Dunkle Seele Liebe. Fe Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fe Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738098891
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nahe dem rechten Schläfenlappen, ein roter Fleck in einem unregelmäßigen, gelben Kreis. Er war in ihm gewachsen, zusammen mit seinem Dasein als Sucher. Man musste sich einfach nur auf ein beliebiges Wesen konzentrieren, um diese seltsame Anziehung, das Singen in Gang zu bringen. Das war das Spiel. Der Effekt war immer wieder verblüffend. Ein leichter Ekel stieg ihm in die Kehle, wenn er sich daran erinnerte, wie sich die Gesichter seiner Gegenüber verändert hatten. Mit dem freien Willen hatte alle Kraft die Gesichtszüge verlassen und die Blicke waren seltsam leer geworden. Er hatte das Spiel nicht oft gespielt, hatte es bewusst vermieden, auch wenn es praktisch war. Er hatte beispielsweise noch nie einen Strafzettel bezahlen müssen. Die Polizisten hatten sich jedes Mal darum gerissen, das Strafmandat im Papierkorb verschwinden zu lassen. Justin kannte es gut, dieses strömende Gefühl der Macht, wenn er andere so manipulieren konnte. Und er wusste, wie gefährlich es war, dem Gefühl nachzugeben. Wie schnell aus einem Sucher ein Dunkler werden konnte. Denn nichts anderes waren die Dunklen: Opfer ihrer Gier nach Macht. Sie waren nur noch von der Idee beherrscht, Abhängigkeiten zu schaffen und sie verloren damit ihr eigentliches Ziel aus den Augen: die Wiedergutmachung ihrer Schuld, die Erlösung von ihrem endlosen … Untot. Die Dunklen waren skrupellos und gefährlich. Und sie waren hinter Selina her. Zumindest einer von ihnen: Randor.

      Er, Justin, hatte es dann wirklich getan. Er hatte gesungen. Ganz kurz nur, als er Randor zwischen den Büschen gesehen hatte, und auch nur, um das Mädchen möglichst schnell aus dem Park zu bringen. Er war sich nicht sicher gewesen, wie viele von den Dunklen dort herumhingen und was genau da lief.

      Die Anziehung hatte so schnell gewirkt. Wie ihre Augen an seinem Gesicht gehangen hatten. Aber dann war etwas Merkwürdiges passiert: Es war ihr selber aufgefallen. Sie war rot geworden - und im gleichen Moment hatte er sich unendlich geschämt, so mit ihr zu spielen. Und dann kam es: Sie hatte abgeblockt. Er hatte es deutlich gespürt. Als wäre irgendeine Klappe gefallen. Er war mit seinem Singen nicht mehr durchgedrungen. In dem Moment hatte es ihn sogar erleichtert.

      Sie war trotzdem mitgegangen.

      Dann hatten sie in der Bar gesessen. Ihre ganze Aufmerksamkeit war plötzlich bei ihm gewesen und er – er hatte nicht mehr gewusst, was er tun sollte. Die unvermutete Nähe hatte ihn verwirrt. Er war viel zu lang geblieben. Er hätte gleich gehen sollen, nachdem er sie aus dem Park gelotst hatte. Aber … irgendwie hatte ihm das gefallen, so neben ihr zu gehen, mit ihr zu sprechen … einfach so.

      Die Bilder waren fantastisch geworden. Sie hatte sich zwischen den Katzen bewegt, als bestünde eine verborgene Art der Kommunikation zwischen ihr und den Tieren, die sonst niemand hören konnte. Nur sie und die Katzen.

      6

      Ich habe in meinem Leben noch nicht so etwas … etwas Gruseliges gesehen, dachte ich, während Pino völlig ungerührt sein Werkzeug auspackte. Ich stand wie festgefroren am Eingang der Kapuzinergruft.

      Überall Knochen, das war doch gar nicht möglich! Aber irgendwie auch unglaublich … schön - wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte.

      Ungefähr 4000 Mönche sollten hier bestattet sein, aber nicht auf normalem Weg. Nein, ihre Knochen waren in kunstvollsten Arabesken an Decke und Wände gehämmert, sechs kleine, nebeneinanderliegende Kapellen lang.

      Schädel lagen zu Bögen aufgeschichtet, Skelette in braune Kapuzenhemden gekleidet lehnten darin, Kreuze in den knochigen Fingern und gebeugt in ewiger Demut und Anbetung.

      Lampen warfen ein glanzloses Muster durch Hüftknochen, Ellen und Speichen, Rippen zogen sich in Girlanden über die Decke, akzentuiert mit Wirbeln. Waren das Schienbeine, die die römischen Ziffern der Uhr-Rosette bildeten? Ein Kinderskelett in der Mitte der letzten Kuppel hielt eine Waage. Hodie mihi, cras tibi, stand in eine Marmortafel gemeißelt darunter: Heute mir, morgen dir.

      Durch ein Fensterchen fiel trübes Licht herein. Am Ende der Knochenkrypta führte eine Tür in einen holzgetäfelten Gang. Unser Arbeitsplatz für die nächsten Wochen. Pino sollte hier und in den angrenzenden Räumen verschiedene Hölzer restaurieren und austauschen. Vom Eingang geradeaus ging es zum inneren Eingang des Klosters, rechts führte eine Treppe hinunter in die Katakomben.

      Im Moment klopfte Pino mit gerunzelter Stirn an den Türrahmen herum. Er murmelte vor sich hin und schüttelte immer wieder den Kopf. Dann packte er eine der Türen und stemmte sie mit Schwung aus ihren alten Angeln. Ich war immer wieder überrascht, wenn ich sah, wie viel Kraft in Pinos untersetzter Figur steckte.

      Zu zweit trugen wir die Türen hinaus in unseren klapprigen Lieferwagen, den Pino vor der Doppeltreppe, die hinauf zur erhöht liegenden Kirche führte, geparkt hatte. Danach stand mir der Schweiß auf der Stirn, so schwer war das Teil. Die Dame, die uns eingelassen hatte, umflatterte uns mit allen möglichen Instruktionen. Ich glaube, Pino hörte nicht besser zu als ich.

      Pino stellte mir einen Eimer mit Wasser hin und ich begann behutsam mit Holzseife die Vertäfelung abzubürsten, während er versuchte mehr Licht in den Raum zu bringen. Die eine schummerige Lampe an der Decke des Gangs war auf jeden Fall zu wenig, um gut arbeiten zu können, und für die Spots, die er mitgebracht hatte, fehlten Stecker. Er begann Kabel zusammenzustecken und in allen Ecken nach Stromauslässen zu suchen. Schließlich gab er seufzend auf. „Ich bring dann mal die Türen in die Werkstatt, dabei kann ich gleich noch paar Kabel mitbringen. Die müssen wir eben bis ins Kloster hinüber legen, wenn’s nicht anders geht. Die Elektrik hier ist vorsintflutlich. Du kommst zurecht, oder?“

      Ich nickte. Ja, ich kam klar – obwohl ich es hier ziemlich unheimlich fand. Ruhig arbeitete ich weiter. Es war faszinierend zu sehen, wie frisch das Holz unter seiner jahrhundertealten Patina aus Kerzenruß, Schmutz und Fett auftauchte. Wie viele Hände mussten ihre Abdrücke hier hinterlassen haben! Ich blickte mich unwillkürlich nach den Skeletten in den verblichenen Mönchskutten um. All diese Mönche waren einmal hier entlanggegangen, hatten mitgeholfen, die Knochen ihrer Mitbrüder so kunstvoll zu arrangieren, bevor sie selbst ein Teil des Ganzen wurden. Ich zog die Schultern hoch. Ein leichtes Frösteln war mir über den Rücken gelaufen.

      Die Tür zu den Katakomben hinunter hatte Pino mitgenommen. Eine düstere Welt musste das sein dort unten. Die Urchristen hatten die Katakomben angelegt, wenn ich das richtig verstanden hatte. Die Kapuziner hatten dann in den unterirdischen Gewölben die Toten aus dem umliegenden Armenviertel, in dem die Mönche Pflegedienst leisteten, bestattet.

      Von irgendwoher wehten einzelne Töne herüber. Musik? Gesang? Es war schwer auszumachen. Die Kirche musste etwas nach links versetzt über mir liegen. Vielleicht war ja gerade ein Vespergottesdienst oder so etwas. Sonst war es so still, dass ich meinen eigenen Atem hörte. Die dicken Wände schienen alle Geräusche aufzusaugen. Auch die vereinzelten Töne waren nun nicht mehr zu hören. Konzentriert bürstete ich Paneel für Paneel das Holz ab. Wie schön die verschiedenen Holzzuschnitte zu Mustern verschlungen waren!

      Nach einer Weile trat ich mit der Fußspitze leicht gegen den zweiten Eimer. Leer. Pino hatte vergessen, ihn zu füllen. Ich musste aber allmählich mit klarem Wasser nachwischen, bevor die gelöste Schmutzschicht wieder antrocknete. Wo hatte er das Putzwasser geholt? Wahrscheinlich da vorne irgendwo, Richtung Kloster. Ich packte den leeren Eimer. Hoffentlich gab es dort auch eine Toilette.

      Im Gang zog es, die Luft roch trocken. Eine Tür beschloss den alten Teil des Korridors, dahinter sah es moderner aus: Die Wände in einem blassen Grün gestrichen und die Türen weiß, wenn auch der Lack an vielen Stellen bereits abblätterte. Was hier wohl für Räume waren? Wahrscheinlich Abstellkammern und so. Ich ging weiter. Hinter einer schweren Holztür begann das Kloster, dort war kein Außenstehender mehr willkommen, schon gar kein weiblicher. Mir kam es vor, als hörte ich wieder dieses ferne Singen, aber vielleicht war es auch nur die Stille, die mir in den Ohren dröhnte. Plötzlich ein leises Klicken — eine Tür fiel hinter mir ins Schloss. Ich fuhr herum. Es hatte doch gar keine Tür offen gestanden?

      „Hallo?“ Meine Stimme klang zaghaft. Ich räusperte mich. Wahrscheinlich hatte der Luftzug eine der Türen aufgeweht. Und dann wieder zu? Nein. Außerdem zog es draußen, im alten Teil, nicht hier … Aber … hier war doch ganz sicher niemand, das hätte ich vorher merken müssen.