Unbewältigte Vergangenheit. Henry Kahesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Kahesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738007732
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Auch der Gustavson schien sich heute hier nicht aufzuhalten. Um keine weitere Zeit verstreichen zu lassen nahm er deshalb, ohne Zögern, sofort Kontakt mit dem Chefermittler Scholtysek auf.

      „Chrismann! Chef da ....“, aber weiter kam er nicht.

      „Ja, was gibt es eilig?“, kam die Reaktion vom Chefermittler.

      Mit seinen Gedanken schien der in diesem Moment an ganz anderer Stelle zu ermitteln! So zerstreut hörte er sich zumindest an. Vermutlich beschäftigte er sich mal wieder mit Renate und Ruth, seinen beiden Frauen. Mit der Einen ging es zu Ende und mit der Anderen fing etwas an.

      „Sie wissen, ich bin in Sellin!“

      „Ja, ja“, er legte eine kleine Pause ein. „Na, dann schießen sie mal los.“

      „Weder an der Brücke noch am Bootsliegeplatz läuft was. Ansätze gibt es hier, zur Zeit jedenfalls, keine. Verdächtige Person: Fehlanzeige. Habe auch einen Kollegen der Wasserschutzpolizei befragt. Und ...“, Scholtysek unterbrach ihn abrupt. War verärgert. „Das sollte doch TOPSECRET ablaufen. Warum diese Frage an einen Externen?“ „Keine Bange Herr Kriminaloberrat. Habe bloß allgemein gefragt, nicht mit Anspielung auf den Fall.“ „Nun denn. Beachten, ja!“

      Heller und Degoth hatten sich noch nicht gemeldet. Auch deren kurze Statements erwartete er noch. In Putbus stand zu diesem Zeitpunkt die wöchentlich konspirative Sitzung kurz bevor. Vier Herren trafen sich in einem historischen Raum. Der in einem kühlen, dunklen Gewölbe versteckt war. Heute sollte der nächste Coup vorbereitet werden. Gerade stiegen sie die steile Treppe nach unten. Einige Meter unter der Erde war es feucht und kalt. Der Zugang zu dem in der Mitte des Gewölbe liegenden Raum, das war Pflicht, durfte stets nur im Dunkeln erfolgen. Die Männer des Rügenschwurs trafen hier zu ihren konspirativen Sitzungen zusammen. Kein Mensch durfte je erfahren, dass dort überhaupt Treffen stattfanden. Es handelte sich schließlich ausschließlich um ehrbare Bürger, denen niemand was Unrechtes nachsagen mochte. Noch immer hatte die Kripo sie nicht erwischt, obwohl die Beteiligten, auch die aus dem äußeren Ring, von Ermittlungen dahingehend berichteten. Aufhalten konnten sie wohl niemanden. Sie waren so vertieft in der fixen Idee einen Gutmenschen zu spielen. Was ja an und für sich durchaus tolerabel gewesen wäre. Aber so homogen war die Gesprächsrunde nun auch wiederum nicht. Es gab einige Herren, die ihre Mitverschwörer nutzten, um sich Alibis zu verschaffen. Doch die waren nicht in das mörderische Spiel eingeweiht. Die Leichen, der in der Vergangenheit ermordeten Menschen, waren an vielen Orten der Insel vergraben oder im Meer versenkt. Und diese Männer hatten nur ein Ziel: aus dem Weg räumen was sich bei ihren Raubzügen in den Weg stellte. Die Gier stand für sie im Vordergrund. Die zweigeteilte Gruppe, ein Teil als Gutmensch getarnt, die andere als Gutmensch gelebt, wussten voneinander nur einseitig. Das wahre Gesicht der eigentlichen Übeltäter blieb ihnen bislang verborgen. Da stießen zwei Typen von Menschen aufeinander, die, jeder für sich, ihre Ziele verfolgten. Es ging um Gier und Leidenschaft. Die einen waren seit Jahren dabei, mit allen Mitteln. Schreckten nicht mal vor Morden zurück. Die anderen waren mit Leidenschaft dabei armen Bürgern zu helfen. Dabei vernachlässigten sie allerdings bis heute, hinter die Kulissen zu schauen. Sie waren betriebsblind geworden, könnte man sagen. Heute ging es mal wieder um Raubzüge, deren Beute an die Nachfahren der Störtebeker verteilt werden sollten und vor allem an die armen Menschen auf der Insel. Die Leute die vom Wohlstand der Gesellschaft, auch in der heutigen Zeit wieder, abgehängt wurden.

      „Ganz in der Tradition des Störtebekers“, fügte Dr. Wohlgelegen mit süffisantem Lächeln hinzu. Seine Äußerung klang beinahe sarkastisch. Sein Blick blieb eiskalt. Unter diesem Deckmantel ließen sich selbst seriöse Männer angeln! Doch im Hintergrund triefte es vor lauter Brutalität. Dieser Teil der Verbrecher, hatte sein Versteck in Granitz. Es waren ausschließlich verdungene Männer, die in der Vergangenheit schon viele Straftaten begannen. Einige davon waren gar Mörder und gingen, im wahrsten Sinne des Wortes, über Leichen! Hier, im Gewölbe war allerdings absolut nichts davon zu spüren, so seriös lief in der Regel alles ab. Es blieb alleine die Frage, ob aus Unvermögen oder Blindheit dem Ziel der Rädelsführer gefolgt wurde!

      KHK Heller gab das zuvor vereinbarte Startzeichen. Das Signal zum Angriff. Beinahe synchron sprangen sie hoch und wagten es. Dabei riefen sie dem Kerl zu: „Halt, ganz ruhig stehen bleiben, langsam umdrehen, ja keine falsche Bewegung! Ich wiederhole: drehen sie sich ganz langsam um und halten sie die Hände hinter dem Kopf.“

      Der Kerl folgte der Aufforderung, schaute überrascht und verwirrt zugleich, wie sie erkannten, als er in ihre Gesichter guckte. Damit hatte er nie gerechnet! In der Hand hielt er lediglich einen Korb, gefüllt mit Lebensmitteln. Schneider durchsuchte ihn, fand aber keinerlei Waffen. Nein das war nicht der Mann, mit dem sie gestern am Ufer sprachen. Heller begann mit einer kurzen Befragung. Da er unbewaffnet war konnten sie ihn ohne Haftbefehl schon gar nicht festnehmen. Dann ging ihm durch den Sinn, dass der Helfer von Frederiksen Friedrich hieß. Das musste also, wenn es denn zutreffe, ein anderer Komplize sein. Und dann fielen ihm die Worte von Degoth am Vormittag ein. Und danach, als die Bilder aus Stralsund gezeigt wurden, die Aussage von Christmann. „Es muss der Gustavson sein.“ Er wagte den Bluff.

      „Nun, Herr Gustavson, was suchen sie alleine in dieser einsamen Gegend?“

      Gut geblufft ...., dachte er, denn sofort merkte er, dass der Bursche zuckte. Ziemlich verwirrt drein schaute. Eine Widerrede gab er nicht.

      „Also warum antworten sie nicht“, hakte Heller nach, als er feststellte, dass er den richtigen Einstieg fand.

      Wie angewurzelt stand der besagte Gustavson unverändert auf dem Podest vor der Tür! Kein Mucks kam über seine Lippen. Just in dem Moment stieg ihm in den Kopf: „sprach nicht gestern der Degoth auch davon, dass der Störtebeker und seine Leute Ende des vierzehnten Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts ganz in der Nähe, in einer Schlucht in Sassnitz hausten? Oder irrte er?“ Und das wäre ja ganz in der Nähe gewesen, sagte er sich. Sein Kollege bestärkte ihn bei dem Gedanken. Auch er hätte dies so in Erinnerung. Schleierhaft blieb ihnen nur, was diese Vorfälle mit den heutigen Geschehnissen zu tun haben konnten? Insofern fühlten sie sich doch wieder ratlos!

      Degoth befand sich gerade in Ralswiek. Nachdem er zunächst in der Nähe des Bodden recherchierte, ging er hoch zu dem Festspielgelände. Neue Erkenntnisse konnte auch er noch nicht vorweisen. Dann kam ihm die spontane Idee, dem imposanten Schloss Ralswiek einen kurzen Besuch abzustatten. Später könne er immer noch in das Gelände marschieren. Er erhoffte sich dort eventuell Hinweise zu finden, die mit dem Fall zu tun haben könnten. Reale Hintergründe oder gar einen Verdacht, hatte er zwar dafür nicht, wer weiß, wen......... Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass hiesige Verbindungen zur Geschichte Rügens eine Rolle spielen könnte. Dafür hatte ihn der KOR dieser Tage zwar noch belächelte. Doch auch auf die Gefahr hin wieder belächelt zu werden, verfolgte er diese Spuren erneut. Die Nachfahren des Störtebekers kamen ihm in den Sinn. Ihr Verhalten die Tage, besonders von dem Herrmann, der so undurchschaubar war, fand er irgendwie seltsam. Auch der Auftritt des Theaterdirektors Robert Dissieux, ließ bei ihm Zweifel aufkommen. Als er mit Scholtysek vor zwei Tagen hier oben war, kam er ihm irgendwie suspekt vor. Warum war er auf der einen Seite so hilfsbereit und auf der anderen so verhalten, ja zusehends richtig nervös geworden? Auf der Terrasse des Schlosses eingetroffen bestellte er eine Tasse Kaffee. Zur Auswahl eines Stück Obsttorte, musste er an die Kuchentheke, die sich im Innenbereich befand, gehen. Er stand nun im Foyer, warf suchend seinen Blick zum Restaurant, als ihn derart die Blase drückte, dass er eilig den Weg zur Toilette ansteuerte. Hierbei schaute er, wie beiläufig, in Richtung des Tresens. Plötzlich stutze er. Hielt kurz inne. Stutzte wieder. Dann erinnerte er sich. Es war der Herrmann von gestern. „Schau mal an!“, nuschelte er in den Bart. Und dachte: „schließlich ist jeder ein freier Mensch, kann hingehen wohin er will!, aber...“

      Nach dem Toilettengang saß der Herrmann noch immer am Tresen. Diesmal allerdings in Begleitung eines fremden Mannes. Jetzt wollt er es genau wissen. Wer könnte dieser Fremde sein? Schnurstracks stolzierte er deshalb zur Kuchentheke, die in unmittelbarer Nähe stand. Er wählte ein Stück Torte aus. Natürlich von der Sorte, die ihm stets am besten schmeckte, einer Schwarzwälder! Immer wieder schielte er dabei zu den Männern. In diesem Augenblick drehte sich der fremde Kerl in seine Richtung.