Dunkle Seele Liebe. Fe Mars. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fe Mars
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738098891
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      Ich trat aus der kühlen Werkstatt auf die Gasse hinaus, in der sich die Hitze des Tages staute. Zwischen den Dächern leuchtete blau der Himmel. Die Marktstände auf dem Campo nebenan waren abgebaut, aber in den Seitengassen herrschte reges Treiben.

      Jetzt gehöre ich dazu, dachte ich, zu denen, die hier leben und arbeiten und die die Stadt ausmachen. Ein Lächeln stieg mir in die Kehle und ich glaube, erst in dem Moment kam ich wirklich an.

      Ein Mann rempelte gegen meine Schulter und riss mich unsanft aus meinen Gedanken. Er hielt mich einen Moment fest, als hätte er Angst, ich könnte hinfallen. „Scusi!“, murmelte ich automatisch, während ich von ihm weg strebte. Sein Griff an meinen Armen war mir unangenehm. Sein Geruch stieg mir in die Nase. Modrig und … das war doch … Ich drehte den Kopf zur Seite.

      Er stieß ein kurzes Lachen aus, dann war er schon weiter, während mein Herz plötzlich klopfte. Was war so merkwürdig an dem Mann gewesen? Automatisch tastete ich nach meiner Geldbörse. Nein, nicht gestohlen. Ein Glück. Ich klemmte mir den Rucksack fester unter den Arm und schlenderte weiter.

      Der Tisch war gedeckt, das Nudelwasser dampfte - Lia erwartete mich bereits. „Dein erster Arbeitstag in Rom“, rief sie fröhlich. „Das muss doch gefeiert werden! Und außerdem …“ Sie wedelte mir mit einer bedruckten und gefalteten Karte vor der Nase herum. „Was meinst du, was das ist? Erkennst du es?“

      „Klar!“ Ich hielt ihr Handgelenk fest. „Das Bild steht im Atelier. Ist das etwa …?“

      „Ganz genau, das ist es!“ Sie schlug die Karte auf und las feierlich: „Die ‚Galleria Ennio d’Asti’ erlaubt sich, Sie und Ihre Freunde zur Eröffnung der Ausstellung ‚Lia Korn - Eindrücke’, Arbeiten in Acryl und Öl herzlich einzuladen. Einführende Worte … und so weiter und so weiter. Juhu!“ Mit einem Juchzer fiel sie mir um den Hals. „Nächste Woche schon. Bei Ennio. Er ist nicht nur ein Freund, sondern auch einer der angesagten Galeristen der Stadt. Ich wollte bis jetzt nichts sagen, weil ich es selbst kaum glauben kann. Ich musste das erst gedruckt sehen. Abergläubisch, ich weiß, aber … puh! Also, müssen wir heute feiern oder nicht?“ Sie zog schwungvoll eine Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank, ließ den Korken knallen, dass der Sekt aufschäumend über ihre Hand und den Tisch sprudelte, und schenkte uns beiden einen kräftigen Schluck in unsere Wassergläser.

      Dann stießen wir an, aßen auf der Terrasse unsere Spaghetti und saßen schließlich inmitten der nächtlichen Geräusche und dem Sternengefunkel. Wir kicherten, tranken den Rest der Flasche aus und ich dachte, dass dies der perfekteste Abend war, den ich je erlebt hatte.

       Der Keller, Schatten umschleichen mich, recken ihre Finger nach mir, ich will fliehen, aber meine Füße bewegen sich, als würden sie in zähem Gummi feststecken, die Angst im Hals erstickt meine Stimme, ich versuche zu schreien, aber kein Ton kommt heraus. Die Wände schließen mich ein, langsam und unerbittlich. Und jemand wartet, wartet im Dunkeln … auf mich.

      Mein Herzschlag raste und ich schnappte wimmernd nach Luft. Mein T-Shirt klebte mir schweißnass am Körper. Im ersten Moment war ich völlig desorientiert. Wo war ich? Träumte ich noch? War es vorbei? Oh Gott, bitte … Ich hatte das unscharfe Bewusstsein, etwas Schlimmerem als dem Tod entronnen zu sein.

      Der Traum. Ich nannte ihn absichtlich nie ‚meinen’ Albtraum, damit er sich nicht für immer in mir festmachte und ein endgültiger Teil von mir würde. Dabei fürchte ich, er war es schon längst.

      Er hatte mit den Kellern unseres Familienansitzes zu tun. Das Schloss war über der alten Razburg errichtet worden, deren Vorratskeller und Verliese zum Teil noch erhalten waren. Natürlich war es mir immer strengstens verboten gewesen, dort zu spielen. Noch nicht einmal in die Nähe der modrigen Räume hatte ich gedurft. Aber was gibt es für einen größeren Anreiz als ein Verbot?

      Ich war vielleicht fünf Jahre alt gewesen, als ich mich zum ersten Mal in die Tiefen des Schlosses gewagt hatte. Allein. Ich erinnerte mich deutlich daran, die alten Stufen hinunterzuschleichen, das Herz vor Aufregung im Hals, so, dass ich kaum noch atmen konnte, eine Kerze in der Hand und meinen Teddy unter den Arm geklemmt. Es war feucht und kalt und sehr dunkel gewesen. Ich erinnerte mich auch an den Schrecken, als irgendetwas mir plötzlich den Rückweg abgeschnitten hatte, und an die Schatten. Vor allem an die Schatten. Ich wusste nicht, was noch passiert war damals, ich hatte nur wie eine Blitzlichtaufnahme das Bild meiner Großmutter vor Augen. Auf einmal hatte sie vor mir gestanden. Das war mir in Erinnerung, mehr nicht.

      Mit zitternden Fingern tastete ich nach dem Lichtschalter. Im Schein der Lampe beruhigte ich mich ein wenig. Später schaffte ich es, sie wieder auszuknipsen, ohne in Panik zu geraten. Mit brennenden Augen lag ich wach und starrte in die Dunkelheit.

      Irgendetwas musste heute passiert sein, das den Traum ausgelöst hatte. Irgendetwas die Erinnerung an den Keller heraufbeschworen haben. Aber was? Ich spulte den Tag noch einmal ab: Werkstatt, dann nach Hause und Abendessen mit Lia. Der fröhliche Abend auf der Terrasse. Sonst nichts. Und doch — etwas war da. Schien mir verzweifelte Zeichen vom Rande meines Bewusstseins zu geben, aber je mehr ich versuchte, die Zeichen zu entziffern, desto mehr entzogen sie sich.

      4

      Schnell duschen und den ganzen Arbeitsstaub abspülen! Pino und ich hatten dem Schrank heute die letzte Schicht Politur gegeben und seine ganze alte Schönheit wiederhergestellt. Ich war wirklich stolz: Mein erstes Werkstück.

      Nur hatte ich jetzt ziemliche Eile, zu Lias Ausstellungseröffnung zu kommen. Pünktlich würde ich es sowieso nicht schaffen, allerdings würde es auch nicht Punkt sechs Uhr losgehen, hatte Lia gemeint.

      Ich schlüpfte in meine alte schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt - Schwarz war für Vernissagen immer gut. Jeansjacke drüber und fertig. Meine Haare flatterten feucht hinter mir her, als ich zur U-Bahn rannte und dabei auf dem Handy Celia anrief.

      Lia war in den letzten Tagen ein Nervenbündel gewesen. Ihre Bilder schienen ihr mit einem Mal nicht mehr zu gefallen. Die vergangenen Abende hatte sie in der Galerie damit verbracht, ihre Sachen zu hängen, und ich beneidete ihren Galeristen, Ennio, nicht, der sich auf eine Ausstellung mit ihr eingelassen hatte. Andererseits fieberte ich mit ihr.

      In der Schule hatten wir uns heute mit Werkstoffkunde gelangweilt, das war ziemlich trockener Lernstoff, solange man nicht selbst herumexperimentieren konnte. Trotzdem war ich glücklich: Schon eine Woche keine Albträume mehr, keine Panikattacken, nicht mehr das Gefühl, verfolgt zu werden, sondern einfach ganz normal leben.

      Hier war schon meine Station, Piazza di Spagna. Celia wartete vor dem Eingang. Sie sah fantastisch aus in dem bunten Flatterzeug aus dem Laden ihrer Mutter.

      Das Stimmengewirr aus der Galerie drang bis in die Gasse hinaus. Den offiziellen Teil mit Reden und Begrüßungen schienen wir verpasst zu haben, alle balancierten bereits Gläser und Teller mit Häppchen in den Händen. Lias Bilder leuchteten bunt von den Wänden.

      „Selina!“ Lias Gesicht strahlte glücklich aus einer Traube Menschen hervor, die sie umlagerte und die sie mir so schnell vorstellte, dass ich mir kaum einen Namen merkte. Ich fühlte mich ein wenig unbeholfen inmitten dieser ultraschicken, intellektuellen Stadtmeute. Außerdem hatte ich Probleme, ihrem rasanten italienischen Schlagabtausch und ihren Witzen zu folgen. Eine Spur zu schnell trank ich ein Glas Prosecco und blickte mich unauffällig nach Celia um, die in der Menge verschwunden war. Ennio schien mein Unbehagen zu bemerken. Er löste sich von Lias Seite und nahm mich leicht am Ellenbogen. „Du musst Hunger haben“, meinte er lächelnd. „Du hast doch bestimmt bis eben noch gearbeitet, oder?“ Ich zuckte die Schultern. „Komm, schauen wir nach, ob wider Erwarten am Buffet noch etwas übrig ist!“ Seine Augen hinter der Brille blitzten belustigt. „Obwohl ich fürchte, dass wir zu spät sind. Die Meute braucht selten länger als fünf Minuten, um alles abzugrasen. – Erzähl mir von deiner Werkstatt. An was arbeitest du gerade?“ Er angelte mir eines der letzten Brötchen vom Buffet.

      „Pino hat einen fantastischen Auftrag.“ Ich biss in das Käsebaguette und musste erstmal kauen. „Er soll die Holztäfelungen in einer Kapuzinergruft