Die vom Tod verschmähte Katze. Matthias M. Rauh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias M. Rauh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738091663
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und sich mit einem Stock vorwärts bewegte. Es war der Landstreicher.

      "Da hinein!", herrschte ihn der Riese an und zeigte mit seinem fingerlosen Handschuh auf die Tür, die zu dem Laden mit dem zersplitterten Schaufenster gehörte. "Na los, mach schon auf!"

      Valentin sträubte sich, musste aber schnell einsehen, dass es keinen Sinn machte, sich zu wehren.

      "Wenn Sie mich wegen dem Schaufenster da festhalten, das war ich nicht. Das waren die beiden anderen", rief er.

      "Aufmachen!", wiederholte der Mann unbeeindruckt.

      Pappke und Engels hatten sich hinter einem Mauervorsprung verschanzt und wagten aus sicherer Entfernung einen Blick auf den Laden, in welchem der Riese soeben mit seinem Opfer verschwunden war.

      "Heee, was sollte das?", zeterte Engels. "Bist du verrückt gewooorden? Wiesooo sollte Kraus denn Marmelaaade dabei haben?".

      Doch Pappke reagierte nicht. Stattdessen zog er sein Handy heraus. "Absolut genial", flüsterte er begeistert. "Ist der aus dem Knast ausgebrochen?"

      "Sah jedenfalls hammergefääährlich aus", meinte die Nickelbrille.

      "Jede Wette, dass das ein abartiger Schwerverbrecher ist", mutmaßte Pappke. "Vielleicht ein Mörder."

      "Ein Mööörder?", schlotterte Engels und bekam dabei riesige Augen.

      "Ja", fand das Pickelgesicht. "Ein geisteskranker Massenmörder."

      Engels ließ seine Aktentasche auf das Kopfsteinpflaster fallen und wurde kreidebleich. Das Pickelgesicht richtete derweil sein Handy auf die Tür. "Los, das sehen wir uns an."

      Kapitel 20 - Das Unglück sucht sich seinen Raben

      Als der Landstreicher sein Opfer in den Laden gezerrt hatte, fiel die Tür zurück ins Schloss - mit einem langen, ja geradezu erbärmlichen Quietschen. Ein eigenartiger Geruch aus Staub, modrigem Papier, Nelken und Schnaps erfüllte den Raum. Aber da war noch etwas, ein verlockender Duft, dem man kaum widerstehen konnte. Brombeere...

      "Warte hier", knurrte der Landstreicher.

      "Es tut mir leid, dass das Fenster kaputt ist, aber..."

      "Vergiss das Fenster", fiel ihm der Riese ins Wort. "Warte hier. Und wage es ja nicht zu türmen. Ich erwische dich sowieso..."

      Valentin wunderte sich. So energisch und brutal ihn sein Gegenüber auch am Kragen gepackt hatte, so nachlässig und amateurhaft schien er sich nun um seinen Gefangenen zu kümmern. Er wartete ab, bis der Mann in einem Nebenraum am anderen Ende des Ladens verschwunden war. Dann drückte er vorsichtig die Türklinke herunter.

      "Mist."

      Die Tür ließ sich nicht öffnen, obwohl Valentin genau gesehen hatte, dass sie nicht abgesperrt worden war. Da erinnerte er sich an den Vorfall vor dem Antiquitätengeschäft. Auch damals hatte der Landstreicher auf irgendeine geheimnisvolle Art und Weise dafür gesorgt, dass die Tür nicht mehr geöffnet werden konnte.

      "Er hat ihn eingespääärrt!", rief Engels aufgeregt, als er einen Blick durch die Scheibe der Ladentür riskierte.

      "Ja, Kraus ist geliefert", bemerkte Pappke seelenruhig.

      "Und was meinst duuu, wird er mit ihm machen?"

      Pappke runzelte die Stirn. "Wenn das ein Mörder oder Psychopath ist, wird er ihn foltern und umbringen. Was dachtest du denn?"

      Engels´ Kugelaugen flackerten bedrohlich, während sich das Pickelgesicht wieder mit seinem Handy beschäftigte. "Ich nehm´s auf. Wenn ich das ins Netz stelle, komm ich ganz groß raus."

      Valentin hatte die beiden Schwachköpfe längst entdeckt. Sie wirkten jetzt gar nicht mehr so bedrohlich, eher wie Schulkinder, die den Bus verpasst hatten. Während Pappke seinen Blick starr auf den Bildschirm seines Handys richtete und dabei eine Kaugummiblase nach der anderen produzierte, zeichnete Engels mit der flachen Hand eine Linie über seine Kehle und zuckte ratlos mit den Schultern.

      "Danke, sehr nett", flüsterte Valentin und kehrte ihnen den Rücken zu.

      Zweifelsohne war dies das seltsamste Geschäft, welches er je gesehen hatte - ein Relikt aus einem längst vergessenen Jahrhundert. Die dunklen Schränke, Vitrinen und Kommoden waren vollgestopft mit Kitsch, die Regale überladen mit einem Sammelsurium an verstaubten Büchern und Kisten. Stative mit uralten Kameras aus bemaltem Holz, Standuhren, Truhen, Türme aus Büchern und Schachteln waren kreuz und quer über den ganzen Raum verteilt, so dass man wirklich aufpassen musste, wohin man seinen Fuß setzte. Das monotone Ticken und Klacken unzähliger Uhren erfüllte den spärlich beleuchteten Ort. Und es war kalt, genauso kalt wie...

       Aha, dachte er sich und war sich jetzt ziemlich sicher, dass es der Widerling also doch auf die gefrorene Uhr abgesehen hatte. Da begann direkt über seinem Kopf eine schäbige Kuckucksuhr zu rasseln, die sofort den ganzen Laden ansteckte. Das Klingeln, Schlagen und Rufen eines ganzen Kuckucksuhrenarsenals machte nun die Runde, entfernte sich und verwandelte sich wieder in das monotone Ticken von eben.

      An den Wänden hingen merkwürdige Ölgemälde von Vögeln und Faltern, alle in kitschigen Rahmen, verstaubte Spiegel, Zinnteller, Masken aus Porzellan und Holz, ein mit Spinnweben verhangener Bussard und dazu die vielen tickenden Uhren. Erst jetzt fiel Valentin auf, dass sie alle unterschiedliche Zeiten anzeigten, was sogleich die Frage aufwarf, wie zum Teufel man derart viele falschgehende Uhren dazu bringt, in ein und demselben Augenblick zu läuten.

      Die Tapete mit dem altmodischen Rosenmuster warf an einigen Stellen Falten - und wo kein Bild und keine Uhr angebracht war, wiesen dunkle Ränder darauf hin, dass hier irgendwann schon einmal etwas Derartiges gehangen haben musste. Preisschilder suchte man vergeblich, aber zumindest gab es eine Kasse. Sie stand auf einer riesigen Kommode, inmitten eines gewaltigen Schneekugelbergs.

      Am Eingang befand sich ein weiteres Regal, welches von oben bis unten mit verstaubten Einmachgläsern gefüllt war. Bei genauerem Betrachten erkannte er, dass sie alle Marmelade enthielten, wenn auch mit höchst eigenartigen Namen: Trauerweide, Brombeerhexe, Schlehdorngewächs, Schwarzbeersirup (übers Kreuz gezüchtet), Schleierweintraube, Ahornschattenkompott, Himbeermantelessig, Schabrackenkralle, Tollkirsche (launischer Kern), flehende Mistelbeere (Zeterelse), fliehende Mistelbeere (Verschwindibus), Querbeet, Birkenblattblüte, Vogelbeerteppich, Stachelbeerstichling, Schrabnellenwahn, Zeterkastanie, höllische Waltraud. Die Gläser dufteten so derart verführerisch, dass Valentin plötzlich das Verlangen verspürte, seine Hand danach auszustrecken, um...

      Doch da vernahm er schon das dumpfe Klopfen eines Stocks. Der Landstreicher ging langsam und ächzenden Schrittes auf ihn zu.

      "Jetzt ist es soweit!", rief Pappke begeistert. "Das Schlachtbankett ist eröffnet. Und dann..."

      "Dann?", wiederholte Engels.

      "Dann macht er ihn richtig platt, hahaaaa!"

      Engels kniff die Augen zu, während seine Nickelbrille beschlug. Das Pickelgesicht formte eine Kaugummiblase und verschluckte sie gleich wieder. "Jede Wette, dass der irgendwo im Keller ein monstermäßiges Folterkabinett vorbereitet hat. So, wie der aussieht, ist das ein abartiger Psychopath."

      Engels wagte einen kurzen Eulenblick durch seine Hand, so als stünde der Augenblick des ultimativen Grauens unmittelbar bevor. Nach einer Weile absoluter Stille flüsterte er schließlich: "Sollen wir nicht doch liiieber die Bullen ruuufen?"

      "Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd", motzte Pappke. "Es ist doch nur Kraus, hallooo?"

      "Ich...ich meine ja bloooß", rechtfertigte sich sein Diener.

      Der Landstreicher schien auch nicht lange zu fackeln. Er packte Valentin und schob ihn voran. "Los, da lang!", raunzte er.

      "Aber es waren wirklich die beiden Idioten da draußen, die Ihr Fenster eingeworfen haben. Ich bin doch nur durch Zufall in diese Gegend geraten, weil die beiden mich gejagt haben! Aber ich kann Ihnen den Schaden ja trotzdem ersetzen!"

      "Ich