TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND. Christian Schwetz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Schwetz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004830
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ein paar Krimis. Bei einer näheren Analyse würde sich freilich herausstellen, dass die Auswahl zu willkürlich und beliebig war. Oberflächlich. Billig. Nicht die wirklich wichtigen Klassiker, vollständig und bewusst ausgewählt. Nicht die wirklich modernen Werke der Moderne, nicht die wegweisenden SF-Pioniere. Alles nur angedeutet, nichts ging in die Tiefe. Aber für eine bewusste Persiflage, für einen Philosophen der neuen Oberflächlichkeit war die Auswahl nicht umfangreich genug. Keine Bibel, kein Simmel, kein Hohlbeck, kein Liebeskitsch.

      Das Läuten der Türklingel ließ Henk zusammenzucken. Diese ärgerlichen und unverständlichen Körperreaktionen. Wenn man etwa an einem Gartenzaum vorbeiging, den Hund von weitem sah, sich selbst Mut zusprach: ‚Du brauchst nicht erschrecken, wenn der jetzt loskläfft, du weißt ja, er kann nicht an dich heran’, und dann trotzdem voll zusammenzuckte, wenn der Hund endlich losbellte. Läuten, ach ja, da ist sie, jetzt aber.

      Miriam war ebenfalls etwas aufgeregt. Jetzt war sie gleich in Henks Wohnung. Er musste nur noch die Tür öffnen und sie hereinbitten. Wie er wohl aussieht? Ob er schwer krank ist? Ansteckend wird es schon nicht sein. Dann hätte er nicht zugestimmt, dass sie zu ihm kam, oder?

      Die Tür ging auf, und Henk spürte ein kleines Zusammenzucken in sich drin. Nicht so ein großes Erschrecken, wie bei einem bellenden Hund, sondern nur ein kleines Zucken, dass da Miriam stand, obwohl er wusste, nein, aber zumindest fast sicher war, dass Miriam da stehen würde.

      Miriam fand, dass Henk aussah wie immer. Er war nicht bleicher als sonst, er war nicht im Pyjama, er war nicht schweißgebadet. Das verhaltene Grinsen unterschied sich nicht von der Art, wie er sie sonst auch immer schüchtern anlächelte. Die Augen hatten diesen leicht weltfremden Ausdruck, dieses: wer bist du, was willst du von mir, wie kann ich deinen Erwartungen entsprechen, das sie so an ihm mochte. Nichts von fiebrigem Glanz, nichts von totem Glotzen, keine dicke Glaswand aus Schmerz oder Verzweiflung. Miriam merkte, dass sie der Reihe nach alle Angstträume, was ihm hätte zustoßen können, Schablone für Schablone vor ihn hielt, und mit der Wirklichkeit verglich.

      „Hallo, du, gut siehst du aus“, sagte sie, und dachte: ‚so normal wie immer eben, nix Furchtbares ist dir anzusehen’. Das „Äh, öh, hallo. Schön dass du endlich da bist“, mit den groß aufgerissenen Augen und dem fragenden Blick entsprach dem Henk, den sie aus dem Alltag kannte. Ein wirklich kranker und veränderter Henk hätte wahrscheinlich ein „Heh Baby, cool dass du da bist. Komm rein, Süße“ gehaucht.

      „Ich komm dann mal rein, oder?“ nahm Miriam die Initiative an sich, und grinste über sein „Äh, hmm, klar doch.“

      WIR überspringen den Smalltalk. Miriam merkte, dass Henk nicht krank war und nicht ihre Fürsorge brauchte. Sie fand ihn so liebenswürdig wie im Büro. Wie ein altkluges aber hilfloses Kind, oder wie ein hübsches Stofftier. Liebenswürdig auf eine harmlose und nette Art. Nichts für die große Liebe, aber für ein kleines Lieb-Haben.

      Henk war Miriam dankbar, dass sie so unkompliziert war. Das ließ ihm Spielraum, sich selbst in der Rolle als Gastgeber, der Rolle als freundlicher junger Mann, der Rolle als Freund der gar nicht versuchte, mehr als ein Freund zu sein, zu beobachten.

      WIR wissen, dass Miriam mehr darüber nachdachte, warum Henk so auf sie wirkte, als darauf, was er sagte. Und dass Henk mehr darüber grübelte, wie er auf Miriam wirkte, als was sie tatsächlich antwortete.

      Als Miriam fragte, was er eigentlich gehabt hatte, wollte er schon mit einem „Nichts Besonderes“ darüber hinweg gehen. Stark und gesund sein. Edel, aufrecht und gut. Da fiel ihm ein, dass sie vielleicht mit Fjodor gesprochen hatte. Was er ihr wohl gesagt haben mochte? Ich will mich nicht in Widersprüchen verrennen, dachte er. Wenn man einmal mit dem Lügen anfängt, ist es schwer, da wieder raus zu kommen.

      „Hast du inzwischen mit Fjodor gesprochen?“ fragte er.

      „Wieso mit Fjodor? Du hast mir ja schon am Telefon erzählt, dass er bei dir war. Und dass ihr etwas Wichtiges besprochen habt. Ich will jetzt von dir wissen, was los ist. Vergiss Fjodor. Ja, ich habe mit ihm gesprochen, aber jetzt will ich es von dir noch mal hören“ log sie.

      Miriam ärgerte sich über dieses Fjodor-Getue. Sie sah Henk an, dass er ihr nicht alles sagen wollte, aber Angst hatte, dass Fjodor das bereits erledigt hätte. Henk sah nicht krank aus, aber durch dieses Herumtaktieren, das sie in seinen Augen, seinen Mundwinkeln sah, kamen ihre schlimmsten Befürchtungen wieder hoch.

      „Hmm, tja, also, mit meinen eigenen Worten,“ drückte Henk sich herum, „wie soll ich das ausdrücken. Aber dass du dem Fjodor nicht glaubst, kann ich natürlich verstehen. Ich hab mir ja auch verdammt schwer getan, ihm davon zu erzählen“. Oh Gott, er hat wirklich Krebs, dachte Miriam. Oder Aids. Oder weiß der Kuckuck was.

      Sie konnte das ruckartige Großwerden ihrer Pupillen, das versteckte Herunterschlucken der im Hals schockgefrorenen Luft nicht unterdrücken. Aber Henk beobachtete nur sich selbst und nicht Miriam. Er merkte nichts.

      „Also, ich versuche es ganz von vorne. Und unterbrich mich bitte nicht, es fällt mir schwer genug, das in Worte zu fassen, und bei komischen Zwischenfragen verliere ich....“

      „Wieso soll ich dich unterbrechen. Was glaubst du eigentlich von mir?“

      Henk erkannte, dass er mit dieser Bitte, ihn nicht zu unterbrechen, seine Freundin wütend gemacht hatte. Vor seinem inneren Auge liefen Filmszenen ab:

      Oh, entschuldige, so was glaube ich doch nicht von dir, du bist eine ganz Liebe – und ein treuherziger Hundeblick wie Dustin Hoffman.

      Nein, das war nicht er.

      Was ich von dir glaube? Du bist eine Frau, Schätzchen, und Frauen können nun mal nicht in Ruhe zuhören. Oder habe ich mich geirrt, Baby? – mit dem zynischen Grinsen eines Humphrey Bogart oder Bruce Willis.

      Kacke, verfluchte, dass war er noch weniger.

      Dann also Woody Allen:

      „Nein, äh, entschuldige, äh, ich halte viel von dir, aber, äh, ist mir ja nur so rausgerutscht“ brachte er endlich ein paar Worte über die Lippen, wenn auch die falschen. Obwohl, wenn er Miriam so ansah, sie hatte sich wieder etwas beruhigt. Aber Woody Allen wollte er auch nicht sein, oder wenn, dann eine Spur langsamer. Tempo herausnehmen.

      „Weißt du, ich hätte es dem Fjodor ja auch nicht erzählt. Aber er hat gefragt, und ich habe so herumgeredet, wie bei dir, und dann hat er gar nichts geantwortet, sondern nur so komisch immer wiederholt, was ich gesagt habe.“

      Miriam versuchte, nicht nur die Worte von Henk aufzunehmen, sondern auch, was er mit Augen, Händen, Körperhaltung vor ihr verbergen wollte. Sie lächelte über Henks umständliche Ausdrucksweise und sein Drum-Herum-Gerede.

      „Ja, ja, ich hör dir zu, und unterbrech' dich nicht. Ich bin eine ganz Brave“ sagte sie.

      „Äh ja, also er hat mich nie unterbrochen, und immer alles wiederholt“.

      Miriam merkte an der Pause, dass Henk auf eine Antwort von ihr wartete.

      „Ja, gut, Fjodor hat alles wiederholt. Aber ich bin nicht Fjodor. Oder schau ich etwa so aus, wie unser lieber Freund?“.

      Nicht einmal Henk entging es, wie sie ihn bei diesen Worten erwartungsvoll anblickte, und den Busen bewusst oder unbewusst um einige Zentimeter hervorstreckte.

      „Nein, du siehst überhaupt nicht wie Fjodor aus. Du siehst“ und unterstützt durch ein Ineinanderfassen der Hände, die ihm offenbar Halt und Kraft gaben und mithalfen, die Worte über die Lippen zu pressen, kam das „sehr hübsch aus“ bei ihr an. „Aber ich bin nicht gut im Komplemente machen, und im Flirten. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich das will. Ich meine, jetzt will. Ähhh“

      Miriam mochte ihn, wie er so hilflos da saß, mit Worten rang und ihr zu sagen versuchte, dass er – zumindest jetzt – nicht mit ihr flirten, sondern über Wichtiges sprechen wollte. Sofort waren ihre Befürchtungen wieder da. Nicht, dass sie sich für unwiderstehlich hielt, im Gegenteil. Aber trotzdem. Nein, er hatte sicher andere Sorgen, war wohl doch schwer krank.

      „Gut.