Fühl mal, Schätzchen. Ulrike Linnenbrink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ulrike Linnenbrink
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847668381
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bist eben einfach keine gute Hausfrau«, brummt er in seine Zeitung.

      In mir will etwas aufbrausen! Dieser anmaßende Ignorant! Doch ich zwinge mich zur Ruhe, will heute nicht wütend werden. Sehe ihn weiterhin nur an und rühre im Kaffee herum. Das Ausbleiben meiner Reaktion lässt ihn zu mir aufblicken. »Es hat sich schon mal jemand tot gerührt.«

      Ein kurzer Kontrollblick auf den Kaffee. Nichts mehr zu sehen von den Tabletten. Zart lächelnd stelle ich die Tasse vor ihn hin. »Na, dann lass es Dir mal schmecken, mein Lieber«, sage ich und verschwinde aus der Küche.

      In Richards Büro, das er seit Monaten kaum mehr betreten hat, suche ich nach den wichtigsten Papieren: Versicherungspolicen, Pässe, Urkunden, Verträge etc. In einer der Schreibtischschubladen finde ich eine schwarze Ledermappe, die ich zuvor nie gesehen habe. Sie ist mit einem Riegel verschlossen, und ich habe keine Zeit nach einem Schlüssel dafür zu suchen, gehe aber davon aus, dass die Mappe wichtige Papiere enthalten könnte. Zur Not werde ich später den Riegel zerschneiden müssen.

      Als ich glaube, alles Unentbehrliche beisammen zu haben, packe ich die Sachen in den Metallkoffer und bringe ihn in den Keller. Dort wickle ich den Koffer in unsere Asbestdecke aus dem Auto ein, schiebe das Paket in die Mauerecke neben der Gefriertruhe und gehe zurück nach oben in die Küche. Die ist inzwischen leer. Richard muss sich wieder hingelegt haben. Seine Kaffeetasse ist leer. Gut so! Nun gieße ich mir selbst Kaffee ein, setze mich damit im Wohnzimmer in den schwarzen Sessel am Kamin und schaue durch die bis zum Boden reichenden Fenster in den Garten. Etwa eine halbe Stunde sitze und warte ich so, spüre die wachsende Anspannung in mir.

      Dann halte ich die Zeit für gekommen.

      Schon auf der Treppe hinauf in die Mansarde, kann ich ihn schnarchen hören. Er scheint fest eingeschlafen zu sein. Oben schlägt mir abgestandener Alkoholatem entgegen. Breitbeinig liegt er auf seinem Bett. Der Bademantel ist auseinandergerutscht, gibt den Blick frei auf die Teile seines Körpers, die ich schon lange nicht mehr sehen, geschweige denn berühren und liebkosen will. Der Aschenbecher auf seinem Nachtschrank ist hochvoll. Einzelne Kippen liegen verglüht daneben auf dem Nachtschrank. Brandflecken im Holz. Es stinkt nach Kneipe am Morgen. Der übliche Dreitagebart umrahmt seinen leicht geöffneten Mund.

      Widerlich! Kaum zu glauben, wie er sich verändert hat!

      Ich rüttele an seiner Schulter. Das kann ihn nicht mehr wecken. Sehr gut!

      Ich hebe das Bettzeug vom Boden auf, decke ihn zu und falte die Tageszeitung auseinander, lege sie aufs Deckbett. Seine Arme rücke ich so zurecht, dass es aussehen muss, als habe er darin gelesen und sei dabei eingeschlafen. Nun ziehe ich eine der filterlosen Zigaretten aus seiner Schachtel und zünde sie an, klemme sie so zwischen seine Finger, dass die Glut das Papier erreicht.

      Rauchiges Glimmen nach ein paar Sekunden. Ich blase die ersten züngelnden Flämmchen an, damit sie wachsen. Warte noch einen kurzen Moment, beobachte die Entwicklung des Feuers. An der Tür drehe ich mich noch einmal um. Die Flammen haben inzwischen einen Teil der Bettdecke erfasst. Die Zeitung brennt lichterloh.

      Himmel, was mache ich nur?!, durchfährt es mich plötzlich. Panik ergreift mich. Ich fliege die Treppen hinunter, reiße meine Handtasche vom Küchentisch, stopfe die Tablettenpackung hinein.

      Schaffe es mit meinen bebenden Händen erst nach mehrmaligem Versuch, Tessa anzuleinen, zerre den Hund in den Flur. Siedendheiß fallen mir die Tassen ein! Ich kehre noch einmal um, schnappe mir beide Kaffeetassen und halte sie unter den laufenden Wasserkran. Umgestülpt lasse ich Richards zum Abtropfen auf der Spüle, meine wische ich sorgfältig mit einem Küchentuch trocken und stelle sie zurück in den Schrank. Ein Blick auf die Uhr: Halb eins. Jan muss in etwa einer Stunde aus der Schule kommen. Britta hat in der fünften und sechsten Stunde Schwimmen. Da dauert es immer ein bisschen länger, bis sie zu Hause ist.

      Im Flur riecht es schon nach Qualm. Vorsichtig öffne ich die Haustür und sehe mich nach allen Seiten um. Niemand zu sehen. Gott sei Dank! Ich muss mich zusammenreißen, obwohl mir das Herz fast zum Hals heraus klopft. Muss möglichst ruhig und unauffällig zu meinem Wagen gehen. Ich lasse den Hund auf den Rücksitz, steige dann selbst ein und ziehe die Tür so leise wie möglich zu. Starte den Motor und rangiere aus der Einfahrt.

      Nach etwa fünfzig Metern Fahrt halte ich noch einmal an und schaue zurück. Aus dem in Kippstellung geöffneten Giebelfenster der Mansarde quillt in einer rasch anschwellenden Wolke hässlicher, grauschwarzer Rauch.

      2

      Meine Mutter gießt mir Tee ein. Gedankenverloren rühre ich darin herum, schiebe die kleinen hellbraunen Bläschen an der Oberfläche zu einem sich in der Mitte immer schneller drehenden Schaumkarussell zusammen. Ungefähr ein Jahr ist es jetzt her, dass Richard seine Stelle verlor. Unglaublich, wie sehr sich ein Mensch in einem einzigen Jahr verändern kann.

      Ich erinnere mich, dass ich gerade dabei war, im Garten Zweige zu schneiden, die zu Ostern in der großen Bodenvase blühen sollten - etwa eine Woche, bevor die Ferien der Kinder begannen. Der Morgen in der Agentur war sehr anstrengend gewesen. Wir hatten einen neuen Werbeauftrag. Für unser relativ junges Team sehr wichtig. Ein dicker Fisch, große Kaufhauskette, eilige Terminsache. Anstrengend aber schön. Ich brauchte solche Herausforderungen, und es war schwer genug, mir diese Möglichkeit und damit ein Stück Freiraum zu erkämpfen.

      Lange hatte er sich gegen meinen Job in der Werbeagentur gesträubt. Er war der festen Überzeugung, dass seine Frau es nicht nötig habe, außerhalb ihres eigenen Haushaltes zu arbeiten. Entsprechend hartnäckig hatte er sich zunächst gegen meine Pläne gewehrt. Wie habe ich gekämpft, um wenigstens drei Vormittage in der Woche durchzusetzen. Inzwischen schien er sich damit arrangiert zu haben, jedenfalls gab es mittlerweile keinen Streit mehr deshalb.

      Das Wetter verwöhnte uns in jenem Jahr genauso wie in diesem, und die Knospen der Bäume und Sträucher waren ungewöhnlich weit ausgetrieben. »Wenn da mal nicht noch kräftig der Frost dazwischenfährt«, hatte Herr Finke, unser Nachbar zur Linken, eben über den Zaun hinweg zu mir gesagt, und ich hielt bereits einen dicken Strauß frisch geschnittener Zweige im Arm, als ich vor dem Haus Richards Wagen hörte. So früh am Nachmittag kam er nur selten nach Hause.

      Ich warf Herrn Finke einen erstaunten Blick zu und ging über den Rasen zurück ins Haus, traf Richard in der Diele. Er ließ müde seinen Aktenkoffer neben der Garderobe auf die hellen Bodenfliesen fallen und warf die Schlüssel auf die alte, tannene Gründerzeitkommode.

      »Jetzt ist es beschlossene Sache«, sagte er und sah mich dabei nicht an, »die machen den Laden dicht.«

      »Ach, du meine Güte!« Ich hatte in meinem Stress an diesem Morgen gar nicht mehr an diese wichtige Sitzung heute gedacht.

      Ärgerlich warf er die Haustür zu. Sein leichter, dunkler Wollmantel landete nur unzureichend auf dem Bügel im Garderobenschrank, rutschte ab und fiel zu Boden. Ich hob ihn auf.

      »Dabei haben wir vor nicht ganz zwei Jahren noch für über drei Millionen neue Maschinen angeschafft, da hat niemand auf meine Warnungen gehört. War damals doch schon abzusehen, dass die Textilbranche in Deutschland weitgehend am Ende ist. Mit den Global-Playern und ihren Werksfilialen in den Billigländern können wir als mittelständisches Unternehmen einfach nicht konkurrieren.« Seine Arme machten eine kleine Bewegung, die seiner Hilflosigkeit Ausdruck verlieh. »Dabei lagen wir bisher immer noch ganz gut im Rennen. Wenn es jetzt ausgerechnet uns erwischt hat, werden andere bald nachziehen müssen, das ist sicher.«

      Dieses Schwert hatte zwar schon seit einigen Monaten über uns geschwebt, nun aber war aus der Befürchtung Realität geworden. Dabei ging es nicht mal in erster Linie um unsere finanzielle Sicherheit, darum würde es auch in Zukunft nicht allzu schlecht stehen. Sein Job war jedoch alles für ihn. Er war darin aufgegangen, hatte jede freie Minute geopfert, fand in seiner Arbeit sich selbst, wurde in seiner Position respektiert und geachtet. Nicht selten hatte ich den Verdacht, dass er seinen Beruf und das Gefühl von Macht, das für ihn damit verbunden war, mehr liebte, als seine Familie, mehr als mich.

      »Und nun?«

      »Tja,