„Ich freue mich, das zu hören“, erwiderte Robert. „Also machen Sie sich auf den Weg.“
Die fünf Männer erhoben sich von ihren Plätzen. Robert verließ rückwärts, mit auf die Männer gerichteten Pistolen, den Raum, Er hoffte, dass er sich nicht geirrt hatte. Er hoffte, sein Plan würde funktionieren. Erst wenn er dessen sicher war, konnte er sich dem Mann aus dem gegenüberliegenden Haus zuwenden.
VII.
Michael, der Gute Träumer, erreichte den Fluss zwei Tage nach seinem Abenteuer im Wald der ewigen Finsternis. Und er fand die Brücke hinüber genau an jener Stelle, an der sie auf der Karte eingezeichnet war.
Anfänglich hatte Michael befürchtet, auf einen Trick des Traumlords hereingefallen zu sein. Er fand einfach keine andere Erklärung dafür, weshalb in einem völlig verlassenen Dorf am Rande einer Maiswüste noch ein Händler seinen Laden offenhalten sollte. Alles sah ganz so aus, als wäre dieser Händler nur dort gewesen, weil er, der Gute Träumer, dieses Dorf passieren musste. Als habe dieser Händler an diesem wüsten Ort nur auf ihn gewartet, um dann so schnell wie möglich seine sieben Sachen zu packen und zu verschwinden. Aber je länger Michael den auf der Karte eingetragenen Wegen folgte, umso mehr zweifelte er an der Fallen-Theorie. Die Karte stimmte auffallend. Sie war so gut, dass es schon verwunderlich war, dass sie hier im Reich gezeichnet worden sein sollte. Auch hatte Michael, wenn er es genau bedachte, noch nie zuvor so helles Papier gesehen oder gar in den Händen gehalten. Papier war in seiner Erinnerung immer gelblichbraun und mit Holzfasern durchsetzt, die man deutlich erkennen konnte. Für all das fand Michael keine befriedigende Erklärung.
Freilich, die Karte hatte ihn in jenen Wald geführt, wo er von einem Monster des Traumlords attackiert worden war, aber wenn er es recht bedachte, so konnte der Traumlord ebenso ein grauenhaftes Wesen auf einer blühenden Sommerwiese erscheinen lassen. Es hätte ihm sicherlich auch keine Mühe gemacht irgendeinen Drachen herbei zu zitieren, der den Guten Träumer auf seinem Weg angriff. Es war ihm aber offenbar noch nicht eingefallen.
Jetzt hatte der Gute Träumer den Fluss erreicht, dessen Name laut Karte Askar war. Der Gute Träumer musste den Fluss überqueren und ihm dann folgen. Etwa tausend Schritt von der Brücke entfernt, vollführte der Fluss eine starke Biegung nach Süden und schnitt durch ein Gebirge, dessen Wände steil links und rechts des Flussufers aufragten. Hier hatte der Askar sich tief in den Fels eingeschnitten und die Härte des Basalts besiegt. Wenn Michael dieses Gebirge dem Fluss folgend passiert hatte, war er noch eine knappe Tagesreise von Asgood entfernt, jener Stadt, in der ein Stern darauf wartete, von ihm entdeckt und auf seine weitere Reise mitgenommen zu werden.
Wieder einmal spendierte der Frühling großzügig einen seiner wunderbaren Tage für die Menschen im Reich. Was immer der Traumlord auch tat, der Sonne konnte er die Kraft und die guten Träume von Schönheit und Lebendigkeit nicht rauben. Sie widerstand ungebrochen seiner Macht. Der Fluss lag als blaues Band inmitten einer grünen Landschaft. Träge zog er seine Bahn unter der Brücke hinweg, die dringend einen frischen Anstrich benötigte.
Immer wenn der Gute Träumer mit einer Idylle wie jener im Tal des Askar konfrontiert wurde, traten ihm ein paar Tränen in die Augen. Er war nicht wehleidig, aber die Schönheit der Natur, die noch im Reich existierte, stand in einem so harten Kontrast zur brutalen Macht des Traumlords, dass Michael immer an all die Schönheiten denken musste, die dieser Herrscher den Menschen geraubt hatte.
Es gab gewiss keine verträumten Pärchen mehr, die im fahlen Licht des Mondes an den Ufern des Askar entlang flanierten, sich tief in die Augen sahen und dann endlich küssten. Es gab keine Kinder mehr, die durch die Wiesen tollten, Blumensträuße für ihre Mütter pflückten oder Kränze aus Blüten für ihre Haare flochten. Es gab keine alten Männer mehr, die mit glimmenden Pfeifen im Mund auf morschen Kähnen auf dem Askar trieben und Angeln ins Wasser senkten, ungeachtet der Tatsache, dass die Fische viel zu klug waren, um auf die falschen Fliegen zu beißen. Es gab keine Frauen mehr, die auf Bänken entlang des Flusses saßen und die neuesten Belanglosigkeiten austauschten. Diese Dinge waren mit den Träumen der Menschen verschwunden. Sie würden wiederkehren, wenn die Träume wiederkehrten.
In Gedanken versunken war Michael auf der Mitte der Brücke angekommen, als etwa riesiges, schlangenartiges aus dem glatten Spiegel des Flusses hochschnellte, das Wasser aufwirbelte und bis auf die Brücke spritzen ließ. Sofort war der Gute Träumer hellwach.
Tatsächlich hatte sich eine gewaltige Wasserschlange aus dem Fluss erhoben. Sie stand jetzt turmhoch über dem Guten Träumer und züngelte in den blauen Himmel hinein. Ihr Anblick war grauenhaft. Sie ragte gewiss mehr als fünfzig Meter aus dem Wasser auf und Michael wagte nicht zu schätzen, welche Länge der Körper haben mochte, der noch unter der Wasseroberfläche ruhte. Natürlich war sie ein Werk des Traumlords, aber das machte die Situation nicht weniger gefährlich, im Gegenteil.
Die Schlange, deren Körper den Umfang eines kleinen Hauses hatte, verharrte einige Sekunden in der Luft, dann ließ sie sich mit ihrem gesamten Gewicht auf die Holzbrücke fallen, in deren Mitte der Gute Träumer auf seinem Pferd saß. Dieser gab dem Pferd die Sporen. Er wollte das Ende der Brücke erreichen, ehe diese von der Schlange zertrümmert werden würde. Aber seine Reaktion erfolgte eine Zehntelsekunde zu spät. Der Schlangenkörper krachte auf die Brücke. Diese wurde völlig zerschmettert. Gleichzeitig rissen die Verankerungen an beiden Brückenköpfen aus dem Boden, so dass die Enden der Brücke zusammengefaltet wurden, als würde ein Buch geschlossen.
Der Gute Träumer wurde zusammen mit seinem Pferd ins Wasser geschleudert. Er landete keinen Steinwurf von dem gewaltigen Schlangenkörper entfernt im Askar, der noch winterlich kaltes Wasser führte.
Sofort versuchten Pferd und Reiter das rettende Ufer zu erreichen, während die Schlange den Fluss mit ihrem zuckenden Körper in einen reißenden Malstrom verwandelte.
Wasser schlug über dem Guten Träumer zusammen. Mit verzweifelten Schwimmbewegungen versuchte er, wieder die Oberfläche zu erreichen, doch schon schlug die nächste Welle über ihm zusammen. Was aber noch bedrohlicher war, war der gewaltige Schlangenkörper, der sich wie eine Walze beständig näher heranschob.
Wie die Seiten einer riesigen Enzyklopädie durchsuchte der Gute Träumer seine Gedanken nach einem rettenden Einfall. Dies war ein verdammt feuchter Traum, und solche Träume hatten dem Guten Träumer noch nie besonders behagt. Dann erinnerte er sich an die Delphine und Augenblicke später erschienen sie. Es waren mehr, als er erwartet hatte. Sie füllten den Fluss plötzlich aus wie eine übermäßige Menge Sago eine Suppe. Beinahe hätten sie, die sie zur Rettung herbeizitiert worden waren, verhindert, dass Michael zurück zur Oberfläche fand. Aber der Gute Träumer verstand auch, dass er instinktiv richtig gehandelt hatte, als er eine solche Unmenge von Delphinen herbeiträumte, denn nur dadurch konnte die riesige Wasserschlange in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt werden.
Die Delphine drängten den Guten Träumer und sein Pferd aus dem Fluss heraus, schirmten ihn von der tobenden Schlange ab, die die Meeressäuger legionenweise unter sich begrub. Das Wasser des Askar färbte sich tiefrot vom Blut der zermalmten Delphine, doch Michael erreichte das rettende Ufer. Dann war der Spuk in wenigen Augenblicken verschwunden. Die Schlange vernichtete noch tausende Delphine, dann war sie einfach weg. Und auch die Delphine verschwanden, lösten sich scheinbar in Luft auf. Nur ihr Blut blieb im Askar zurück.
Dieses Blut würde dem Guten Träumer in den Fluten des Askar vorauseilen. Es nahm seinen Weg durch die engen Stromschnellen im Gebirge der Stadt Asgood zu, und sollte dort jemand ein Bad im Fluss unternehmen, was kaum glaubhaft schien, wäre dies ein Blutbad im wahrsten Sinne des Wortes.
Michael zuckte bei diesem Gedanken erschrocken zusammen. Deshalb wandte er sich vom Anblick des roten Wassers ab, nahm sein Pferd am Zügel und führte es ein wenig vom Ufer weg, wo er rasten wollte, denn die gerade noch glimpflich überstandene, neuerliche Attacke des Traumlords hatte an seinen Kräften und seinem Mut gezehrt. Außerdem war er durchnässt und fror, denn obwohl die Sonne frühlinghaft warm schien, war das Wasser des Flusses noch