Er sah den Ober aus den Augenwinkeln auf sich zukommen, ohne dass er von seiner Zeitung hochsah. Der Kellner stellte sich neben ihn, blieb einen Moment ruhig stehen, und räusperte sich vornehm.
„Entschuldigung, ein Herr möchte ihnen einen Drink ausgeben, und fragt, ob sie kurz Zeit für ihn hätten.“
Dabei deutete der Kellner in Richtung des überdachten Teils der Terrasse, der aber von anderen Tischen, mit Gästen, verdeckt wurde.
„Ich nehme an, dass der Mann zwei „Bloody Mary“ vorgeschlagen hat?“
Der Angestellte sah etwas irritiert aus, nickte aber.
„Dann sagen sie ihm zu, aber bringen sie mir eine „Animate Mary“, bitte.“
Der Ober hob die Augenbrauen, verzog aber sonst keine Miene.
„Den Drink haben wir leider nicht auf der Karte, könnten sie ihn mir bitte beschreiben, damit ich dem Barkeeper das Rezept geben kann?“
„Nehmen sie ein drittel Wodka, zwei drittel Gemüsesaft, aber einer mit Sellerie, und reiben sie einen halben Teelöffel frischen Ingwer hinein, dazu dann noch ein paar Eiswürfel, und etwas geriebenen roten Pfeffer. Das Glas wird zuerst am Rand in Orangensaft getaucht, und anschließend in Zucker. Fertig.“
Der Mitarbeiter nickte erneut, und verschwand. Pavel nahm seine Zeitung wieder hoch, und las die Börsenberichte der Pariser Banken. Alle tadellos auf Höchstkursen. Es fragte sich nur, wie lange das noch anhielt. Wahrscheinlich begann bereits im Sommer, der Aktienmarkt nachzugeben, und dann würden er die Banken mit sich nach unten ziehen. Ohne seine Augen vom Artikel zu lösen, begann Pavel das Gespräch.
„Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du brauchst, um mich anzusprechen.“
Sein Gegenüber stand hinter dem freien Stuhl, und besah sich gelangweilt die Szenerie.
„Wie lange weißt du denn schon, dass ich dich beobachte?“
„Seit gestern Nachmittag am Hafen.“
Der Mann grinste.
„Ich werde langsam alt und unvorsichtig, wie es aussieht, oder Pavel?“
Der sah von der Zeitung hoch, und blickte den Mann an, der ihn angesprochen hatte. Er hatte schlohweißes Haar, und war gut gekleidet. Sein Gesicht und seine Hände verrieten, dass der Mann lange in sonnigen Gebieten gelebt hatte, denn seine Bräune war dezent, aber makellos. „Es ist schön, dich zu sehen, Jasper, oder trägst du jetzt einen anderen Namen? Setz dich doch.“
Jasper Fokke nahm Platz, und lächelte in sich hinein.
„Du bist nicht unvorsichtiger als früher, aber es ist leicht jemand zu finden, wenn man weiß, wo man suchen muss.“
„Woher wusstest du, dass ich nicht in Oslo bin?“
„Oh, ich wusste es nicht, aber ich war dort, und es war verdammt kalt. Nach zwei Tagen konnte ich ausschließen, dass du derzeit in Norwegen bist, auch wenn es ein tolles Land ist, um abzutauchen, da die Polizei nicht mit dem Rest der Behörden von Europa zusammen arbeitet. Es war also nur eine Frage der Zeit, dich im südlichen Europa aufzutreiben, mein Lieber.“
„Du hast also nie daran gezweifelt, dass ich nicht in den Ruhestand geschickt worden bin?“
„Zuerst schon, bis ich nach einem Einsatz in Südamerika bemerkt hatte, dass jemand in meiner Wohnung gewesen war. Eindeutig deine Handschrift. Du hattest alle Kontrollen wieder hergerichtet, bis auf Eine, die ich mir selber ausgedacht habe.“
„Und welchen neuen Trick hast du auf Lager, den ich dir nicht beigebracht habe?“
Jetzt grinste Pavel über das ganze Gesicht.
„Es ist schön, dass ich meinen Mentor überlisten konnte, was mir nur selten vergönnt war, während meiner Ausbildung.“
Beide Männer sahen sich einen kurzen, intensiven Moment in die Augen, ohne zu blinzeln. „Ein kleiner Wachstropfen an einer thermischen Stelle des Computers, der schmilzt, sobald er angeschaltet wird.“
Fokke zog die Augenbrauen hoch.
„Ich vermisse die Zeit, als nicht alles mit Computern zu tun hatte, aber die Methode werde ich mir merken müssen. Damals war es auch noch wesentlich einfacher, von der Bildfläche zu verschwinden, um mein Ableben vorzutäuschen, aber wie ist dir der Ausstieg gelungen?“
Pavel dachte einen Augenblick darüber nach, ob Jasper noch immer einen Schutz für ihn darstellte, oder ob dieser, nach 20 Jahren, die seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen waren, nur noch seine eigenen Interessen verfolgte. Nur weil sein Gegenüber fast 70 Jahre zählte, hieß das nicht, dass er ungefährlich war. Allerdings hatte ihn seit gestern keiner verfolgt, außer Jasper, und auch in den letzten Stunden war ihm niemand aufgefallen, mit dem Jasper kommuniziert hatte. Der Ober kam, und stellte die Getränke auf den Tisch.
„Der Barkeeper lässt ihnen seinen Dank ausrichten, für das neue Rezept. Die Drinks gehen aufs Haus.“
Pavel nahm einen Schluck, und lächelte den Ober an.
„Sagen sie dem Barkeeper meinen Dank, er hat ihn perfekt gemacht.“
Der Kellner verschwand wieder im Getümmel der Gäste, und Jasper nahm ebenfalls einen Schluck aus seinem Glas.
„Ich sehe, du hast einige neue Talente entwickelt, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.“
„Talent würde ich es nicht nennen, aber ein paar Annehmlichkeiten kann man sich im Ruhestand schon leisten. Dir geht es offensichtlich ja auch nicht schlecht. Arbeitest du noch?“
Jasper legte den Kopf auf die Seite, als ob er die frühen Sonnenstrahlen genießen wollte.
„Ich hatte nach ein paar Jahren einen Tiefpunkt. Irgendwann hat man genug Drinks, Sonne und Mädchen. Ich habe versucht ein paar Aufträge für private Kunden zu erledigen, aber es ging meistens um Rache, oder Gier, und nach einiger Zeit habe ich dann endgültig das Handtuch geworfen. Inzwischen bin ich im Immobiliengeschäft tätig. Natürlich nur als Geldgeber. So bin ich anonym, und die Renditen sind beachtlich, wenn man nicht größenwahnsinnig wird. Tatsächlich schmolz mein Geld schnell dahin, da der Börsenkrach von 2000 einen erheblichen Teil meiner Altersvorsorge gekostet hat.
In letzter Zeit habe ich zumindest darüber nachgedacht, ob ich meine Begabung wieder jemandem für Geld anbieten sollte, aber noch habe ich mich nicht entschieden. Aber was ist mit dir? Hast du ausgesorgt?“
Pavel nippte an seinem Glas.
„Es sollte reichen, aber wer weiß das schon so genau. Immobilien sind auf jeden Fall riskant, wenn man sich vom schnellen Geld verführen lässt. Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, wo die Nachfrage immer hoch ist, und die Märkte stabil bleiben, aber das muss ich dir ja nicht erzählen.“
Jasper wartete noch einen Moment, ob sein ehemaliger Schüler doch noch eine seiner Fragen beantworten würde, aber er ging nicht davon aus. Zudem hatte er Pavel nicht beigebracht Fragen zu beantworten, sondern zu stellen, und dafür zu sorgen, dass diese beantwortet würden. In so fern hielt sich sein Zögling ans Programm.
„Also wenn du mir nicht erzählen willst, wie du es geschafft hast, die Firma zu verlassen, warum hast du mich dann gesucht?“
Pavel stellte erschrocken fest, dass selbst er, nach den langen Jahren, seinen ehemaligen Ausbilder in verklärter Erinnerung hatte. Entweder er würde jetzt das Risiko eingehen, Jasper ein Stück weit ins Vertrauen zu ziehen, oder er war gezwungen ihn so schnell wie möglich verschwinden lassen. Er musste sich auf jeden Fall schnell entscheiden.
„Ich muss jemanden finden, der von meiner