Keine Anleitung zum Mord. Anton Theyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Theyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738070330
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bekomme ich keinen Bissen hinunter. Es reicht lediglich für drei Tassen Kaffee. Ich lege das Mountainbike von heute Nacht ins Auto und alle Gegenstände aus meinem Labor, die ich verwendet habe. Es sind nur wenige, am verräterischsten ist die Eiswürfelform. Die Mülltonne hole ich von der Straße zurück auf das Grundstück. Die Tonne ist bereits geleert. Nach meiner Einschätzung sind hier alle verwertbaren Spuren unwiederbringlich beseitigt.

      Ich fahre über die Autobahn in eine andere Stadt. Auf einer Autobahnraststätte entledige ich mich an einem Abfallcontainer der verwendeten Laborgegenstände. Es darf keine Spuren, keine Indizien geben. Auf einem Einkaufszentrum am Rande der Stadt hole ich mein Fahrrad aus dem Kofferraum und fahre in die Fußgängerzone der Innenstadt. Das Fahrrad stelle ich ungesichert ab. Das Fahrrad wird sehr schnell einen neuen Besitzer finden und mir nicht mehr zuzuordnen sein. Ich glaube, das ist besser, als das Rad irgendwo zu entsorgen. Ein irgendwo entsorgtes, funktionsfähiges Fahrrad könnte auffallen und der erste Ansatz für eine Ermittlung, eine Spur sein. Der neue Besitzer des Fahrrads wird sich fürsorglich um seine Neuerwerbung kümmern. Unmöglich, es mir dann noch zuzuordnen.

      Planlos irre ich durch die Stadt. Jeder uniformierte Ordnungshüter, selbst die Damen vom Ordnungsamt auf der Suche nach Parksündern lassen mich erschrecken. In jeder Minute rechne ich mit meiner Verhaftung, was selbstverständlich jeder rationalen Begründung entbehrt. Im Laufe des Nachmittags ordnen sich meine Gedanke allmählich und ich werde ruhiger. Ich kann sogar etwas essen und wider Erwarten schmeckt es mir. Ich gehe noch einmal an meinem abgestellten Fahrrad vorbei. Entgegen meiner Erwartung hat es noch keinen neuen Besitzer gefunden. Natürlich lasse ich es stehen und gehe zum Auto zurück.

      Wann immer ich unter einer Brücke hindurchfahre, schaue ich nach oben, ob jemand in mörderischer Absicht den Verkehr beobachtet. Der Gedanke ist völlig abwegig, mein Denken ist heute nur bedingt vernunftgesteuert. Wer zum Teufel sollte so etwas tun, genau heute, genau in dem Moment, in dem ich unter der Brücke durchfahre. Erst nach der zwanzigsten oder dreißigsten Brücke gewinnt mein Verstand wieder die Oberhand über mein Handeln und ich zwinge mich dazu, ohne hochzusehen, unter den Brücken hindurchzufahren - zunehmend verlieren sich meine Ängste.

      Zuhause angekommen gibt es nichts Verdächtiges. Offensichtlich interessiert sich keiner für mich. Fahrrad fahren zur Ablenkung möchte ich heute mit Sicherheit nicht. Noch einmal überprüfe ich mein Labor auf mögliche, verdächtige Spuren. Nichts zu sehen. Es gibt nur einen möglichen Nachweis für meine Täterschaft. Ich bin übersät mit Mückenstichen. Der ganze Körper juckt.

      Was kann ich heute tun? Eine unendliche Leere ist in mir. Ich fühle mich wie am Tag meiner Entlassung aus dem Unternehmen. Für mich gibt es nichts mehr zu tun – meine einzige Aufgabe ist seit gestern wie ein flüchtiger Stoff in meinem Labor entschwunden. Kein Beruf - keine Aufgabe.

      Ich laufe durch mein Haus und komme mir wieder einmal vor wie ein gefangenes Raubtier im Käfig. Ich fühle mich wie mit einer Zeitmaschine an den Tag meiner Entlassung zurückversetzt. Diese schreckliche Leere. Zuerst wurde mir mein Beruf genommen. Jetzt habe ich die letzte Aufgabe, die für mich noch offen war, an der ich mich festhalten konnte, die mir Halt und Motivation gegeben hat, die ich um jeden Preis erledigen wollte, abgeschlossen. Ich bin nutzloser denn je. In dieser Gesellschaft gibt es für mich keine Aufgabe mehr.

      Am Abend weiß ich nicht, ob das alles ein schlechter Traum war oder die brutale Realität. Ich rede mir ein, dass ich ohne Alkohol nicht einschlafen kann. Aufgrund des Schlafdefizits der letzten Nacht schaffe ich gerade einmal einen Drink. Wie tags zuvor will ich einen zweiten Drink zu mir zu nehmen, werde aber bereits beim ersten Schluck von der Müdigkeit übermannt und schaffe es gerade noch mit Mühen ins Bett, bevor ich in meinem Sessel einschlafe.

      Zu meinem Erstaunen werde ich in der Nacht nicht wach, habe keine Albträume und am nächsten Morgen auch nicht den Anflug eines schlechten Gewissens. Zum Frühstück lese ich immer, und so auch heute, die Lokalzeitung. Der Unfall von Erwin wird in einem großen Bericht dargestellt. Die Überschrift empfinde ich als Ritterschlag meiner präzisen Vorarbeit: Ferrari rast in den Tod. Tödlicher Unfall aufgrund unangemessener Geschwindigkeit bei Hagelschlag. Welche eine Einschätzung! Besser geht es nicht.

      Mein Plan hat funktioniert. Die Unfallursache sollte nicht geklärt werden. Habe ich das perfekte Verbrechen begangen? Wenn es keinen Anschlag gibt, gibt es keine Ermittlungen. Alle Sicherheitsmaßnahmen, Spuren zu vermeiden, wären nicht erforderlich gewesen. Es gibt keinen Anfangsverdacht. Ich fühle mich wie zu meinen besten Zeiten meiner Forschung. Präzise Planung, präzise Durchführung, ausgezeichnetes Ergebnis. Ich bin wieder wer. Der Erfolg eines gelungenen Experiments macht mich stolz und versetzt mich in einen Rausch. Schade, dass ich meine großartige Leistung für mich behalten muss. Ich finde keine Bewunderer.

      „Haben Sie schon gehört, ihr früher Chef ist tot.“ Meine Haushälterin, Frau Pohl, gerade angekommen, steigt ohne Umschweife in das Tagesthema ein und unterbricht meine Zeitungslektüre. „Ich habe kein Mitleid. Er hat sie so schlecht behandelt. Sie haben mir das nie gesagt. Ich hab es trotzdem erfahren. Er hat Sie einfach aus der Firma geworfen. Das haben Sie doch nicht verdient. Sie waren immer so fleißig und für die Firma da.“ Sie blickt entschlossen, der Gerechtigkeit dieser Welt gewiss. „Er war kein guter Mensch. Er hat es nicht besser verdient. Nur seine Frau kann man bedauern, vielleicht auch nicht. Um ihn ist es bestimmt nicht schade. Und wenn er zu schnell gefahren ist, dann ist er eben selber schuld. Der LKW-Fahrer, der tut mir leid.“

      Ich stutze. „Der LKW-Fahrer? Was ist mit dem?“ Sichtlich erfreut, bestens informiert zu sein, erläutert sie den Sachverhalt, da ist sie ganz in ihrem Element: „Der LKW ist gegen das Auto ihres Chefs gefahren. Sonst wäre nach Angaben der Polizei vermutlich nicht viel passiert.“ Sie hält einen Moment inne. „Dem LKW-Fahrer geht es vermutlich so wie den Lokführern, die Selbstmörder überfahren. Die armen Kerle können nichts für den Unfall, müssen aber mit dem schrecklichen Ereignis leben und sind häufig für immer traumatisiert. Ich könnte das nicht ertragen.“ Kaum hat sie den Satz gesagt, klingelt das Telefon. Ich erschrecke. Die Polizei? Nein, es ist Frank. „Hallo Franz. Ich wollte mich noch mal melden. Zeitung gelesen?“

      „Klar, ist schließlich groß genug dargestellt.“ „Im Unternehmen sind alle völlig aufgebracht. Einige spekulieren, ob du wieder zurückkommst.“ Der Satz lässt mich zusammenzucken. Wäre das eine Option? Nach der Demütigung? Erwin war der Überbringer der Botschaft und hat sich bestimmt nicht für mich verwendet. Meine Entlassung war mit Sicherheit Vorstandskonsens. Nein, eine Rückkehr ins Unternehmen ist keine Option. Diese Tür ist für immer geschlossen.

      „Kommst du zur Beerdigung? Sie findet am Montag statt.“ „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“ Noch ein wenig Smalltalk und wir beenden das Gespräch. Der Gedanke, an der Beerdigung teilzunehmen, löst in mir ein extremes Unbehagen aus. Schließlich bin ich der Mörder - oder zumindest verantwortlich. Oder bin ich nicht der Mörder? Genau genommen habe ich lediglich einen kleinen Unfall verursacht. Der Rest war tragischen Umständen zuzuschreiben. Das hätte auch so passieren können. Eventuell war es sogar Zufall und womöglich habe ich den Ferrari gar nicht getroffen. Vielleicht alles ein riesiger Zufall? Nein, es war kein Zufall. Es war das Ergebnis einer präzisen Planung. Der anschließende LKW-Unfall war Fügung, eine unglückliche Fügung. Dafür kann ich nichts.

      Ich bin in meine Gedanken vertieft, als mich völlig unvermittelt Frau Pohl fragt: „Herr Dr. Lang. Mir liegt schon lange etwas auf der Seele. Falls Sie mich nicht mehr als Haushaltshilfe brauchen oder ich Ihnen finanziell eine Last bin, können Sie mir das ruhig sagen. Ich komme gerne zu Ihnen, Sie wissen das. Aber ich kann gut verstehen, wenn Sie mich nicht mehr brauchen.“

      Ich erschrecke. Das würde mir noch fehlen. Zum einen bin ich froh, dass ich mich nicht um die lästige Hausarbeit kümmern muss und zum anderen habe ich dann wenigstens ein Mindestmaß an regelmäßiger Ansprache. „Frau Pohl, daran verschwende ich keinen Gedanken.“ Ich atme tief durch. „Frau Pohl, Sie wissen, ohne Sie komme ich nicht zurecht. Ohne Sie wäre ich völlig überfordert. Kommen Sie bloß nicht auf dumme Gedanken und verlassen mich.“ Wohlwissend, dass sie mit meinen Scherzen nicht zurechtkommt, steigere ich das Ganze noch ein wenig. „Falls Sie kündigen, lasse ich Sie von der Polizei wieder zurückbringen.“

      Ich