Angelo. Martin Renold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Renold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847618874
Скачать книгу
ihres Daseins zurückließen.

      Wer kann besser zählen?

      Wenn die letzten Sonnenstrahlen auf die Ruinen des Forums fielen und der Felsen, auf dem die drei Knaben hausten, einen dunklen Schatten über die grasbewachsenen Wege warf, schauten die drei von ihrem Horst herunter, und Angelo zählte die Postamente des Juliatempels, er zählte die Säulen, die großen Steine, die herumlagen, und wenn er nicht mehr weiter wusste, half ihm Mario, der sehr gescheit war. Er wusste immer alles und konnte einem fast alles sagen, was man nicht selber wusste.

      Angelo war auch schon am Abend zum Kolosseum hinuntergegangen. Mario hatte ihm erklärt, hier hätten im alten Rom die Gladiatoren, starke Männer, gegeneinander gekämpft. Staunend war Angelo davor gestanden und hatte in die Höhe geschaut, und dann hatte er begonnen zu zählen, die Bogen ringsherum, zuerst die untersten, dann die mittleren und zuletzt die obersten. Das war gar nicht so leicht; denn es waren nicht mehr alle Bogen ganz. Manche waren nur noch halb und waren vermauert, damit der Stein nicht mehr abbröckelte. Angelo wusste zuerst nicht, ob er diese mitzählen sollte. Viele Bogen waren überhaupt nicht mehr da. Er entschloss sich, nur die ganzen Bogen zu zählen. Dreimal musste er rings um das Kolosseum herumgehen. Es war ein langer Weg, und als er endlich fertig geworden war, da war es schon ganz dunkel geworden. Droben in der Grotte erzählte er den anderen, wie viele Bogen es seien, und dass er alle habe zählen können.

      Mario lachte. „Das ist keine Kunst. Ich kann noch viel weiter zählen, fast bis unendlich.“

      „Ich will auch bis unendlich zählen können“, rief Angelo. „Wie viel ist das?“

      „Das ist viel mehr als die Bogen des Kolosseums“, erklärte Mario, „unendlich ist hunderttausend Millionen mal mehr. So weit kann man gar nicht zählen.“

      „Doch, das kann man“, ereiferte sich Lorenzo, „ich kann bis tausend zählen, das ist fast so viel wie unendlich.“

      Mario lachte, und Angelo lachte auch; denn wenn Mario lachte, so hieß das, dass tausend noch lange nicht so viel wie hunderttausend Millionen Mal die Bogen des Kolosseums sind. Und wenn Mario dieser Meinung war, dann musste man es ihm glauben. Er war ja viel älter als Lorenzo. Darum lachte Angelo mit, aber Lorenzo wurde böse; denn er liebte es nicht, wenn man über ihn lachte. Lorenzo sagte nichts mehr. Immer, wenn er böse war, sagte er nichts.

      Die Zahlen ließen Angelo an diesem Abend keine Ruhe mehr. „Ich glaube, ich kann weiter als bis tausend zählen“, sagte er, „ich will es einmal versuchen“, und er begann, zuerst laut: „Uno, due, tre, quattro, cinque, sei …“, dann immer leiser, und zuletzt bewegten sich nur noch stumm seine Lippen, nur manchmal sagte er wieder: „tre cento“ und dann „quattro cento.“ Und dann holte er tief Atem und zählte wieder weiter. Er zählte so eifrig, dass er sicher nicht nur bis tausend, sondern weit darüber hinaus bis unendlich gekommen wäre, wenn ihn nicht vorher der Schlaf eingehüllt und von seinen Zahlen erlöst hätte.

      So lernte Angelo zählen, und Mario lehrte ihn rechnen; denn das musste man können, wenn man es zu etwas Rechtem bringen wollte.

      Angelo hat einen neuen Freund.

      Eines Tages, als Angelo durch die Stadt streifte, begegnete ihm ein junger, herrenloser Hund, der zutraulich auf ihn zukam. Als Angelo sich zu ihm niederbückte, strich der Hund ihm um die Beine. Angelo kraulte das Tier am Hals und sprach mit ihm.

      „Geh nun heim!“, sagte er, als ihn dünkte, er habe das Tier schon zu lange aufgehalten. Aber der kleine Vierbeiner schien ihn nicht zu verstehen.

      „Willst du heimgehen oder nicht?!“, sagte er mehr befehlend, aber das Tier schmiegte sich noch enger an ihn.

      Endlich lief Angelo davon, aber der Hund sprang ihm in wilden Sätzen nach. Angelo klatschte in die Hände und rief: „Geh, geh heim!“ Aber der Hund sprang an ihm hoch.

      Angelo lief wieder, er lief um alle Ecken, aber immer war das treue Tier hinter ihm her. Als Angelo zu seinen Kameraden in die Grotte zurückkehrte, kam auch der Hund mit ihm.

      „Das ist mein Hund“, sagte Angelo stolz, „er gehört mir, mir ganz allein.“

      „Wo hast du ihn her?“, fragte Mario.

      „Er ist mir nachgelaufen.“

      „So bring ihn wieder dorthin, wo du ihn her hast!“, befahl Mario. „Wir können nicht auch noch für einen Hund sorgen.“

      „Ich sorge schon selber für ihn“, versprach Angelo.

      „Lass ihn doch laufen!“, mischte sich nun auch Lorenzo ein. „Der frisst dir ja alles weg. Glaub nur nicht, dass ich ihm etwas von meinem Brot abgebe.“

      „Das brauchst du auch nicht zu tun“, erwiderte ihm Angelo und nahm den Hund schützend in seine Arme. „Ich sorge schon für dich, armer, kleiner Hund“, und er barg sein Gesicht in dem warmen Fell des Tieres und ließ seinen Tränen freien Lauf, dass das Fell ganz feucht wurde.

      „Heute habe ich nichts für dich zum Fressen. Aber morgen sollst du etwas Feines bekommen, vielleicht eine Wurst“, tröstete Angelo die kleine, hungrige Kreatur.

      „Willst du ihn denn jeden Tag mitnehmen“, fragte Mario, „oder willst du ihn in der Höhle einsperren?“

      „Ich lasse ihn hier in der Grotte“, sagte Angelo.

      „Also willst du, dass er uns verrät, wenn er den ganzen Tag lang bellt, oder wenn er in der Nacht heult?“, fragte Mario.

      „Er wird nicht bellen und wird uns nicht verraten“, sagte Angelo, „er wird für uns aufpassen und uns warnen, wenn jemand kommt. Und wenn wir nicht da sind und ihn jemand sieht, dann gehört er eben niemandem. Es gibt viele Hunde, die niemandem gehören.“

      „Vielleicht frisst er die Mäuse in der Höhle“, sagte Lorenzo, um Angelo ein wenig zu unterstützen.“

      „Hunde fangen keine Mäuse“, entgegnete Mario.

      „Aber vielleicht vertreibt er die Mäuse in der Höhle“, sagte Angelo, „damit wir ruhig schlafen können.“

      „Meinetwegen magst du ihn vorläufig behalten“, sagte nun Mario, „aber nur wenn er uns nicht verrät und wenn du allein für ihn sorgst. Wie soll er denn heißen?“

      Angelo wusste es nicht. Mario und Lorenzo lachten.

      „Pass auf, dass er dir nicht davonläuft in der Nacht!“, sagte Lorenzo.

      „Dafür sorge ich schon“, entgegnete Angelo mit gereizter Stimme und suchte in seiner Tasche. Dann zog er ein Stück Schnur hervor und band es dem Tier um den Hals.

      „Wenn du ihn nur nicht erwürgst“, spottete Lorenzo.

      Angelo sagte nichts mehr. Diesmal war er böse auf seine Freunde. Auch er sagte nie etwas, wenn er böse war.

      Das freie Ende der Schnur knüpfte er an einen Zweig des Strauches vor dem Eingang der Höhle. Ehe er in die Höhle kroch, drückte er seinen neuen Freund noch einmal liebevoll an sich.

      Der Hund war die ganze Nacht ruhig. Am nächsten Morgen, als Angelo aus der Höhle kroch, sah er, dass die Schnur am Strauch baumelte. Der Hund hatte sich losgemacht. Aber schon kam er dahergelaufen und sprang freudig an Angelo hoch.

      Bevor er an sein eigenes Frühstück dachte, ging Angelo eine Metzgerei suchen. Er hatte in seinem Eifer gar nicht mehr daran gedacht, dass man sich das Essen erbetteln oder stehlen musste. Erst als er mitten im Laden stand, dachte er, dass man wohl auch das Essen für einen Hund stehlen müsse. Aber nun war es zu spät. Es waren nicht viele Leute im Laden, und man hätte ihn leicht erwischen können.

      „Was willst du?“, fragte ihn plötzlich eine raue Stimme hinter dem Ladentisch hervor.

      Angelo fuhr erschreckt zusammen.

      „Ich, ich möchte, möchte