Keine Anleitung zum Mord. Anton Theyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Theyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738070330
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Langsam zieht die klamme Kälte durch meinen ganzen Körper. Meine Schuhe sind durchnässt. Vereinzelt sind mir Spaziergänger begegnet. Wetterfest angezogen, gutes Schuhwerk und meist werden mir verstörte Blicke zugeworfen, bin ich doch für einen Waldspaziergang im Januar unzureichend angezogen.

      Ich spüre schon, wie sich eine Erkältung ankündigt. Die Nase läuft, die ersten Halsschmerzen stellen sich ein. Widerwillig steige ich in mein Auto. Meine Haushälterin sollte mittlerweile gegangen sein und wenn nicht, werde ich ihr sagen, dass ich mich kurzfristig für den Ruhestand entschieden habe. Keiner wird es verstehen. Vielleicht interessiert es auch keinen. Wen soll es wirklich interessieren?

      Ich weiß nicht, wie mein Auto und ich nach Hause gekommen sind. Mein Auto fährt noch nicht selbst und ich kann mich nicht erinnern, selbst gefahren zu sein. Ich bin völlig vernebelt. Ich stehe neben mir. Ich stehe vor einem riesigen Loch. Das Haus ist leer, meine Haushälterin ist bereits weg. Ich setze mich in meinem Arbeitszimmer auf das Sofa, meine Gegenwehr nützt nichts. Angesichts der kurzen Nacht falle ich in einen unruhigen Schlaf.

      Irgendwann am Nachmittag werde ich wach und laufe durch mein Haus. Wie ein gefangenes Raubtier im Käfig komme ich mir vor. Ich esse mich einmal quer durch den Kühlschrank. Ich esse nicht, weil ich Hunger habe. Ich esse, da es mir ein paar Minuten Beschäftigung bringt. Meine Gedanken kehren wieder und wieder um das Geschehene zurück.

      Jeder von uns ist froh, dass wir Gurt- und Airbagsyteme haben, die nach heutigem Stand der Wissenschaft optimal auf den Menschen angepasst sind. Zur Entwicklung und Verbesserung haben zwei Technologien maßgeblich beigetragen. Crash Test Dummies, vollgestopft mit Elektronik und Sensoren, sind aus der modernen Unfallforschung nicht mehr wegzudenken. Hochleistungscomputer und die entsprechende Software sind heute in der Lage, nahezu alle Folgen eines Unfalles mit fast 100%-iger Genauigkeit zu simulieren und bei geringen Kosten Schwachstellen zu analysieren und zu beseitigen. Tierversuche sind häufig widerlich und oft nur begrenzt aussagefähig, weil ihre Ergebnisse nur bedingt auf den Menschen zu übertragen sind.

      Dieses Wissen und ein paar visionären Gedanken standen meinem Laborleiter Frank, ich habe es noch nicht verinnerlicht, meinem ehemaligen Laborleiter Frank, und mir bei einer Wanderung durch die Alpen Pate. „Stell dir vor“, klingen mir noch immer seine Worte im Ohr, „stell dir vor, wir können anhand einer Blutprobe vorhersagen, ob ein Medikament wirkt, worauf der Patient allergisch reagiert und welche Medikamentenunverträglichkeiten er zeigen wird. Ganz neue Möglichkeiten wären denkbar.“

      Während ich meinen Gedanken nachhänge, räume ich sinnlos Dinge weg, in Schubladen, in denen ich sie kaum wiederfinden werde, kontrolliere grundlos die Heizungsanlage. Es wäre eine Revolution in der Medizin. Ich blicke aus dem Fenster auf die Straße. Seine Idee, und es war Franks Idee, ließ mich nicht mehr los. Ich habe Zuhause noch ein kleines Labor und habe immer wieder mit neuen Versuchsanordnungen Tests durchgeführt. Ab und zu kam auch Frank zu mir und wir haben stundenlang am Wochenende experimentiert - zum Leidwesen unserer Ehefrauen. Irgendwann hatten wir die entscheidende Idee. Noch weit weg von der Praxistauglichkeit.

      Wir wussten nur, dass es so rein theoretisch gehen müsste. Der Laboraufbau ist bei Weitem nicht so kompliziert, wie man glauben möchte. Allerdings braucht man erhebliche Rechnerleistung, die war in meinem Privatlabor nicht verfügbar. Diese Investition hätte ich mir nicht leisten können. Was lag näher, als den Versuch im Unternehmenslabor aufzubauen?

      Die Rechnerleistung war dort kein Problem. Es stehen dort entsprechende Hochleistungsrechner. Das Prinzip ist einfach. Auf der einen Seite Blut des Patienten und viel Knowhow, auf der anderen Seite das Medikament und viel Knowhow und das Ganze verbunden mit einem Computer, noch mehr Knowhow und der entsprechenden Software. Die Software habe ich und die Software habe nur ich, da sie auf der Cloud ist.

      Und hier haben wir das getan, was in meinem früheren Unternehmen, mir geht das „Früher“ jetzt schon leichter von der Zunge, auf keinen Fall dulden wollte. Wir haben Genforschung betrieben und das Wissen über diese Genforschung in falschen Händen könnte zu einer mächtigen Waffe werden. Ich - oder ein anderer - könnte, wenn wir zum Ende unserer Forschung gekommen wären, Menschen ebenso leicht gesund wie krank machen.

      Aber das wäre noch ein weiter, weiter Weg gewesen. Ich habe dem Unternehmen nicht geschadet, bestenfalls ein wenig Arbeitszeit genommen, die aber in keinem Verhältnis zu den Hunderten, nein Tausenden von Stunden stehen, die ich ohne Entgelt jahrzehntelang zusätzlich gearbeitet habe. Da brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben.

      Genforschung wurde im Unternehmen nicht betrieben. Das war ein absolutes Tabu. Es war mehr ein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung, wissenschaftliche Neugier. Es hat mich den Kopf gekostet. Mein Laborleiter hat Glück gehabt und wurde nur als mein Werkzeug angesehen. Ich freue mich für ihn, dass er bleiben darf. Man wird ihn immer sehr genau beobachten.

      Ein erster Plan

      Mittlerweile ist es spät im Frühling. Ich bin seit vier Monaten Ruheständler und ich habe das Gefühl, dass ich meinen Alltag halbwegs bewältige. Am Anfang war ich eher depressiv und es kamen mir tausend Gedanken, die meisten davon waren nicht gut. Ich fahre täglich große Strecken mit dem Fahrrad; entweder per Mountain-Bike durch den Wald oder mit dem Rennrad auf der Straße. Beim Radfahren kann ich am besten entspannen. Da habe ich die besten Ideen. Heute hatte ich eine gute Idee.

      Ich fühle mich unheimlich gut. Ich male mir aus, wie es am besten geht. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es tun. Egal was passiert. Nur dann werde ich zufrieden sein. Ich werde mich rächen. Das steht fest und davon werde ich mich nicht abbringen lassen. Ich werde mich an Erwin rächen. Ich werde ihn so zerstören, wie er mich zerstört hat. Er wird vor Trümmern stehen.

      Steinewerfer gab es auf deutschen Autobahnen schon einige. Mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem die Steinewerfer eine konkrete Person im Blick gehabt hätten. Vielmehr ging es ihnen um niedere Beweggründe. Diese reichten, bei aller Tragik der Folgen, von jugendlichem Übermut bis hin zu Hass, der sich an irgendeinem zufälligen Opfer entlud.

      Zumindest in den schweren Fällen sind nach meiner Kenntnis alle Täter ermittelt worden. Mein Ehrgeiz sagt mir, dass ich das besser machen will, deutlich besser. Ich werde mich nicht ertappen lassen. Ich weiß, dass Erwin jeden Mittwoch zum Managertreffen in eine andere Stadt fährt. Erwin ist mein Ziel.

      Mit dem Managertreffen hat es eine besondere Bewandtnis. Das Managertreffen bezahlt er, es findet etwa 100 Kilometer vom seinem Wohnort entfernt statt und er ist der einzige Manager, der daran teilnimmt. Der andere Teilnehmer ist eine Managerin mit Spezialkenntnissen auf einem einzigen Gebiet. Sollte Erwin auf der nächtlichen Rückfahrt von seiner Managerin einen kleinen Unfall haben, käme er bei seiner Frau in große Erklärungsnöte.

      Ob sie sich das gefallen lässt, weiß ich nicht. Im Unternehmen sollte es dazu führen, dass Erwin nicht mehr haltbar wäre. Man denke an amerikanische Politiker. So lange es nicht öffentlich wird, sei es die größte Schweinerei, ist alles in bester Ordnung. Sobald die Öffentlichkeit von den moralischen Verfehlungen erfährt, kommt klar das finale Aus.

      Ein Ferrari - Erwins Ferrari - hat eine Bodenfreiheit von 11 cm. Ein Stein mit einer Größe von 15 cm auf der Straße wird seinen Ferrari in die Leitplanken setzen. Das wird unangenehme Fragen aufwerfen. Warum zu dieser Zeit an diesem Ort? Das sollte genügen. Ich habe auch schon eine Idee für den Ort meiner Rache. Eine Grünbrücke auf der Strecke ist ideal. Oft genug schon bin ich bei ausgiebigen Touren mit dem Fahrrad über die Brücke gefahren. Die Herausforderung wird für mich darin bestehen, keine Spuren zu hinterlassen. Es wäre schon eine Ironie des Schicksals, wenn ich meinen eigenen genetischen Fingerabdruck hinterlassen würde. Gentechnik wurde mir schließlich schon einmal zum Verhängnis. Ein zweites Mal sollte mir das nicht passieren, darf mir das nicht passieren.

      Bei jeder Fahrradfahrt, und nicht nur da, überlege ich mir genau, wie ich es anstelle. Ich stecke mir immer ein paar unreife Äpfel und Tomaten aus meinem Garten ein und übe. Von einer Brücke versuche ich, mit den Früchten einen Güterzug zu treffen. Mit den tischtennisballgroßen Früchten kann nichts passieren und ich lerne schnell, die Früchte im richtigen Moment loszulassen und meine Ziele zu treffen.

      Mal