Angelo. Martin Renold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Renold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847618874
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der Mann mit dem schwarzen Rock im Waisenhaus oft gesagt, dass das eine Sünde sei, dass man dies nicht tun dürfe. Doch was blieb ihnen anderes übrig. Wenn er dies nur dieses eine Mal tun würde, dann brauchten sie nachher nicht mehr zu stehlen, hatte Mario angedeutet. Aber wohl war es Angelo nicht. Er hatte ein schlechtes Gewissen bei dieser Sache.

      „Also los“, raunte Mario leise den anderen zu, „jeder auf seinen Platz, aber ganz unauffällig.

      Angelo drückte sich hinter eine Hausecke. Es war ganz nahe beim Laden. Er schaute hervor und sah, wie Mario nach allein Seiten spähte, ob irgendwo ein Mensch sei. Aber zu dieser frühen Morgenstunde war keine Gefahr.

      Jetzt trat Mario vor das Schaufenster, das fast bis zum Boden hinunterreichte und in dem viele schöne Sachen ausgestellt waren. Nach einer Weile trat er unter die Tür und hustete.

      „Sie haben schöne Dinge hier“, sagte er in den Laden hinein. „Was kostet dies da?“

      „Was?“, gab eine Stimme aus dem Dunkel Antwort.

      „Hier, dies da, ich weiß nicht, wie man dem sagt“, erwiderte Mario.

      Ein älterer Mann trat unter die Tür.

      „Hier“, sagte Mario und zeigte mit der Hand gegen die Ecke des Fensters.

      „Welches meinst du?“, fragte der Mann.

      „Sie können es nicht sehen“, antwortete Mario, „Sie müssen schon hier heraustreten.“

      Der Mann hinkte leicht, als er vor das Fenster trat.

      Mario zeigte auf eine Porzellanfigur, die ganz zuunterst im Fenster stand, und fragte „Was kostet das?“

      „Es steht ja angeschrieben; kannst du denn nicht lesen?“

      Mario gestand schüchtern, dass er wirklich noch nicht lesen könne.

      „Tausend Lire“, sagte der Mann, während er sich niederbückte und den Preis von einem kleinen Schild ablas.

      „Das ist teuer“, sagte Mario. „Was kostet denn das das, und er zeigte auf einen anderen Gegenstand, der auch ganz am unteren Rand des Schaufensters lag. Der Mann bückte sich wieder nieder.

      Mario machte hinter dem Rücken des Mannes das verabredete Zeichen mit der Hand, nachdem er noch einmal umhergeschaut hatte, ob wirklich niemand zusehe, und Lorenzo, der hinter einer anderen Ecke als Angelo gewartet hatte, trat hervor und begann zu rennen, ohne sich umzusehen.

      „Schauen Sie“, rief Mario, „ein Dieb! Eben ist er hinter ihrem Rücken zur Tür herausgekommen“, und er rannte hinter Lorenzo her. Der Mann tat einige Schritte ihm nach.

      Mario verschwand hinter der Gasse, wo auch Lorenzo verschwunden war, aber bald darauf streckte er seinen Kopf hinter der Ecke hervor und rief:

      „Kommen Sie rasch, ich habe ihn, er hat eine Uhr gestohlen!“

      Der Mann eilte, so gut er mit seinem Hinkebein konnte. Marios Kopf verschwand wieder hinter dem Haus.

      Angelo, der sich klopfenden Herzens an die Mauer gedrückt hatte, sah nun mit banger Sorge seinen Augenblick gekommen. Auf den Zehenspitzen trat er am Fenster vorüber. Er warf einen raschen Blick hinein. Dort hing die Uhr. Angelo trat in den düsteren Raum. Er blickte sich um. Es war niemand da. Hinter dem Fenster, greifbar nahe, hing die Uhr an der Kette.

      „Beeile dich!“, sagte eine Stimme in ihm. Er schaute sich nochmals um. Wirklich, er war allein. Angelo streckte seine Hand aus. Jetzt fasste er die Uhr. Das kalte Metall machte ihn schauern. Er zog. Die Kette fiel vom Nagel und schlug rasselnd auf einen Bilderrahmen nieder. Angelo schrak zusammen. Schnell steckte er die Uhr mitsamt der Kette in die Tasche und trat wieder vor die Tür. Der Mann stand droben an der Gasse und spähte in die andere Straße hinein.

      Angelo begann zu laufen, in die andere Richtung, um die nächste Ecke, durch die nächste Gasse. Er lief, so rasch er konnte. Erst weit weg vom Ort seiner Tat blieb er stehen. Er griff in seine Tasche. Er fühlte etwas Festes, Rundes, aber es war nicht mehr kalt. Er nahm es in seine feuchte Hand. Die Uhr war schön, und er hätte sie gerne noch länger betrachtet. Aber er musste sie wieder in die Tasche zurückstecken.

      Er wischte sich den Schweiß von den Händen an der Hose ab. Dann ging er weiter, vorsichtig um sich blickend, ob ihn niemand verfolge. Kein Mensch, nur das schlechte Gewissen verfolgte ihn.

      Auf der Piazza Colonna traf er seine Freunde.

      „Hast du die Uhr?“, fragte ihn Mario leise. Angelo nickte.

      Sie gingen gegen die Piazza Venezia hinunter.

      „Kommt hier in diese Gasse!“, sagte Mario und zog seine Kameraden mit sich.

      „Gib mir die Uhr!“, forderte er Angelo auf.

      Der zog sie aus der Tasche und übergab ihm die Uhr mit der silbernen Kette, die daran hing.

      „Sie ist schön“, sagte er, und sein Blick streifte sie mit Stolz. Am liebsten hätte er sie behalten.

      „Was machst du damit?", fragte Lorenzo.

      „Kommt mit, ihr werdet es gleich sehen“, forderte Mario sie auf.

      Sie gingen wieder zurück über die Piazza Colonna und die Via del Tritone hinauf.

      „Bleibt hier und wartet!“, befahl Mario, nachdem sie eine Weile gegangen waren. „Ich kenne einen Jungen, der mir Füllfederhalter dafür gibt. Er hat sie mir versprochen, wenn ich ihm die Uhr dafür bringe“

      Mario ging.

      „Was ist das: Füllfederhalter?“, fragte Angelo.

      Lorenzo hob die Schultern. Er wusste es auch nicht. „Das ist etwas zum Verkaufen“, sagte er nach einer Weile, „etwas, wofür wir Geld bekommen.“

      Angelo war zufrieden. Mario würde schon wissen, was Füllfederhalter sind, ihm konnte man vertrauen. Er war nicht umsonst der Älteste und Größte. So viel wie Mario wusste gewiss niemand. Wie klug hatte er sich doch alles ausgedacht mit dieser Uhr.

      Als Mario zurückkam, trug er zehn Füllfederhalter bei sich. Drei gab er Lorenzo und drei Angelo. Den Rest behielt er.

      „Was sind das?“, fragte Angelo.

      „Füllfederhalter“, sagte Mario.

      „Aber was macht man damit?“, wollte Angelo wissen.

      „Verkaufen“, erwiderte Mario.

      „Siehst du, wie ich dir gesagt habe“, warf Lorenz dazwischen, stolz, dass er es gewusst hatte.

      „Aber ich meine, wenn wir sie verkauft haben, was machen dann die anderen damit?“, bohrte Angelo weiter.

      „Die schreiben Briefe“, erklärte Mario, „siehst du, so“, und er nahm einen Füllfederhalter und schrieb in großen Buchstaben ROMA auf eine Speisekarte, die vor einem Restaurant angehängt war.

      Angelo und Lorenzo staunten.

      „Zweitausendfünfhundert Lire kostet einer. Unter der Hälfte dürft ihr sie nicht verkaufen.“

      „Und für die Hälfte dürfen wir sie geben?“, fragte Lorenzo.

      „Ja“, sagte Mario, „aber nur wenn ihr nicht mehr dafür bekommt.“

      “Warum dürfen wir sie dann für die Hälfte geben, wenn sie zweitausendfünfhundert Lire kosten?“, fragte Angelo.

      „Dummkopf“, erklärte ihm Mario, „sie sind eben nur die Hälfte wert, aber man muss zuerst immer dass Doppelte verlangen. Das macht man so.“

      Angelo verstand. Wenn Mario sagte, dass man es so macht, dann stimmte es, und man musste es so machen.

      „Natürlich könnt ihr sie nur den Amerikanern verkaufen“, belehrte sie Mario, die amerikanischen Soldaten haben viel Geld und kaufen alles. Das weiß ich von dem Jungen, der mir die Füllfederhalter gegeben hat. Der hat einmal einem Amerikaner ein Abzeichen von einer