Fühl mal, Schätzchen. Ulrike Linnenbrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Linnenbrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668381
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erledigt das ganz von selbst.

      »Das können wir im Moment noch nicht sagen. Kommen Sie bitte erst einmal her. Wir haben für den Augenblick getan, was wir konnten. Aber zu diesem Zeitpunkt ist noch alles möglich. Selbst das Schlimmste ...«

      »Oh mein Gott! ...«

      »Wie Ihnen zumute ist, kann ich mir vorstellen«, sagt die warme

      Frauenstimme am anderen Ende.

      Nein, meine Liebe, das kannst du nicht!, denke ich.

      Nur wenige Wagen stehen in der sparsam beleuchteten Tiefgarage des Klinikums. Ich parke möglichst nah am Aufzug. Unbehagliches Gefühl, hier so allein. Der Aufzug ist zum Glück schon unten, ich muss nicht warten. Ins dritte Stockwerk soll ich kommen, hat sie gesagt, dann gleich links durch die Glastür.

      Unpersönlich und kalt, dieser ganze Bau. Aber hypermodern alles. Die Grafiken an den Wänden hätten mich zu einem anderen Zeitpunkt sicher mehr interessiert. Jetzt treibt es mich weiter.

      Ich erreiche die Glastür zur INTENSIV-STATION, öffne sie und befinde mich plötzlich in einem Getümmel, das den Rest des Hauses wohl nur tagsüber zu Stoßzeiten bevölkert. Hier scheint es keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht zu geben.

      »Tschuldigung«, murmelt ein grünbekittelter junger Mann, mit dem ich bei meinen Eintritt zusammengestoßen bin. Mir klopft das Herz bis zum Anschlag!

      Eine Schwester hat mich entdeckt und kommt auf mich zu. »Frau Brink?«, fragt sie.

      Ich nicke stumm, mir hat es die Sprache verschlagen.

      »Würden Sie das bitte anziehen?«

      Sie reicht mir einen dieser grünen Kittel.

      Ich streife ihn über, verstecke mein Haar unter einem Ding, das aussieht wie eine Badekappe, nehme ihr auch den Mundschutz aus der Hand. Sie hilft mir beim Anlegen.

      »So ist es gut«, versucht sie ein freundliches Lächeln, »und nun folgen Sie mir, aber erschrecken Sie bitte nicht.«

      Ich bemühe mich, ihrem forschen Schritt zu folgen. Vor einer halb geöffneten Tür am Ende des Flures bleibt sie stehen und lässt mir den Vortritt. Schon vom Vorraum aus sehe ich ihn hinter einer Glasscheibe - umrahmt von medizinischen Messgeräten. Ein Gewirr von Schläuchen und Drähten. Sein rechtes Bein und seine rechte Schulter bis zur Hand eingegipst. Ansonsten nur nackte, verbrannte Haut! Noch immer bekomme ich keinen Ton heraus, starre entsetzt zu ihm hinüber.

      »Die Brüche sind nicht das größte Problem«, spricht die Schwester mich leise von der Seite an. »Aber die Verbrennungen und die Rauchvergiftung ... Sein Kreislauf macht uns Sorgen. Er steht ständig kurz vor dem Zusammenbruch. Der Arzt wird gleich hier sein. Er wird Ihnen mehr dazu sagen.«

      Wie in Trance gehe ich langsam auf ihn zu. Mein Gott, was habe ich nur getan?, durchfährt es mich plötzlich. Alles ist schief gelaufen. Mit dieser Situation fühle ich mich absolut überfordert. Ich hätte ihn so nicht sehen dürfen. So klein, so schwach, so verletzt und so erbärmlich leidend. Nein, das habe ich mir alles ganz anders vorgestellt.

      Ich will kein Mitleid mit ihm haben, das hat er nicht verdient. Aber ich kann mich plötzlich nicht dagegen wehren. Schuldgefühle. All meine kriminelle Energie verpufft, mein Hass verflogen.

      Für den Augenblick jedenfalls.

      3

      Man hat unser Haus von oben bis unten nach der Brandursache abgesucht. Besser gesagt: Das, was von unserem Haus übriggeblieben ist. Ich gerate in Panik - jedes Mal, wenn das Telefon klingelt.

      »Ihr Mann muss im Bett geraucht haben und dabei eingeschlafen sein«, sagt der Beamte am Telefon. »Er war heute Morgen zum ersten Mal vernehmungsfähig. Seinen Angaben nach kann er selbst sich zwar an nichts erinnern, vermutlich der Schock, aber eine andere Möglichkeit ziehen die Fachleute nach Lage der Spuren zur Zeit nicht in Betracht.« Wo ich zur fraglichen Zeit war, hat er mich gestern bereits gefragt.

      »Wir haben da einen in Asbest eingewickelten Metallkoffer mit Papieren im Keller gefunden«, fährt er nach einer kurzen Pause fort. Mir bleibt fast das Herz stehen, und ich danke dem Himmel, dass er mir im Moment nicht real gegenüber steht. Dieser Mann macht mich seit Tagen nervös!

      Ich bemühe mich, meiner Antwort Ruhe und Festigkeit zu verleihen.

      »Der liegt bei uns immer dort. So lange wir noch keinen Safe haben, hielten wir das für die sicherste Möglichkeit.«

      Ich kann hören, wie er etwas auf Papier kritzelt, und vermute, dass meine Worte umgehend festgehalten werden. Richard darf die Akten nicht einsehen, niemals! Er darf um Himmels willen niemals auch nur etwas ahnen - falls er überlebt. Nicht auszudenken ...

      Offensichtlich ist er mit seiner Notiz fertig. »Jetzt müssen Sie noch auf das Gutachten der Versicherung warten.« Und nach einer weiteren Pause: »Bleibt abzuwarten, ob die den Schaden bezahlen. Möglich, dass Ihre Versicherung sich in Anbetracht des leichtsinnigen Verhalten Ihres Mannes weigern wird. Seien Sie froh, dass Ihr Mann noch lebt. Er hat ja mächtig Glück gehabt. Durch die geschlossene Balkontür und dann in den Fischteich ... Gut, dass er noch rechtzeitig aufgewacht ist. Es hätte auch ganz anders ausgehen können, man hat in seinem Blut nämlich Spuren eines Schlafmittels gefunden. So wie er sagt, kann er sich allerdings nicht daran erinnern, eines genommen zu haben.«

      Schwang da eine gewisse Andeutung in seinem letzten Satz mit? Ich spüre jedes einzelne Blutkörperchen, das durch meine Adern rauscht! »Das, äh, das kann gut sein«, stottere ich. »Er trank in letzter Zeit häufig, wissen Sie? Gut möglich, dass er es nicht mehr weiß ...«

      Himmel, ich hätte daran denken müssen, dass sie sein Blut untersuchen würden!

      »Ja, möglich. Seine Alkoholwerte im Blut waren ebenfalls nicht unbeträchtlich. Aber, wie schon gesagt, er hat Glück gehabt.«

      »Ja«, sage ich, »großes Glück! Aber es ist noch nicht ausgestanden.« Froh, den Mann endlich verabschieden zu können, lege ich auf.

      Vom Garten aus betrachtet sind die Zerstörungen an unserem Haus besonders schlimm. Der hintere Teil des Daches ist komplett abgedeckt, nur noch einige verkohlte Balken vor dem Loch, das einmal Richards Mansarde war. Der ehemals ins Dach eingelassene Balkon ist als solcher nicht mehr zu identifizieren, und der gemauerte Abzug des Kamins ragt wie ein drohender dunkler Finger in den Himmel.

      Nachbar Finke hat mich im Garten entdeckt und mir aufgeregt zugewinkt. Er lässt seine Harke fallen und kommt eilig zu mir herüber an den Zaun.

      Unsere Nachbarn ...

      Ich kann nur hoffen, dass mich an diesem Morgen neulich niemand gesehen hat. Bei Familie Wedi - rechts neben uns - ist normalerweise vor ein Uhr niemand zu Hause. Auch Frau Wedi arbeitet vormittags, und die Kinder sind - wie unsere - in der Schule. Aber Herr Finke, unser Nachbar zur Linken ... Er ist seit seiner Pensionierung meistens hier. Allerdings scheint er seine Zeit weniger hinter der Fensterscheibe, als in seinem Garten zu verbringen, und spätestens ab Ende Februar ist für ihn die Winterruhe vorbei, da muss er raus. Doch auch wenn er mich nicht gesehen hat, er könnte meinen Wagen gehört haben.

      Ein wenig außer Atem erreicht er die Grenze zwischen unseren beiden Gärten. »Mein Gott, Frau Brink!« Rasch wischt er mit den Händen an seinem grauen Kittel entlang, begrüßt mich dann über den Zaun hinweg. »Das war ja alles ganz furchtbar!« Er schüttelt den Kopf, kann das Erlebte offenbar noch immer nicht fassen. »Ganz furchtbar, ganz furchtbar. Wie eine lebende Fackel ist er vom Balkon von da oben runter in den Gartenteich gestürzt. Dass der noch mit dem Leben davongekommen ist - nicht zu glauben!«

      Wie genau es Richard gelungen war, dem Flammeninferno zu entkommen, war mir bisher trotz der Informationen noch nicht voll ins Bewusstsein gedrungen. Erst jetzt - den realen Ort vor Augen - konnte ich mich auf das Szenario wirklich einlassen. »In den Gartenteich gestürzt? Und das haben Sie selbst gesehen?«

      Heftiges Nicken. »Wenn er nicht gesprungen wäre, hätte