Die vom Tod verschmähte Katze. Matthias M. Rauh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias M. Rauh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738091663
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kann damit jeder Trottel das Abenteuer erleben."

      Valentin wusste nicht, wie ihm geschah.

      "Schmeckt beschissen, hä?", gab sie sich die Antwort selbst. "Kein Wunder, dass er ganz grün wurde. Hast du überhaupt schon einmal geraucht?"

      Er schüttelte panisch den Kopf.

      "Ich auch nicht", stellte sie unvermittelt fest. "Und das qualmt ja wirklich wie blöd. Ich habe mal gehört, man kriegt Ärger, wenn man das in der Schule macht. Ob das wirklich so ist? Schnell weg damit."

      Und im selben Augenblick zog sie ihm das krumme Ding wieder aus dem Mund und steckte es im Vorbeigehen einem völlig unbeteiligten Jungen in die Hand, der überaus schmächtig war und ebenfalls viele Pickel im Gesicht hatte. Die viel zu große Jeansjacke mit den Heavy Metal-Aufnähern wirkte an ihm so grotesk wie Faschingsmaskerade.

      "Halt mal, Cowboy!", rief sie, während sie seine Jacke festhielt. "Da hast du was. Jetzt geht es ab mit dir!"

      Wortlos und mit großen Augen ging der Junge weiter. Luiza rollte gelangweilt mit den Augen und nahm dann ihre Tasche, während Valentin in höchster Panik die verräterische Qualmwolke über seinem Kopf beäugte.

      "War doch lustig, oder?", grinste sie. "Aber die Frage mit den Krähen hast du mir noch immer nicht beantwortet. Na ja, aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Dann bis später, du Spinner."

      Sie drehte sich um und lief zur Treppe. Während ihr Valentin hinterherblickte, zogen noch immer einige Rauchschwaden an ihm vorbei. Es waren die Spuren der aufregendsten Minuten, die er in diesem Schulhaus je erlebt hatte. Natürlich wollte er noch etwas sagen, aber aus irgendeinem Grund hatte sein Gehirn gerade den Betrieb eingestellt. Dies war kein Moment für Worte und schon gar keiner für irgendwelche Fragen. Das Mädchen hatte schwarze Haare, und man nannte sie Grabstein.

      Kapitel 18 - Ein Sturm im Marmeladenglas

      Dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen ist ein mühseliges Unterfangen, da der launische Zwerg Zufall meist nur unangenehme Überraschungen bereithält...

      Der eiserne Kocher auf dem zerfurchten Holztisch hatte das blubbernde Gebräu schon fast auf die richtige Temperatur gebracht. Der richtige Moment aber war erst erreicht, wenn es zu verdampfen begann. Der Mann zog die kleine Schublade unter dem Kessel heraus und legte noch ein Stück Kohle in die Glut. Dann schob er sie wieder zurück in den Kocher, nahm das Thermometer aus der tiefroten Glibbersuppe und schloss den Kessel mit einem völlig verbeulten Schepperdeckel.

      Der Brombeerdampf roch verführerisch, aber er musste sich hüten, zu viel davon einzuatmen. Man wurde gewiss nicht dick davon, aber man konnte, wenn es dumm lief, ungewollte Aufmerksamkeit heraufbeschwören. Wehe dem, der es übertrieb! Wer Gevatter Tod eine Einladungskarte schreibt, darf sich schließlich nicht beschweren, wenn dieser auch gleich seine Sense mitbringt...

       Schicksal, Schicksal gehorche mir...

      Draußen scheuchte der Wind das herabgefallene Laub durch die Straßen, ein gutes Zeichen. Der Mann packte den zerzausten Mantel des Landstreichers und warf ihn achtlos über einen Stuhl. Seine Verkleidung war arg in Mitleidenschaft gezogen worden, in der letzten Nacht. Die Brandlöcher waren kaum zu übersehen.

      Abermals hob er den Deckel vom Topf - der Zeitpunkt war gekommen. Schon zeichnete der flimmernde Brombeerdampf ein erstes, dem Zufall als sehr geeignet erscheinendes Bild über den Kessel. Es war unscharf, aber je weiter die Temperatur anstieg, desto klarer wurden die Konturen.

       Schicksal, Schicksal gehorche mir...

      Die beiden Dummköpfe, welche das gefügig gemachte Schicksal auserwählen sollte, standen offenbar in direkter Verbindung zu dem Jungen, welcher all die Probleme der letzten Tage verursacht hatte. Sie kauerten auf einer Steintreppe, ließen sich die Sonne auf den Pelz scheinen und hatten nicht bemerkt, dass sie bereits von einem Meer tanzenden Laubes eingekreist wurden. Und auch nicht, dass dieser Kreis nun immer engere Bahnen um sie zog.

      Der Mann fragte sich nur, wie das funktionieren sollte. Natürlich ließ sich die Dummheit schon immer leichter verführen als die Intelligenz. Es gab sogar Beispiele, dass man sie zu Massen versammeln und im Gleichschritt ins Verderben marschieren lassen konnte. Aber diese beiden Gestalten waren schon zwei besondere Exemplare. Ein Wink mit dem Zaunpfahl führt schließlich auch nur zum gewünschten Erfolg, wenn er nicht gerade in einem muffigen Kartoffelsack verpufft.

      Das Gesicht des pickelgesichtigen Wirrkopfs war leer und zeugte von grenzenloser Einfältigkeit. Er schien einem kleinen, bunt leuchtenden Kästchen verfallen zu sein, welches monotone Geräusche absonderte und ihn augenscheinlich mit Haut und Haar kontrollierte. Das Gesicht des anderen trug eine Brille zur Schau, die aber nur zur Zierde dort angebracht war. Schlichte Kleidung, abgetragene Aktentasche. Dazu ein ebenfalls leerer Blick, brav und obrigkeitshörig - ein Befehlsempfänger eben. Ihn zu beeinflussen durfte gar nicht nötig sein, denn er folgte seinem Anführer stets wie ein ahnungsloses Schaf. Das gefügig gemachte Schicksal musste nur seinen Lauf nehmen.

      Eine weiße Blase löste sich aus dem immerzu kauenden Mund des Wirrkopfs, platzte und verschwand wieder. Dann rülpste er laut und bohrte in der Nase, ohne seine Augen auch nur ein einziges Mal von dem kleinen Leuchtkästchen zu lösen. Es schien ihn auf irgendeine Art und Weise tatsächlich hypnotisiert zu haben.

      Der Mann griff erneut zu dem eisernen Messgerät, um die Temperatur zu überprüfen. Sie war in Ordnung, aber irgendetwas störte ihn dennoch. War ihm schon wieder ein Fehler unterlaufen? Da fauchte der nächste Windstoß durch die Straßen und rüttelte an der Eingangstür. Das war der Grund: Ein kleines rotes Blatt hatte sich an die Fensterscheibe geklebt. Wütend schlug der Mann auf den Tisch.

      Er hasste es, wenn so etwas geschah. Laubblätter waren Vagabunden, deren Dasein allein darauf beruhte, für alle Zeiten davongescheucht zu werden. Laub musste fliegen, das war seine Bestimmung, aber es hatte gefälligst ziellos zu reisen und an Fensterscheiben nichts verloren.

      In jungen Jahren hatte er einmal ein schreckliches Buch gelesen, in welchem sich Kinder in kleine rote Blätter verwandeln, fliegen und gar mit den Sturmböen reisen konnten. Seitdem fühlte er sich immer beobachtet, wenn Laub an der Fensterscheibe klebte. Er hatte damals auf das Buch einen derartigen Zorn entwickelt, dass er es noch am selben Abend verbrannte und dem verfluchten Schreiberling die Pest an den Hals wünschte. Doch als es sich dann vor seinen Augen tatsächlich in fliegende Asche verwandelte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass sich diese auch ans Fenster kleben konnte...

      Fortan sollte dieses ernüchternde Erlebnis maßgebend für sein späteres Leben werden: Die Unberechenbarkeit der Materie. Wenn sie das Heft des Handelns übernahm, war sie nur in den seltensten Fällen noch zu bändigen. Und die Vergänglichkeit der Dinge war nichts als ein Ammenmärchen, da aus jedem Gegenstand, der sich verabschiedete, sogleich etwas Neues entstand. Genervt öffnete er das Fenster und scheuchte das Blatt davon.

      Der verbeulte Deckel hatte mittlerweile zu tanzen begonnen und wurde dabei von kleinen elektrisch geladenen Leuchtästen umgarnt. Sie waren hübsch anzusehen, doch man musste sich in Acht nehmen, ihnen zu nahe zu kommen. Ein Glück, dass der Tisch geerdet war!

       Krach!

      Im Nu war das duftende Möbelstück in Brand geraten. Mit einem dicken Handschuh erstickte der Mann die Flammen. Dann hob er den Deckel vorsichtig vom Kessel und betrachtete das dampfende Gebräu. Es war völlig außer Kontrolle geraten, rotierte und erzeugte dabei ein beachtliches Miniatur-Gewitter.

      Diese Eigenschaft war nicht die einzige, welche diese Mixtur von herkömmlicher Brombeermarmelade unterschied. Die alte Dame hatte das Geheimnis offenbar auch gekannt. Noch immer ärgerte er sich darüber, dass er sie so maßlos unterschätzt hatte. Die Brandblasen an seinem rechten Arm verursachten noch immer höllische Schmerzen und begleiteten ihn wie ein mahnendes Schreckensmal. Das Missgeschick war bei seinem nächtlichen Einsatz geschehen, und er hatte dabei sogar noch Glück gehabt, sehr viel Glück. Man musste eben vorsichtig sein mit diesen Dingen. Schon der kleinste Fehler konnte zu einem unwiderruflichen Desaster