Keine Anleitung zum Mord. Anton Theyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Theyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738070330
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bestellte Fischplatte hat sich deutlich reduziert. Unser bis dahin geführtes Gespräch reduzierte sich hauptsächlich auf Belanglosigkeiten und Erwins Ausführungen, wie erfolgreich seine beiden Söhne bereits im Beruf etabliert sind. Selbstredend haben beide Betriebswirtschaft studiert und arbeiten in einer Bank, dem Inbegriff von Ausbeutung und Geldgier.

      Nach dem Wohlergehen meiner beiden Söhne, die fast im gleichen Alter sind, fragt er vorsichtshalber nicht. Ich weiß auch nicht, ob sich Erwin wirklich dafür interessiert. Die Welt dreht sich um Erwin und andere Menschen sind meistens nur ein Rädchen in seinem Getriebe für den eigenen Erfolg. Wären meine Söhne in beruflichen Positionen, die für Erwin oder das Unternehmen oder seine Söhne - ja, genau in dieser Reihenfolge – gewinnbringend sein könnten, dann hätten wir bestimmt lange über meine Söhne gesprochen oder gar ein zufälliges Wanderwochenende eingelegt. Aber so - kein Interesse.

      „Tja“, sagt Erwin, „ich habe mir das lange überlegt und es fällt mir nicht leicht. Ich habe die Entscheidung auch nicht alleine getroffen, sondern ausführlich mit Dr. Meyer besprochen.“ Wenn Erwin von Dr. Meyer spricht, wird es mit der Präzision eines Meisterschützens unangenehm. Im Alltag spricht er gerne salbungsvoll von Karl.

      „Ich habe mich auch noch lange mit deinem Laborleiter unterhalten. Du arbeitest ab morgen nicht mehr im Unternehmen. Du weißt auch warum. Die ethischen Grundsätze unseres Unternehmens sind eindeutig überschritten und du hast deinen Kompetenzbereich um Lichtjahre überschritten.“ Das ist Erwin.

      Eiskalt. Menschenverachtend. Langsam, sehr langsam begreife ich, was für eine Bombe Erwin soeben gezündet hat. Ich habe ihn nie als wirklichen Freund gesehen. Aber das hätte ich ihm nie zugetraut. Die folgenden Sätze nehme ich wie im Rausch war. Ich habe nur ein Glas Wein getrunken, fühle mich aber wie nach zwei. Natürlich nicht wie nach zwei Gläsern Wein, nein, wie nach zwei Flaschen Wein. Oder betäubt, als hätte mich die Druckwelle einer Bombe zu Boden geworfen.

      „Wir werden dir angesichts deiner Verdienste für das Unternehmen noch in diesem Jahr und im folgenden Jahr das Gehalt bezahlen. Das ist sehr großzügig und damit bekommen wir arbeitsrechtlich keine Probleme. Für diese großzügige Weiterbezahlung solltest du uns dankbar sein. Umgekehrt gilt natürlich in dieser Zeit ein Beschäftigungsverbot und wir erwarten von dir selbstverständlich die Wahrung der Betriebsgeheimnisse.“ Und er fügt noch den überflüssigen Nachsatz an. „Eine Leistungszulage kannst du leider nicht mehr bekommen. Das geht aus rechtlichen Gründen nicht.“

      „Arschloch - großes Arschloch!“, liegt mir auf der Zunge. Früher habe ich oft emotional reagiert, habe oft schneller gesprochen, als es für mich gut war. Manchmal ist schweigen die bessere Waffe und wohlüberlegte Worte können schärfer sein, als jedes Samurai-Schwert.

      Noch immer wie benommen sitze ich ihm gegenüber. „Du kannst dich morgen in Begleitung des Werkschutzes von deinen Mitarbeitern verabschieden und persönliche Dinge mitnehmen. Die Forschungsergebnisse bleiben natürlich in der Firma - alle, ausnahmslos alle, wirklich alle, auch die illegalen.“

      Zu dem Rauswurf kommt auch noch die Demütigung in der Firma. Von meiner Forschungsarbeit spreche ich noch gar nicht. Außer meinen Ideen bleibt mir nichts. Alle für mich relevanten Unterlagen befinden sich im Unternehmen. Am liebsten würde ich schreiend aufstehen und dabei den Tisch nebst Menü umwerfen. Die Selbstdisziplin siegt und ich lasse mich nicht zu derartigen Reaktionen hinreißen.

      Da mir gründlich der Appetit vergangen ist, lässt sich Erwin die Reste der Fischplatte alleine schmecken. Wie kann ein Mensch nur so skrupellos sein? Keine Vorwarnung oder, wie im Sport üblich, erst einmal die gelbe Karte. Nein, gleich die rote Karte ohne Verwarnung und lebenslange Sperre.

      Erwin ergeht sich noch in weitschweifenden Ausführungen, mir die Vorstandsentscheidung nachvollziehbar zu machen. Ich verstehe kein Wort. Als würden tausend Stimmen auf mich einprasseln. Ich friere wie ein Hund, wenngleich der Raum eher überheizt ist. Ich will hier raus.

      „Bist du mit dem Auto da?“, fragt mich Erwin scheinheilig. „Soll ich dich nach Hause fahren?“ „Nein, bestimmt nicht.“ antworte ich „Ich bin mit dem Auto da.“ Das stimmt zwar nicht, spielt aber für mich keine Rolle. Ich bevorzuge eine Heimfahrt mit dem Taxi.

      Ich öffne die Eingangstür meines Hauses. Im Zuge der Scheidung habe ich meine Ex-Frau großzügig abgefunden und das Haus behalten, wenngleich es völlig überdimensioniert ist. Ich schalte meine Musikanlage an und lege eine CD mit Deep Purple ein. Zu laut - deutlich zu laut - das gibt Ärger mit den Nachbarn. Ich nehme die Kopfhörer. Nach einer halben Stunde reiß ich mir dir Kopfhörer von den Ohren und versuche mich zu konzentrieren. Es ist 23:00 Uhr.

      Ab morgen - eigentlich bereits in einer Stunde bin ich nicht mehr im Unternehmen. Ich sollte die wenigen verbleibenden Zeit für mich nutzen. Vieles habe ich im Kopf und vieles - da muss ich doch schmunzeln - ja, die moderne Technik. Ich fahre ins Unternehmen. Für den Pförtner ist es nichts Ungewöhnliches, dass ich spätabends oder mitten in der Nacht auftauche und Ergebnisse aus dem Labor protokolliere. Organismen haben keinen Acht-Stunden-Tag. Sie arbeiten auch nachts. „Guten Abend Herr Dr. Lang - wieder mal ´n Protokoll notwendig.“ „Ja, ja - muss sein.“

      Ich stehe vor der Tür meines Büros. Noch steht an der Tür „Dr. Franz Lang - Forschung und Entwicklung“. Mein Lebenswerk zerrinnt mir wie trockener Sand zwischen den Fingern. Ich glaube nicht, dass mich jemand stören wird.

      Mit diesem Schachzug rechnet Erwin bestimmt nicht. Was ist das Wichtigste? Kopien? Papier nehme ich nicht mit. Die Laborauswertungen sind fast komplett als Dateien verfügbar. Das digitale Kopieren und Versenden wäre eine Sache von ein paar Minuten. Sämtliche relevanten Forschungsergebnisse liegen auf dem unternehmenseigenen Server, aus Sicherheitsgründen sind nachts die Netzwerke ausgeschaltet und somit habe ich keinerlei Zugriff.

      Jetzt bin ich froh, dass ich immer darauf bestand, alle wesentlichen Ergebnisse auch auszudrucken und zu archivieren. Zum Arbeiten war mir immer die Papierform lieber, gerade im Labor. Auch wenn mir der digitale Weg versperrt ist, bleibt die Möglichkeit, die Ordner zum Kopierer zu schleppen und zu kopieren. Ich verwerfe den Gedanken sofort wieder. Wenn ich heute Nacht mit fünf Ordnern das Gebäude verlasse, steht morgen die Polizei wegen Betriebsspionage vor meiner Tür. Es bleibt nur eines: Alle Dokumente einscannen und auf einen USB-Stick ziehen. Das dauert jetzt ein paar Stunden, ist langweilig und nervt mich. Ich hasse stupides Arbeiten, aber es muss sein. Besser, ich will es so. Damit gibt es jetzt einen Kündigungsgrund. Egal.

      Es ist drei Uhr in der Nacht. Ich hoffe, ich habe alle Kopien erstellt. Jetzt kommt der interessante und schwierige Teil. Eine Kühlbox - minus 20° Grad Celsius reicht. Ich nehme mit, was ich in der Hektik greifen kann. Ich weiß nicht wozu. Trotzdem - ich will eine Palette von Präparaten und Organismen mitnehmen. Eine Kiste von der Größe einer großen Aktentasche - für mich von unermesslichem Wert. Ich überzeuge mich, dass ich den USB-Stick habe. Alles ok. Kühlbox ins Auto. Der Pförtner öffnet das elektrische Tor und hebt mit verschlafenem Blick die Hand zum Gruß.

      Ich steige aus dem Auto, gehe die wenigen Schritte zu Pforte und sage mit vertrauensvoller Mine: „Sagen Sie keinem, dass ich heute Nacht wieder hier war. Sonst heißt es wieder, der alte Spinner kennt nur die Firma. Dann noch eine ruhige Nacht und bis demnächst.“ Bis demnächst, wenngleich ich weiß, dass es kein Demnächst geben wird. Vielleicht beim Einkaufen in der Stadt, aber nicht mehr im Unternehmen.

      Zum Frühstück trinke ich deutlich mehr Kaffee als sonst. Irgendwie muss ich wach werden. Ich habe kaum geschlafen. Schon sitze ich im Auto. „Verdammt!“, mit einem Mal wird mir flau. Das muss ich ändern. Kann ich es noch ändern? Noch einmal stürze ich ins Haus zurück. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der PC endlich hochgefahren ist. Ich rufe meine Cloud auf. Gestern konnte ich zwar alle Ergebnisse kopieren, an denen die Abteilung offiziell arbeitet. Die brisanten Laborergebnisse aus meinem Projekt sind jedoch nicht auf dem Unternehmensserver hinterlegt, sondern in meiner Cloud. Wenn darauf jemand Zugriff nimmt und das Passwort ändert, sind die Ergebnisse für mich unwiederbringlich verloren. Erwin wird die IT-Abteilung entsprechend instruieren.

      Da ich oft auch am Wochenende und Zuhause gearbeitet habe, benutzte ich eine private Cloud. Endlich öffnet sich die Eingabemaske der Cloud,