Fühl mal, Schätzchen. Ulrike Linnenbrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Linnenbrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668381
Скачать книгу
geschmeidig wie ein Wiesel – unter die Decke schlüpft, mir einen Kuss auf die Wange drückt und nach der ersten Brötchenhälfte schnappt ...

      Bin froh, dass ich ihn morgens kaum noch sehe. Obwohl ich morgens nicht befürchten muss, dass er gleich wieder durchdreht. Am Morgen scheint sich eine watteweiche Glocke über ihn gestülpt zu haben. Eine, die ihn zwischen Wach und Traum, zwischen Er- Leben und Er-Trunkensein gefangen hält.

      Das Schnarchen aus der Mansarde ist leiser geworden. Morgens ist es immer leiser. Muss daran liegen, dass der Alkoholspiegel sich über Nacht abbaut. Säufer schnarchen besonders intensiv, und sie sind in hohem Maße vom Atemstillstand bedroht, hab ich irgendwo gelesen. Wie oft habe ich mir während der letzten Zeit gewünscht, dass Richard in einer seiner Schnarchpausen erstickt.

      Mit einiger Mühe, wieder meinen Rücken stützend, zwinge ich mich hoch, schlurfe hinüber zum Fenster, ziehe die Jalousie nach oben und sehe einen Moment hinaus in den Garten. Ein wunderschöner, ein sonniger Tag. Der Kirschbaum steht voll in Blüte und sieht aus, als habe man ihn mit weißer Spitze überzogen.

      Tessa muss das Geräusch gehört haben. Sie hockt unten auf der Wiese, wischt mit ihrem Schwanz über das Gras und hechelt angespannt zu mir hoch.

      Ist sie immer noch draußen oder schon wieder? Ich erinnere mich daran, dass Richard sie gestern Nacht ausgesperrt hat. Sie wollte mir beistehen und ist auf ihn losgegangen ...

      Doch ich bin noch zu träge, mir darüber Gedanken zu machen, zu kaputt. Außerdem ist Britta schon auf und wird Tessa wieder ins Haus lassen. Ich krieche zurück unter meine Bettdecke und greife nach der Zigarettenschachtel auf dem Nachtschrank. Sie ist leer.

      Jetzt höre ich, wie kleine, nackte Füßchen die Treppe heraufgetappt kommen.

      »Britta!«, rufe ich. »Britta, bringst du mir bitte eine neue Packung

      Zigaretten aus der Schublade mit hoch?«

      Die kleinen Füßchen auf der Treppe stoppen, kehren um und nehmen bald darauf einen neuen, vorsichtigen Anlauf. Britta streckt

      den Kopf zur Tür herein. Dann schiebt sie in der einen Hand die Zigarettenpackung, in der anderen eine Kaffeetasse in den Raum.

      »Morgen, Mami.«

      Sie wirft mir die Zigarettenpackung entgegen. Ich fange sie auf, lege sie auf den Nachtschrank. Rücke ein Stück zur Seite und klopfe auf den Platz neben mir. Sie stellt die Kaffeetasse ab und kriecht zu mir unter die Bettdecke.

      »Ich hab‘ unten schon das Frühstück vorbereitet. Geht‘s dir gut, Mami?«

      Ich lege ihr den Arm um die Schulter und ziehe sie an mich heran.

      »Geht so ...«

      »Ich hab‘ dich heute Nacht weinen gehört.«

      »Weinen?«

      »Ja, und schreien. Hat er dir ...«, sie stockt einen Moment, und ich fühle wie sie zittert, »hat er dir wieder weh getan, Mami? Er soll dir nicht immer weh tun!«

      »Was macht Jan? Ist er auch schon auf?«, will ich wissen und drücke mich damit um eine Antwort

      »Er ist zu Sebastian rüber. Wollte dich nicht stören. Du hast so fest geschlafen. Ich hab‘ ihm was zu essen gemacht. Tessa war auch schon pinkeln.«

      »Ja«, gähne ich, »ich hab‘ schon gesehen, dass sie noch im Garten ist. Dann hast du sie herausgelassen, oder?«

      »Nee, die war schon draußen. Habt ihr sie vergessen gestern Abend? Zum Glück war kein Gewitter. Ihr wisst doch, dass sie Angst hat bei Gewitter.«

      »Arme Tessa«, sage ich, greife über Britta hinweg nach meinem Kaffee, trinke einen Schluck, setze die Tasse wieder zurück. »Ja, zum Glück war kein Gewitter gestern Nacht.«

      »Aber es hätte sein können. Find ich nicht gut, dass ihr sie über Nacht draußen gelassen habt.«

      Tessa ist eigentlich Brittas Hund. Richard hat sie ihr vor ein paar Jahren als Welpe zu Weihnachten geschenkt. Britta hängt an der Hündin wie an einer kleinen Schwester.

      Ich fische die Schachtel vom Nachtschrank, reiße sie auf, ziehe eine von den Zigaretten heraus, stecke sie mir in den Mundwinkel. Das Feuerzeug in meiner Hand zittert. Tief ziehe ich den Rauch in meine Lungen, halte ihn einen Moment, muss husten.

      »Mein Gott, wann hörst du endlich damit auf?« Angewidert wedelt Britta den Qualm von sich.

      »Hast ja Recht. Bald. Ich versprech‘s. Ganz bald«, sage ich und streichle ihre Wange.

      »Früher hast du doch auch nicht geraucht. Du rauchst, seit Papa dir weh tut. Er soll dir nicht mehr weh tun, Mama«, flüstert sie leise, »ich will das nicht! Manchmal hab‘ ich Angst, dass du am Morgen, wenn ich zu dir komme, nicht mehr lebst. Die Katrin hat zum Beispiel neulich in der Zeitung gelesen, dass ein Vater seine Frau umgebracht hat. Dann ist er ins Gefängnis gekommen, und die Kinder mussten ins Heim. Ich will nicht ins Heim, Mami! Da würde ich weglaufen. Zu Omi oder so. Da würd‘ ich auf keinen Fall bleiben ...« Sie verzieht das Gesicht, ihre Lippen beben. Sie schlingt mir ihre Ärmchen um den Hals, drückt sich an mich und weint.

      Wieder streiche ich sanft über ihr Gesicht und hauche ihr einen Kuss ins Haar. »Brauchst keine Angst zu haben, Schatz, das wird bei uns nicht passieren. Ganz bestimmt wird das bei uns nicht passieren. Ich regele das schon ...«

      Endlich Montag. Mein Entschluss steht fest.

      Britta und Jan sind in der Schule. Jan wollte heute wieder kein Frühstück. Auch nichts für die Pause. Ich glaube manchmal, er will sich weghungern. Isst wie ein Spatz. Magersucht schon mit sieben Jahren?

      Ich lege mich eine Viertelstunde in die Badewanne. Schön, das warme Wasser. Pilatus schießt mir in den Sinn. Ich wasche meinen ganzen Körper in Unschuld – schon bevor es geschehen ist. Bin ich schuldig? Werde ich schuldig sein? Oder handle ich in Notwehr? Gibt es eigentlich so etwas wie Gerechtigkeit? Warum fällt ihm kein Stein auf den Kopf? Warum überfährt ihn kein Auto, beißt ihn keine Schlange? Oder ...

      Ich muss es selbst tun. Das wird mir immer klarer.

      Sorgfältig trockne ich mich ab, creme mich ein und ziehe mich an. Wieso bin ich so ruhig?

      Er hat sich wieder hingelegt. Gesehen habe ich heute noch nichts von ihm. Heute war er für mich nur ein Geräusch. Eines, das mich jedes Mal zusammenzucken lässt. Und ein Geruch. Die Mischung aus abgestandenem, in der Luft stehendem Alkoholdunst, kaltem Nikotingestank und süßlich-herbem Deodorant. Einfach widerlich.

      Ich greife meinen Mantel, nehme die Autoschlüssel vom Haken neben der Haustür und gehe in die Garage. Fühle mich, als liefe ich neben mir her. Bin ich das? Ich, das angepasste, immer beherrschte Wesen? Die Frau, die jahrelang fast alles widerspruchslos hingenommen hat? Die, die schon zweimal mit Prellungen und Knochenbrüchen im Krankenhaus gelandet ist? Von allen ‚unerheblichen‘ Verletzungen mal ganz zu schweigen?

      Gestern war er wohltuend abwesend. Verbrachte den Tag zurückgezogen oben in seiner Mansarde. Kurierte seinen Brummschädel aus und arbeitete gleichzeitig am nächsten. Immer nur kurz kam er herunter, tappte in seinen Filzpantoffeln durch die Küche, schien jeweils zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank geholt zu haben (ich hörte es am Aneinanderklirren von Glas), und verschwand wieder. Irgendwann muss er so betrunken gewesen sein, dass er mitsamt seinen Aggressionen im Vollrausch eingeschlafen ist. Gott sei Dank.

      Nach dem Mittagessen hatte ich Jan bei Sebastian abgeholt und war mit ihm und Britta zu meinen Eltern gefahren. Die Kinder sind gern bei Oma und Opa. Opa kann herrlich Geschichten vorlesen, und dann gibt es da den Bach in der Nähe und die Nachbarskinder, mit denen man im nahe gelegenen Wäldchen Buden bauen kann.

      »Wo habt ihr Euren Vater gelassen? Ist was mit Richard?«

      Meine Mutter hat schon lange eine Ahnung. Aber ich werde mir lieber die Zunge abbeißen. Ich weiß, sie ist herzkrank.

      Ich half ihr das Mittagessen vorzubereiten. Putzte die spanischen Bohnen vom Markt, schälte