Die vom Tod verschmähte Katze. Matthias M. Rauh. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias M. Rauh
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738091663
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Ast herab. Dann rannte Valentin los.

      Der Landstreicher spähte durch einen ausgedörrten Strauch und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Was für ein selten dämlicher Junge...

       Krach!

      "Was ist denn mit dir los?", fragte ein Arbeiter seines elterlichen Betriebs, als Valentin wenig später in die Hofeinfahrt lief.

      "Sehen Sie doch", prustete er, denn er war klatschnass. "Ich bin in das Unwetter geraten."

      "Unwetter?", stammelte der Mann und blickte in den strahlend blauen Himmel hinauf. "Wohl verrückt geworden, was?"

      Valentin beachtete ihn nicht und eilte ins Haus.

      "Kleiner blöder Spinner", zischte der Arbeiter leise. "Glaubt wohl, er ist was Besseres. Aber mir kann der nix vormachen. Ist immer so blass um die Nase, da sieht man gleich, dass der heimlich kifft..."

      Weiter kam der Mann mit seinen Theorien nicht. Eine vorlaute Krähe war gerade auf der Dachrinne gelandet und übergoss ihn lautstark mit ihrem Spott. Worauf er auf den Boden spuckte und laut "Scheißvieh!" sagte.

      Den ganzen Nachmittag verbrachte Valentin damit, das verrückte Höllenszenario zu beobachten - von seinem Schreibtisch aus, sicher ist sicher. Das Rendezvous mit dem Hagelsturm hatte ihm schließlich gereicht. Und dabei war er noch nicht einmal bis zum Waldrand gekommen.

      Er konnte sich einfach keinen Reim machen auf das, was sich dort abspielte. Das Problem war nicht, dass es dort gewitterte, das Problem war vielmehr, dass sich dieses Unwetter nicht wie ein gewöhnliches Gewitter verhielt. Und es schien ausgerechnet an der nahegelegenen Waldlichtung Gefallen gefunden zu haben - jener Lichtung, in welcher sich der verträumte See befand. Und was noch weitaus beunruhigender war: Das Unwetter machte einfach keinerlei Anstalten mehr, sich den Gesetzen der Natur zu unterwerfen und wie ein Nomade weiterzuziehen. Es bestand längst kein Zweifel mehr: Dieses Gewitter war sesshaft geworden.

      Irgendetwas war aus dem Ruder gelaufen, hatte sich der Kontrolle durch den natürlichen Lauf der Dinge entzogen und dazu entschlossen, dauerhaft Unfrieden zu stiften. Etwas, das man mit völlige Entgleisung der Elemente wohl am treffendsten bezeichnen konnte. Und das beklemmende Gefühl, die Ursache für diesen Zustand zu erahnen, gleichwohl aber rein gar nichts dagegen unternehmen zu können, ließ ihn einfach nicht mehr los.

      Er würde es jedenfalls nicht nochmal wagen, zum Waldrand zu laufen. Dafür hatte das monströse, ja fast drachenartige Wolkengebilde viel zu bedrohliche Ausmaße angenommen. Selbst von seinem Schreibtischfenster aus konnte er erkennen, dass das Ding in seiner Mitte einen gigantischen Schlund besaß, aus dem ab und zu ein kreiselndes Etwas zum Vorschein kam. Und worum es sich auch immer dabei handelte, es machte den Anschein, als könne daraus jederzeit der Rüssel eines verheerenden Tornados erblühen.

      Valentin fiel zunächst nichts Besseres ein, als das Radio einzuschalten, da es gerade Zeit für den Wetterbericht war.

       Ja, und da habe ich heute ausschließlich gute Nachrichten zu vermelden, gluckste die Wetterfee. Im ganzen Land kein einziges Wölkchen am Himmel...kieks...also schnell die Badehose aus dem Schrank geholt, ein traumhaftes Wochenende steht uns bevor.

       Krach!

      Kapitel 15 - Nächtliche Spurensuche

      Der Landstreicher hatte einen beschwerlichen Weg hinter sich gebracht. Mehr als knöcheltief versanken seine Stiefel im Matsch, und auch sein Stock war ihm auf diesem verfluchten Acker keine große Hilfe mehr. Es schien fast so, als hätte sein Ziel schon aus der Ferne Witterung aufgenommen und keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Sein Mantel war bereits triefend nass, das Werk der tobenden Sturmböen und ein kleiner Vorgeschmack auf das, was ihm in dieser Nacht noch alles bevorstehen sollte.

      Das Ziel lag nur noch ein paar hundert Meter von ihm entfernt, am Ufer eines kleinen Sees. Er hatte es erst gestern beobachtet und an den Tagen davor ebenfalls, sich jedoch nie an das wütende Monster herangewagt. Er war ja schließlich kein Selbstmörder.

      Jetzt, am Waldrand, hielt er kurz inne, denn Regen und Wind waren ganz plötzlich schwächer geworden - ein sicheres Zeichen, dass das Biest ihn schon längst entdeckt hatte und nun irgendwo im Dunkeln lauerte...

      Da kamen auch schon die Krähen herbeigeflogen, seine treuen Begleiter, die die drohende Gefahr mit ihren wachen Augen vom ersten Augenblick an erkannt hatten.

      Er musste zugeben, dass ihm ein Fehler unterlaufen war. Ein unverzeihlicher Fehler! Er hatte einfach zu lange gebraucht, die Zeichen richtig zu deuten. Schließlich waren ja schon immer Krähen auf dem Dach dieses unscheinbaren Stadthauses gelandet. Er dachte jedoch, es handle sich dabei nur um eine der vielen unergründlichen Marotten dieser überaus intelligenten Tiere.

      Aber die alte Dame, die das Biest so lange behütet hatte, war offenbar eine wahre Meisterin der Verschleierung gewesen. Sie besaß die perfekte Tarnung. Aloisia Krah, die nette alte Dame mit der Handtasche, die sich jeden Morgen von hilfsbereiten Mitbürgern über die Straße führen ließ. Wer hätte das von ihr gedacht...

      Doch auch sie hatte einen Fehler begangen. Sie hatte nicht vorgesorgt für den Fall, dass ihr der Sensenmann einen Strich durch die Rechnung machte. Und es wäre ihre verdammte Pflicht gewesen, dies zu tun. Aber trotz ihrer Nachlässigkeit wäre noch lange nichts aus den Fugen geraten, wenn nicht ahnungslose Dummköpfe ihre Finger im Spiel gehabt hätten.

      Da war Lester Zacharias, dieser selbstvergessene Narr, der ja unbedingt Krahs Nachlass erstehen musste - und dann dieser dumme Junge, der all das Unglück erst heraufbeschwor. Der Junge, der offenbar Gefallen daran gefunden hatte, so jung und so grausam zu sterben...

      Nachdem der Mann das Waldstück durchquert hatte und die kleine Lichtung mit dem See erblickte, verlöschte er das Licht in seiner Laterne. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, obwohl er sich sicher war, dass ihn das Biest längst bemerkt haben musste. Schließlich war es mittlerweile windstill, und kein einziger Regentropfen fiel mehr vom Himmel herab.

      Das war er nun, der Moment, auf den der Landstreicher so lange hatte warten müssen. Fünf unendlich lange Tage lagen hinter ihm. Tage, in denen er rein gar nichts unternehmen konnte, weil jedes Handeln von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Jetzt aber war der richtige Zeitpunkt gekommen, der Augenblick erschien günstig. Doch er machte sich keine Illusionen. Trotz der Gewitterpause war die Gefahr allgegenwärtig, die Ruhe sicher nur ein Schachzug unendlicher Tücke. Der Teufel ist und bleibt nunmal ein ewiger Trickser. Selbst der Hofhund in weiter Ferne war sich der horrenden Gefahr bewusst. Er bellte schon wieder, kluges Tier.

      Der Landstreicher stellte die qualmende Laterne in den Matsch und zog eine kleine silberne Flasche aus seinem Mantel. Er hasste sich dafür, denn es war dumm und vernebelte sein Gehirn. Aber er konnte das einfach nicht, ohne sich vorher Mut anzutrinken. Vielleicht war der Tod auch ein wenig erträglicher, wenn man ihm mit nicht allzu klarem Blick begegnete.

      Kapitel 16 - Teufelswerk

       (Die Katze im Nebel)

      Das sesshaft gewordene Gewitter hatte die ganze Nacht hindurch seinem Frust über die Elemente freien Lauf gelassen und alles aufgeboten, was der brodelnde Unwetterkessel hergab.

      Als Valentin aber am nächsten Morgen in der Hofeinfahrt stand und seinen Blick über den Horizont schweifen ließ, schien das Schlimmste überstanden zu sein. Nur noch ein dumpfes Grollen war aus der Ferne zu hören. Der Wolkenturm hatte sich aufgelöst. An seine Stelle war nun eine nebelartige Suppe getreten, die sich wie ein gespenstischer Schleier über den Acker legte. Das sah zwar ebenfalls nicht gerade einladend aus, aber immerhin.

      Der Krähenspäher zog nun immer engere Kreise über Valentins Kopf und schimpfte wie ein Rohrspatz. Es brauchte allerdings nicht viel Phantasie, sich das Verhalten der kleinen Plage zu erklären: Zwölf nach sieben war schon seit einer halben Stunde vorbei, und sein Zielobjekt machte noch immer keinerlei Anstalten, sich