Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Tegethoff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742762917
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Burg ein und fragten,

       was das für ein Land sei, und man sagte ihnen, es sei

       das Land des Königs von Torelore. Aucassin fragte,

       welch ein Mann das sei und ob er Krieg führe. »Ja,

       einen großen Krieg.« Da nahm er Abschied von den

       Kauffahrern, und diese befahlen ihn Gott. Er stieg auf

       sein Roß, sein Schwert umgegürtet und sein Liebchen

       vor sich, und ritt, bis er in die Burg kam. Er fragte

       nach dem König, und man sagte ihm, er liege im

       Kindbett. »Und wo ist denn seine Frau?« Man erwiderte,

       sie sei auf der Heerfahrt und mit ihr alle Leute

       des Landes. Als Aucassin das hörte, verwunderte er

       sich gar sehr. Er kam in den Palast und stieg ab, sowohl

       er als sein Liebchen. Sie hielt sein Roß; er aber

       stieg in den Palast hinauf, das Schwert umgegürtet,

       und kam in das Zimmer, wo der König lag. Aucassin

       war ganz allein; / in die Kammer drang er ein / und

       gelangte bis zur Stätte, / wo der König lag im Bette. /

       Er blieb stehn, als er ihn sah: / »Sag, du Narr, was

       machst du da?« / Nun vernehmt, was der gesprochen:

       / »Herr, ich liege in den Wochen! / Wenn mein Monat

       ist dahin / und ich ganz genesen bin, / werd' ich in die

       Messe gehn, / wie's von altersher geschehn. / Aber

       dann mit großem Schall / schlag ich meine Gegner all,

       / lasse nicht vom Kriege.« Als Aucassin den König

       also reden hörte, nahm er alle Decken, die auf ihm

       lagen, und schüttelte sie auf den Boden. Er sah hinter

       sich einen Stock, ergriff ihn und schlug damit so auf

       den König los, daß er ihn fast umbrachte. »Ach, lieber

       Herr,« rief der König, »was wollt Ihr von mir?

       Seid Ihr verrückt, daß Ihr mich in meinem eigenen

       Hause schlagt?« »Beim Herzen Gottes,« sprach Au-

       cassin, »armseliger Wicht, ich schlage Euch tot, wenn

       Ihr mir nicht gelobt, daß in Eurem Lande kein Mann

       mehr im Kindbett liegen soll!« Er gelobte es ihm, und

       als dies abgetan war, sagte Aucassin: »Herr, nun führt

       mich zu Eurer Frau ins Heer!« »Gerne Herr,« sprach

       der König. Er stieg auf ein Roß und Aucassin auf das

       seine und Nicolette blieb in den Gemächern der Königin.

       Der König und Aucassin ritten zur Königin ins

       Feld, wo eben mit gerösteten Holzäpfeln, Eiern und

       frischen Käsen eine Schlacht geliefert wurde. Aucassin

       schaute das mit an und verwunderte sich höchlichst.

       Auf dem Sattel vorgeneigt, / hält der Jungherr,

       staunt und schweigt. / Vor ihm wogte weit und breit /

       dieser Heere heißer Streit, / die mit Äpfeln, mürbgekochten

       / und mit frischen Käsen fochten. / Durch die

       Luft in hohem Bogen / große Wiesenschwämme flogen.

       / Wer mit Lärm am lautsten tobt, / wird als erster

       Held gelobt. / Aucassin, der tapfre Mann / sah die

       seltne Schlacht mit an / und begann zu lachen. Als

       Aucassin dieses wunderliche Schauspiel sah, ging er

       zum König und redete ihn an: »Herr, sind das Eure

       Feinde?« »Ja, Herr!« sagte der König. »Und wollt Ihr,

       daß ich Euch an ihnen rächen soll?« »Ja,« sprach

       jener, »gerne!« Da legte Aucassin Hand ans Schwert,

       stürzte sich mitten unter sie, begann nach rechts und

       links um sich zu hauen und tötete viele. Doch als der

       König sah, daß er sie totschlug, fiel er ihm in den

       Zügel und rief: »Ach, lieber Herr, tötet sie mir nicht

       so ohne weiteres!« »Wie?« sprach Aucassin, »wollt

       Ihr denn nicht, daß ich Euch räche?« »Herr,« sprach

       der König, »das habt Ihr schon zuviel getan. Es ist

       unter uns nicht Brauch, daß wir einander totschlagen.

       « Die Feinde wandten sich zur Flucht, und der

       König kehrte mit Aucassin ins Schloß Torelore zurück.

       Die Leute des Landes aber rieten dem König, Aucassin

       aus seinem Reiche zu jagen und Nicolette für

       seinen Sohn zurückzubehalten; denn sie scheine eine

       Frau von hohem Stande. Als Nicolette das hörte, war

       sie nicht sehr froh darüber und sprach: »Komm ich,

       Herr von Torelor, / Eurem Volk so närrisch vor, / daß

       ich solche Wünsche hätte?« / sprach die holde Nicolette.

       / »Wenn, von meinem Reiz beglückt, / mich

       mein Liebster an sich drückt, / nenn' ich alle Wonnen

       mein. / Ball und Tanz und Ringelreihn, / Fiedel, Geig'

       und Harfenspiel, / und was sonst der Welt gefiel, / gilt

       mir nichts dagegen.«

       Aucassin lebte auf der Burg Torelore herrlich und

       in Freuden; denn er hatte Nicolette, sein süßes Liebchen,

       bei sich. Doch als er in diesen Wonnen

       schwamm, kam ein Schiffsheer Sarazenen übers Meer

       daher, lief die Burg an und nahm sie im Sturm. Sie

       raubten das Gut und schleppten Männer und Weiber

       gefangen fort. Auch Nicolette und Aucassin ergriffen

       sie, banden dem Jungherrn Hände und Füße und warfen

       ihn in ein Schiff und Nicolette in ein anderes. Da

       erhob sich ein Sturm über dem Meere, der sie trennte.

       Aucassin landete beim Schloß Beaucaire und erfuhr,

       daß seine Eltern, während er in Torelore war, gestorben

       seien. Die Bürger führten ihn in sein Schloß und

       huldigten ihm, und er hielt sein Land im Frieden. Das

       Schiff aber, darin Nicolette war, gehörte dem König

       von Karthago, und der war ihr Vater. Sie wurde also

       mit großer Freude im Sarazenenlande aufgenommen

       und sollte einem Heidenkönig zur Frau gegeben werden;

       aber sie hatte keine Lust, sich zu vermählen. Sie

       verlangte eine Fiedel und lernte darauf spielen, und

       als man sie eines Tages einem mächtigen Sarazenenfürsten

       vermählen wollte, schlich sie in der Nacht

       davon, färbte sich Haupt und Antlitz, daß sie ganz

       dunkel wurde, ließ sich Rock und Mantel, Hemd und

       Hosen machen und kleidete sich so in die Tracht eines

       Spielmanns.