Der Shaolin. Karl-Heinz Jonas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl-Heinz Jonas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742736345
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Meister Fu.

      Dieser tat wie ihm geheißen.

      „Bruder Ning“, begann Meister Fu, als beide wieder den Raum betreten hatten. "Meister Shu ist des Lobes voll über dich und dein Können. Er ist davon überzeugt, du seist in der Lage, die hier anwesenden Meister zu besiegen und hat gebeten, dich am morgigen Turnier teilnehmen zu lassen, um dies zu beweisen.“

      Li Ning war beschämt. Warum hatte der Meister nicht gesagt, warum man ihn sprechen wollte? Nun waren alle Blicke auf ihn gerichtet – freundliche, aber auch zweifelnde.

      „Wir alle haben gesehen“, hörte er den alten Meister fortfahren, „dass du über ausgezeichnete Fähigkeiten verfügst. Doch müssen wir zweifeln, dass wir alle dir nicht gewachsen sein sollen. Meister Shu ist sich jedoch ganz sicher, dass du uns mit Hilfe von dir selbst erdachter Techniken überlegen bist. Ich schlage deshalb vor, dich an dem Turnier teilnehmen zu lassen, um uns zu überzeugen. Wende deine Techniken an, damit wir sehen, ob sie wirksam sind.“

      Sicher waren nicht alle von diesen Worten begeistert, doch sprach sich auch niemand dagegen aus.

      Da nun Li Nings Teilnahme beschlossene Sache war, führte Meister Shu Li Ning wieder hinaus.

      „Bruder Ning“, sagte er. „Ich weiß, was ich von dir verlange, hätte ich vorher mit dir besprechen müssen. Doch da mir die Idee wie eine Eingebung kam, blieb mir dafür keine Zeit. Wie wichtig deine Techniken nach meiner Überzeugung für unser Kung Fu sind, habe ich dir bereits gesagt. Gibt es eine sicherere Möglichkeit, auch die anderen Meister dafür zu begeistern, als sie damit zu besiegen?“

      Es war beschlossen, Li Ning hatte keine Wahl. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr musste er dem Meister Recht geben. Er würde alles daransetzen, Meister Shu nicht zu enttäuschen.

      Was wäre jedoch, wenn er nicht siegte? Er, und noch viel mehr der Meister, wären bis auf die Knochen blamiert! Hatte Meister Shu vielleicht mit seiner Bitte übereilt gehandelt? Aber egal, wie er bei dem Turnier auch abschneiden würde, er war entschlossen, an der Verbesserung seines Kampfstils weiterzuarbeiten. Er glaubte fest daran, dass er damit langfristig erfolgreich sein würde.

      Doch was war nun eigentlich das Neue an seinem Kampfstil? Es war ganz einfach: Jeder Kung-Fu-Kämpfer war darauf bedacht, seinen Gegner in eine unterlegene Position zu zwingen. Eine der wichtigsten Möglichkeiten hierfür bestand darin, diesem das Gleichgewicht zu nehmen, um ihn zu Boden zu werfen. Keinem Kämpfer wäre es auch nur in den Sinn gekommen, freiwillig das eigene Gleichgewicht zu opfern oder sich gar in die Bodenlage zu begeben. Doch gerade darin lag Li Nings Geheimnis. Dadurch ergaben sich ganz neue Kampfsituationen, in denen auch viele neue Techniken zur Anwendung kommen konnten.

      Lange dachte Li Ning an diesem Abend nach, und er verbrachte eine unruhige Nacht. Das morgige Ereignis war einfach zu wichtig.

      Während der Eröffnung des Wettkampfes wurde die Teilnahme Li Nings bekannt gegeben. Besonders seine Freunde waren hellauf begeistert, und alle jungen Mönche - unter ihnen selbstverständlich auch Hua Feng – wünschten ihm viel Erfolg. Selbstverständlich gab es nicht wenige unter ihnen, die ein erfolgreiches Abschneiden Li Nings nicht ernsthaft für möglich hielten.

      Der Zufall wollte es, dass Li Ning erst einen der letzten Kämpfe des ersten Durchgangs bestritt. So konnte er mit Befriedigung feststellen, dass Meister Shu seine Auseinandersetzung recht überlegen gewann. Dabei hatte er allerdings vermieden, etwas Neues anzuwenden. Dies wollte der Meister offensichtlich ihm überlassen.

      Li Nings erster Gegner war fast doppelt so alt und deshalb viel erfahrener. Li Nings Vorteile lagen vielleicht in seiner überragenden Schnelligkeit, doch dies glich der Ältere zweifellos durch die Sicherheit in seinen Bewegungen aus. Es würde wahrscheinlich ein langer Kampf werden, und der Ausgang war völlig ungewiss. Li Ning war durchaus klar, dass seine Aussichten auf einen Sieg mit zunehmender Kampfzeit. schwanden. Und die Körpersprache seines Gegners ließ vermuten, dass auch dieser das wusste.

      Li Ning hatte seinen Kontrahenten beobachtet und sich daraufhin eine seiner selbst erdachten Techniken in den Kopf gesetzt, mit der er zum Erfolg kommen wollte. Dazu musste er auf den richtigen Moment warten. Doch sein Gegner reagierte nicht wie von Li Ning vorausgesehen. Wider Erwarten hatte er einige Male die Möglichkeit, mit anderen Techniken den Kampf zu beenden, doch nutzte er sie nicht. Nun kam er plötzlich selbst öfter in Bedrängnis, aus der er sich nur mit größter Mühe befreien konnte.

      Li Ning schaute zu seinem Meister. Dieser schüttelte verständnislos den Kopf. Er hatte kein Verständnis für den ungewohnten Eigensinn seines Lieblingsschülers.

      Auch die anderen Meister hatten sich von Li Nings Kampfkünsten offensichtlich mehr versprochen. Meister Fu hingegen hatte eine undurchdringliche Miene aufgesetzt. Niemand sah ihm an, dass er Li Nings Teilnahme kein zweites Mal befürwortet hätte.

      Li Ning wandte sich wieder seinem Gegner zu und war nun fest entschlossen, die nächste sich bietende Möglichkeit zu nutzen. Doch dann tat ihm der Ältere doch den nötigen Gefallen. Nach einigen Fauststößen, denen Li Ning auswich, schlug der Meister mit der Handkante von der Seite zu. Anstatt den Schlag mit den Armen abzufangen oder mit dem Oberkörper darunter wegzutauchen, blieb Li Ning aufrecht und spreizte seine Beine so weit, dass er auf dem Boden zu sitzen kam. Die gegnerische Hand fuhr über seinen Kopf hinweg, und bevor der Meister seinen Arm zurückziehen konnte, traf ihn ein angedeuteter Fauststoß Li Nings unter dem ungedeckten Brustbein. Dieser Stoß, mit aller Kraft ausgeführt, hätte den Gegner getötet.

      Li Ning schaute in die Augen des besiegten Meisters. Dieser konnte nicht fassen, dass der junge Mönch ihn bezwungen hatte, obwohl, oder gerade weil dieser vor ihm saß.

      Als Meister Fu Li Ning zum Sieger erklärte, blieb der Beifall zunächst aus. Vielleicht hielten die Zuschauer es für einen Zufall, oder glaubten, er sei ausgerutscht. Erst als die vier jungen Mönche aus dem Kloster von Shaolin zu jubeln begannen, und auch Meister Shu Beifall spendete, stimmten die anderen ein.

      In der folgenden Kampfpause suchte Meister Shu Li Nings Nähe. Dieser schämte sich – trotz des Sieges. Durch seinen Starrsinn hätte er beinahe eine unnötige Niederlage erlitten. Er versprach, einen solch dummen Fehler nicht noch einmal zu begehen.

      Sein nächster Gegner war etwa zehn Jahre älter als er, also für einen Meister noch recht jung. Trotz seiner Fehler im vorherigen Kampf hatte der letztendliche Sieg doch sein Selbstvertrauen gestärkt. Er bewegte sich nun so ungezwungen, als sei er beim Training im heimischen Kloster. Bereits nach wenigen Minuten bot, sich eine Gelegenheit, den Kampf zu beenden. Diese nutzte Li Ning konsequent aus. Als der junge Meister einen Fauststoß in Richtung Li Nings Kopfes führte und sich dabei ein wenig zu weit vorbeugte, unterlief ihn Li Ning blitzschnell. Gleichzeitig erfasste er die Arme seines Gegners und zog diesen nach vorn. Auf den Rücken gleitend setzte er seinen Fuß am Unterleib des jungen Meisters an, und indem er nun sein Bein streckte, führte er die Vorwärtsbewegung seines Gegners weiter. In hohem Bogen flog er über Li Ning hinweg und landete auf dem Rücken. Mit einer schnellen Rolle rückwärts kam Li Ning auf der Brust seines überraschten Gegners zu sitzen. Die Andeutung eines Fauststoßes zum Kopf beendete den Kampf.

      Wieder hatte er gesiegt! Die Stimmung, besonders unter den jungen Mönchen, schwoll an. Doch auch die Meister sparten nun nicht mehr mit lobenden Worten.

      In Ruhe konnte Li Ning nun den nächsten Kampf seines Meisters beobachten. Er freute sich, mit ansehen zu können, welch überragender Kämpfer Meister Shu war. Auch er benötigte nicht mehr Zeit als zuvor Li Ning, um einen entscheidenden Stoß auszuführen. Mit diesem Sieg hatte Meister Shu den Endkampf erreicht.

      Der nächste Kämpf Li Nings würde darüber entscheiden, ob auch ihm dies gelang.

      Meister Fong hatte Li Ning sehr gut beobachtet und war fest entschlossen, sich nicht von dem jungen Kämpfer überraschen zu lassen. Er griff sofort nach der Begrüßung mit einem Fußstoß zum Oberkörper Li Nings an. Dieser fing den Angriff ab, doch hatte er offensichtlich die Wucht des Angriffs unterschätzt. Er machte einige Schritte rückwärts, um sein Gleichgewicht zurückzugewinnen. Meister Fong setzte sofort nach, um den Kampf mit einem gesprungenen Fußstoß zu beenden. Doch