, dass er den Gegner im Ernstfall kampfunfähig machen oder gar töten würde. Eine zweite Möglichkeit bestand darin, den Gegner mit Hilfe der Arm, Beine oder eines anderen Körperteil auf den Rücken zu werfen, sodass diesem die Möglichkeit zur Gegenwehr genommen wurde. Eine Zeitbegrenzung war nicht vorgesehen, was beim Aufeinandertreffen gleich starker Gegner zu recht langwierigen Auseinandersetzungen führen konnte.

      Da alle Kämpfe nacheinander und auf derselben Fläche ausgetragen wurden, hatte jeder Teilnehmer die Möglichkeit, seinen nächsten Gegner zu beobachten.

      Li Ning führte eine sorgfältige Erwärmung seines Körpers durch. Er wollte und durfte seine Gegner nicht unterschätzen, auch wenn sicher keiner der hier anwesenden Mönche so intensiv trainiert hatte wie er.

      Seine ersten Gegner besiegte er dann auch ohne große Mühe und binnen kurzer Zeit.

      Er war erfreut, dass auch seine Brüder ihre ersten Duelle siegreich gestalten konnten, wenn auch mit mehr Mühe.

      Gegen Abend waren nur noch vier Mönche unbezwungen, davon allein drei Schüler Meister Shus. Dies erfüllte ihn selbstverständlich mit großem Stolz, und gern hörte er die lobenden Worte der anderen Meister.

      Li Ning war Hua Feng, der einzige aus einem anderen Kloster stammende und noch im Turnier befindliche Mönch, bereits während der ersten Kämpfe aufgefallen. Er bestach durch traumhafte Sicherheit seiner Bewegungen und extremer Schnelligkeit sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung.

      Diesem gelang es nun auch als erstem durch einen recht überlegenen Sieg über Li Nings Freund Shen Wu das Finale zu erreichen.

      Zhong Fong, ein guter Freund und nächster Gegner Li Nings, wusste ob dessen Überlegenheit, wollte sich aber trotzdem nicht widerstandslos geschlagen geben. Er leistete erbitterte Gegenwehr, solange es ihm möglich war. Li Nings Erreichen des Endkampfes konnte er allerdings nicht verhindern. Er gab ihm die Hand und wünschte ihm für den letzten Kampf viel Erfolg. Li Ning bedankte sich.

      Auch Meister Shu kam vor dem entscheidenden Kampf noch einmal zu ihm.

      „Bruder Ning“, sagte er. „Du weißt, worum es jetzt geht. Hua Feng ist kein Unbekannter. Man sagt, er sei noch unbezwungen.“

      „Ich werde mein Bestes tun, Meister.“

      „Das weiß ich. Ich weiß auch, dass du bisher ohne die neuen Techniken ausgekommen bist. Du solltest dich jedoch nun nicht länger vor der Anwendung scheuen, sollte es notwendig sein.“

      „Wäre das nicht unfair, Meister?“

      „Nein, Bruder Ning, im Gegenteil! Alle Techniken sind von dir selbst erdacht und entsprechen den Regeln. Und bedenke noch eins: Wie willst du in Erfahrung bringen, ob sie im Ernstfall wirksam sind, wenn du sie nicht im harten Wettkampf erprobst? Besonders, wenn du zeigen kannst, dass sie gegen sehr starke Gegner zum Erfolg führen. Unfair wäre es wohl eher, behieltest du diese Techniken für dich. Sie sollten allen Kung Fu-Kämpfern zugänglich sein. Und deshalb darfst du dich nicht scheuen, sie anzuwenden.“

      „Gut, Meister. Wenn es notwendig ist, tue ich es.“

      Li Ning wurde zum Kampf gerufen.

      Sein Gegner erwartete ihn bereits an der Wettkampffläche.

      Als sie einander gegenüberstanden, begrüßten sie sich durch die übliche höfliche Verbeugung.

      Li Ning war fest entschlossen, sofort den Angriff zu suchen und die erste Möglichkeit zur Beendigung des Kampfes zu nutzen.

      Hua Feng wehrte sich, so gut er konnte, doch war schon bald abzusehen, dass er Li Ning auf Dauer nicht gewachsen sein würde. Li Ning bedrängte seinen Gegner permanent und ließ diesem keine Möglichkeit zu eigenen Angriffen. Doch gelang es Hua Feng immer wieder, den Angriffen im allerletzten Moment auszuweichen.

      Li Ning sah den unbändigen Ehrgeiz in den Augen Hua Fengs brennen und wusste, dass dieser alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel nutzen würde, um den Sieg davonzutragen.

      Beim nächsten Angriff Li Nings geschah es dann: Um die sichere Niederlage zu vermeiden, führte Hua Feng einen scheinbar unkontrollierten Fußstoß gegen Li Nings Unterleib.

      Obwohl Li Ning mit einer solch unfairen Handlung seines Gegners nicht rechnen konnte, gelang es ihm, durch eine blitzschnelle Körperdrehung dem Fuß auszuweichen. Gleichzeitig schlug er mit dem eigenen Fuß Hua Feng das Standbein weg, sodass dieser krachend auf dem Rücken landete. Sofort setzte er ihm nun ein Knie auf die Brust und deutete einen Fauststoß zum Kopf Hua Fengs an, der im Ernstfall tödlich gewesen wäre.

      Jubelrufe belohnten diesen Erfolg, und Li Ning wurde sofort von seinen begeisterten Kameraden umringt. Sie alle freuten sich mit ihm.

      Obwohl der unfaire Angriff Hua Fengs und die