Tyrone tanzte vor ihm auf und ab, die Arme fragend ausgebreitet. Brian dachte an sein Stipendium. Er schluckte den Zorn runter und begnügte sich mit einem drohenden Blick.
"Keine Chance, Mann", sagte er zu seinem Trizeps. "Bin schon gebucht."
"Von deiner Alten?"
"Yep."
Rachel hatte ihn gebeten, das diesjährige Halloween mit ihr zu verbringen. Gebeten auf die Art, wie die Mafia einen Kneipenwirt um Schutzgeld bittet. Natürlich würde auch das Buschmädchen wieder dabei sein. Sie sollte unbedingt ihr erstes Halloween im Kreis der neuen Familie erleben, von wegen amerikanische Kultur und so.
"Stehst ganz schön unterm Pantoffel", sagte Tyrone.
Brian biss sich auf die Lippe.
"Verzieh dich besser, Ty."
"Na dann viel Spaß beim Kürbisschnitzen."
Feixend verschwand Tyrone im Nebel des Duschraums.
Die Aussicht, sich am Halloween gepflegt mit seinem Team volllaufen zu lassen anstatt wie ein Vorschüler in einem peinlichen Kostüm um die Häuser zu ziehen, war verlockend. Natürlich stand er nicht unter Rachels Pantoffel. Er konnte ihr Gelaber getrost ignorieren. Stundenlange Telefonate hatten ihn zu einem Meister des Weghörens werden lassen. Allerdings müsste er dann die Konsequenzen in Form einer wochenlang beleidigten Rachel ertragen. Er sah ihre schmollende Fluppe schon vor sich, wenn er ihr beichtete, dass er keinen Bock auf die Halloween-Kinderkacke hatte. Nicht dass er sich eh schon jedes Mal den Mund fusselig reden musste, damit sie die Beine breit machte. Vielleicht war es an der Zeit, einen Ersatz zu suchen. Auf der Party würde es keinen Mangel an Mädchen geben, die nur allzu bereit wären, sich vom Quarterback der Starfighters nageln zu lassen. Andererseits - jemanden zu finden, der es optisch mit Rachel aufnehmen konnte, würde keine leichte Aufgabe sein. Was ihr Aussehen betraf, war Rachel ein wahrgewordener Jungstraum. Und darauf wollte er nicht verzichten.
Ihm blieb die Wahl zwischen Pest und Cholera. Keine Saufparty oder keine Rachel. Brian entschied sich für die Pest. Dieses Jahr würde er klein beigeben. Er hatte keine Lust auf Stress. Wenn einer Stress verursachte, dann war es der Wolf.
-
In Pauls Ecke tagte der Klub der Unsichtbaren. Mark diskutierte mit Ale, während Special Ed neben den beiden stand, grinste und beobachtete. Sobald Paul in Griffweite kam, packte Mark ihn am Arm und schaute ihm tief in die Augen.
"Der Tod ist in ihre Stadt gekommen, Sheriff. Sie können ihn ignorieren, oder mir helfen, ihn zu stoppen."
Ale verfolgte die Szene mit einem großen Fragezeichen im Gesicht. "Ist das irgendein amerikanisches Ritual, von dem ich wissen müsste?"
"Mark zitiert aus Halloween", sagte Paul.
"Ist das ein Film?"
"Ist das ein Film??", echote Mark empört. "Halloween ist der Film. Die Mutter aller Slasherfilme."
Er nahm die Hand von Pauls Schulter, zog Ed heran und rammte ihm ein unsichtbares Messer in den Bauch, nur für den Fall, dass das Wort Slasherfilm nicht zu Ales Wortschatz gehörte. Special Ed krümmte sich lachend, ein Hakenkreuz aus Gliedmaßen.
"Wer ist nun ignorant?", fragte Mark. "Hat das Girl aus Ipanema etwa noch nie von Michael Myers gehört, dem original Bogeyman?"
"Was ist Boogie Man? Ein Tanz?"
Mark seufzte. "Bo-gey-man! Der schwarze Mann. So wie in –" Er zog einen Marker aus seiner Tasche und schrieb Der Bogeyman wird dich holen! auf die Kacheln neben seinen Spind. "Der Bogeyman ist das personifizierte Böse."
Ale zuckte mit den Schultern. Bogeyman - schon das Wort hörte sich dämlich an. Es musste so eine Art Homem do Saco sein, der Sackmann, dessen Geschichten in ihrer Heimat die Kinder erschreckten.
"Gibt's in Brasilien kein Halloween?", fragte Paul.
"So was Ähnliches. Aber wir machen da nicht so einen Kult drum."
"Wir schon", sagte Mark. "Der 31. Oktober ist uns heiliger als Weihnachten. Seit wir zwölf sind, sehen wir an jedem Halloween Halloween I. Und dieses Jahr kommt der fünfte Teil raus - Die Rache des Michael Myers. Paul jobbt im Kino, da können wir endlos Filme sehen."
"Im Kino? Cool. Das macht bestimmt Spaß", sagte Ale.
Paul rümpfte die Nase. "Wenn man darauf steht, Popcorn aus den Polstern zu klauben."
"Paul steht darauf", sagte Mark. Und zu Ale: "Hey, warum ziehst du dieses Jahr nicht mit uns los? Erst gucken wir Halloween 5, dann Halloween 1, dann ziehen wir um die Häuser. Mit uns bekommst du eine Überdosis authentische amerikanische Kultur."
"Ich würde ja gern, aber ich fürchte, meine Gastschwester hat den Abend schon verplant. Sie meinte, ich sollte mir an Halloween nichts vornehmen."
"Dein Pech. Vielleicht läuft man sich ja beim Trick or Treat über den Weg."
"Ja, vielleicht. Bis später!" Ale machte sich davon.
"Also, was ist der Plan dieses Jahr?", fragte Mark. "Wann geht's los?"
"Bis 15 Uhr muss ich arbeiten", sagte Paul.
"Okay, ich komm dann im Cine vorbei." Marks Kugelschreiber tippte auf die Rückseite von Pauls Physikheft, deren Originalfarbe unter der Flut von Joanne-Graffitis verschwand.
"Gut, dass du nicht von ihr besessen bist oder so."
"Was soll man sonst machen, um zwei Stunden Physik rumzubekommen?"
"Und wie läuft's mit der Braut? Erste Erfolge?"
"Mehr oder weniger. Mehr weniger."
"Immer noch nicht mit ihr geredet?"
"Beinahe."
"Warum rufst du sie nicht einfach mal an? Oder gehst zu ihr rüber? Wo sie schon in deiner Straße wohnt.
"Vielleicht mach ich das ja."
Ed, der die ganze Zeit regungslos an der Wand gelehnt hatte, starrte fasziniert auf Pauls Physikheft. Er fuhr mit dem Finger über die Buchstaben wie ein Archäologe, der eine altägyptische Keilschrift entziffert.
"J-O-A-N-N-E", buchstabierte er.
"Whoa", rief Mark. "Es spricht."
"Du hättest fester zustechen sollen."
"Deine Leseklasse trägt Früchte, Ed", sagte Mark. "Kannst stolz auf dich sein." Ed grinste.
Paul ging zu seinem Spind und verstaute das Skateboard. Genützt hatte es ihm heute - wieder einmal - nichts.
"Sag mal", rief Mark "hatte ich nicht gestern den Bremsenreiniger hier abgestellt?" Er tastete die Untiefen seines Spinds ab.
"Ist er das nicht?" Paul zeigte auf eine blau-gelbe Dose.
"Natürlich nicht. Das ist WD-40. Bremsenreiniger ist in einer weißen Spraydose mit roter Kappe."
"Keine Ahnung. Heute ist Freitag der 13., da verschwindet einiges. Warum lässt du den Kram nicht im Auto?"
"Weißt du, wie heiß es darin werden kann? Soll der Pussy Magnet explodieren, oder was?"
Paul seufzte. Kaum ein Tag verging, an dem Mark nicht irgendwelche Öle und Sprays aus der Werkstatt in die Schule schleppte, um sie in Freistunden am Pussy Magnet auszutesten. An manchen Tagen glich sein Spind dem Kofferraum eines Pannendienstes.
"Scheiß drauf", sagte Mark. "Das Zeug bringt eh nicht viel."
Paul hörte nur mit halbem Ohr hin. In seinem Kopf tanzten die Buchstaben. J-O-A-N-N-E. Was konnte er nur anstellen, damit sie von ihm Notiz nahm?
In