Weltenreise. Julia Beylouny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Beylouny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004298
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habe ich meine Freundin also nicht verloren.“

      „Sei nicht immer so melodramatisch, Brooke! Natürlich war es nicht deine Schuld, was passiert ist. Sag mal, hast du Lust, morgen mit meinem Onkel, meiner Tante und mir rüber nach Martha’s Vineyard zu fahren? Sie wollen mir die Gegend zeigen.“

       „Was? Ehrlich? Selbstverständlich komme ich mit! Danke für die Einladung. Das wird ein Tag, den du so schnell nicht vergessen wirst, glaub mir. Und jetzt will ich wissen, wie das mit Sushi-Sam war, als er dich aus dem Meer gerettet hat. Alles. Und vergiss ja die kleinen Details nicht. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oh, das ist ja wie im Film! Irgendwie romantisch, findest du nicht?“

      Kriemhild schmunzelte.

      „Nun ja, es war … essentiell. Was soll ich sagen? Ohne ihn wäre ich wohl nicht mehr hier.“

       „Essentiell? So nennst du es? Wie hast du ihm gedankt?“

      „Tja, so richtig eigentlich noch nicht. Wie dankt man denn jemandem, der einem das Leben gerettet hat? Das ist schließlich kein alltäglicher Zustand.“

       „Richtig. Ich habe keinen Schimmer. Vielleicht solltest du ihn heiraten. So ist es meistens im Film.“

       „Danke, Brooke. Diesen Rat werde ich mir nicht zu Herzen nehmen. So, wie er sich mir gegenüber verhält, wäre es eher eine Strafe für ihn als ein Dank.“

       Es wurde dunkler. Ein wunderschöner Mond ging auf und warf einen silbrigen Schein über die Wellen.

      „Kate, ich muss heim. Wir sehen uns morgen. Danke, dass ihr mich mitnehmen wollt. Du wirst den Vineyard lieben!“

      „Da bin ich mir sicher. Mach’s gut!“

      Der nächste Tag begann früh. John wollte die Fähre um neun nehmen. Kriemhild hatte ziemlich schlecht geschlafen und zweifelte an der Idee, das Eiland zu besuchen. Einmal mehr lief der schreckliche Film vor ihren Augen ab. Sie bekam Schweißausbrüche und ihr Herz raste wie verrückt. Um sich zu beruhigen, schloss sie die Augen und atmete tief durch.

      Das Erlebnis vom Pier hatte neues Öl auf ein altes Feuer gegossen. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre ertrunken. Wenn Sam nicht … Samuel. Kriemhild lief ans Fenster und schaute in die Dünen. Er war nicht da. War es die Tatsache seiner Abwesenheit, die ihr den rastlosen, inneren Schmerz einpflanzte?

      „Kriemhild, bist du wach?“ Jemand klopfte an ihre Tür. Schnell schob sie den Gedanken an Sam beiseite.

       „Ja, Onkel John, ich komme gleich.“

       Ein schmaler Streifen am Horizont – Martha’s Vineyard – lag höhnisch im Ozean. Fünfunddreißig Minuten auf einer Fähre! Ein halbes Leben für ein Trauma. Tante Margret trat lautlos herein und legte ihr die Hand auf die Schulter.

      „Wie geht es dir, Kind?“

       „Es geht. Danke.“ Kriemhilds Blick ruhte auf der Landzunge im Meer.

       „Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass wir beide schlechte Lügner sind?“

       „Du hast Recht, Tante. Um ehrlich zu sein, wenn ich an die Fähre denke kommen alle Erinnerungen an damals hoch. Vielleicht sollte ich besser hierbleiben.“

       Margret lächelte und strich ihr über den Kopf.

      „Willst du dich nicht endlich einmal deinen Ängsten stellen? Es ist so lange her und du hattest keine Schuld an dem, was passiert ist. Dein Vater würde wollen, dass du wieder hinausfährst. Er hat das Meer so geliebt.“

       „Ja, das hat er. Er hat es so geliebt, dass er vergaß, wie unberechenbar es ist.“

       Eine Träne trat in ihre Augen. Leise wischte sie sie fort.

      „Komm, Kriemhild. Ich koche dir einen Beruhigungstee und dann fahrt ihr gemeinsam rüber. Glaub mir, es wird dir drüben auf der Insel gefallen. Und deine Freundin ist schließlich auch dabei.“

      Die Island Queen lag schaukelnd im Hafen. Jeder Schritt, der sie ihr näher brachte, beschleunigte Kriemhilds Herzschlag. Onkel John besorgte die Fahrkarten und Brooke bemühte sich, ihr Wortpensum für den Tag einzuhalten. Zum ersten Mal war Kriemhild ihr sogar dankbar dafür.

      „Hab ich schon gesagt, wie nett es ist, dass ihr mich mitnehmt? Nicht, dass ich noch nie zuvor auf dem Vineyard war, aber man sieht jedes Mal neue aufregende Dinge und fragt sich dann verblüfft: Waren die letztes Mal auch schon da? Ist es nicht herrliches Wetter? Schon richtig warm. Ich freu mich auf den Sommer! Wo ist eigentlich deine Tante? Wollte sie nicht mitkommen?“

      Kriemhild nickte, ohne das feindselig wirkende Boot aus den Augen zu lassen.

      „Sie ist daheimgeblieben, um eine kranke Freundin zu besuchen.“

       „Ah, da vorne kommt dein Onkel. Los, wir gehen aufs Schiff. Zum Glück sind nicht allzu viele Touristen hier. Apropos Touristen. Gestern sind fünf Engländer angereist. Trockene Leute, sag ich dir. Eigentlich hätte ich in der Pension aushelfen müssen, aber ich habe meinen Eltern von deiner Einladung erzählt und betont, wie unhöflich es wäre, sie abzulehnen.“

      Die Hälfte ihrer Worte prallte einfach an Kriemhild ab. Ihre zitternden Hände ballten sich zu Fäusten. Alles in ihr schrie nach Flucht.

      „Bist du okay? Du siehst irgendwie blass aus.“ Brooke legte ihr den Arm um die Schulter und musterte die panischen Züge.

      „Geht schon. Mir wird nur immer übel auf dem Wasser.“

       „Seekrank, verstehe. Dazu kenne ich auch eine Story.“

       Sie erzählte von einer High-School-Bekanntschaft, die sich ständig übergeben hatte, als sie mit einer Fähre unterwegs waren. Genau das, was man in so einer Situation hören wollte. Onkel John lächelte mitfühlend, nahm Kriemhilds Hand und half ihr die schmale Treppe hinauf. Jeder Mann mittleren Alters hatte das Aussehen ihres Vaters. Mit ratternden Motoren setzte sich das Schiff in Bewegung. Jeder Schlag der Schraube traf Kriemhilds Magengrube und all ihre Glieder erstarrten.

      Sie verließen den Hafen von Falmouth. Kurz darauf begann eines der Crewmitglieder mit der Durchsage von Informationen über die Insel.

      „Das ist nicht so wichtig“, meinte Brooke. „Ich kann dir nachher die wirklich interessanten Dinge erzählen, von denen dieser Fuzzi sicher keinen Schimmer hat. Wusstest du zum Beispiel, dass drüben Der weiße Hai und eine Folge der Gilmore Girls gedreht wurden? Oh, ich liebe die Gilmore Girls! Übrigens: Die Insel verdankt ihren Namen ihrem Entdecker. Er ging 1602 an Land und fand so viel wilden Wein vor, dass er sie gleich seiner Tochter Martha widmete. Wer weiß, vielleicht war Martha ja eine kleine Schnapsdrossel?“

      Brooke kicherte spitzbübisch, bevor sie fortfuhr: „Tja, was gibt es noch zu erzählen? Letzten Sommer waren die Obamas hier. Sie mieteten sich ein zwölf Hektar großes Grundstück, dessen Kosten bei etwa 50 000 Dollar pro Woche lagen. Ist das nicht wahnsinnig viel Geld?“

       Onkel John lachte leise. Scheinbar dachte er nicht mal daran, Brooke zu widersprechen.

      Die Fähre überquerte das Wasser – dank Brookes Geplapper – ohne, dass Kriemhild ihre Ängste richtig ausleben konnte. Trotzdem wagte sie keinen Blick hinab in die Flut. Dort hätte sie vermutlich nichts weiter gesehen als das sterbende Gesicht ihres Vaters.

      „Schau mal, dort drüben ist schon Vineyard Haven Harbour.“

      Sie folgte Brookes Fingerzeig und fand einen kleinen weißen Leuchtturm, umgeben von rotgedeckten Häuschen. Erleichtert atmete sie auf. Ein idyllischer Anblick.

      Die Island Queen ratterte durch eine kleine Bucht, rechts und links von ihr weiße Sandstrände, auf denen die typischen Häuser standen. Die weißen Sprossenfenster blickten sehnsüchtig aufs Meer hinaus, als warteten sie auf die Rückkehr verschollener Seefahrer. Sie hatten die Fahrt überstanden!

      Im Hafen selbst lagen unzählige Segelboote und kleine Yachten vor Anker, die Kriemhild allesamt an ihren Vater erinnerten. Nie wieder, hatte sie sich geschworen. Ein Seufzer entfuhr ihren Lippen.

      „Siehst du,