Die Liebe in deinen Spuren. Nancy Salchow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nancy Salchow
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738067651
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wir füreinander waren“, sagte er, „es hat nichts mit Jessica zu tun. Du und ich, wir sind vom ersten Tag an auf derselben Welle geschwommen. So was geht nicht einfach so vorbei, nur weil ...“

      „Nur weil einer von uns beiden eine eigene Familie gründet?“ Mein Tonfall war bissiger, als mir lieb war.

      „Es mag dich vielleicht überraschen, aber ja – genau so sehe ich das. Es ändert nichts!“

      „Da irrst du dich.“ Ich senkte den Blick, während ich gegen die aufkommenden Tränen ankämpfte. „Es ändert alles!“

      *

      Mein Haar war durch die Seeluft ungewohnt strohig geworden. Vor dem Schlafzimmerspiegel versuchte ich, es in einen halbwegs akzeptablen Zustand zu bringen, entschied mich jedoch nach mehreren gescheiterten Versuchen, es einfach zu einem Zopf zu binden. Piet sollte schließlich nicht den Eindruck bekommen, dass ich mich für ihn zurechtmachte.

      Noch immer beschäftigte mich die Frage, ob er meine Tränen bemerkt hatte. Ich war relativ schnell aus dem Wohnzimmer nach oben verschwunden mit dem Vorwand, mich nach meinem Spaziergang umzuziehen. Von der Treppe aus hatte ich ihm vorgeschlagen, sich in der Zwischenzeit einen Kaffee einzugießen. Eine Viertelstunde war das inzwischen her. Sicher ahnte er, dass ich mich sammeln musste, dass die Gefühle, die sein Auftauchen in mir geweckt hatte, Zeit brauchten, um wieder halbwegs abzuflachen. Trotzdem zog ich es vor, ihm zumindest mit dem Ansatz von Beherrschung zu begegnen.

      Während ich missmutig mein Spiegelbild betrachtete, keimte die Wut erneut in mir auf. Was hatte er sich dabei gedacht, einfach hier aufzutauchen und mich derart zu überrumpeln? Wenn er mich so gut kannte, wie er behauptete, musste er doch wissen, was eine Begegnung mit ihm für mich bedeutete.

      Andererseits beruhigte es mich, dass es ihm scheinbar doch nicht so klar war. Hatte ich mich vielleicht doch besser unter Kontrolle, als ich annahm?

      Unweigerlich kam mir das Wochenende in den Sinn, das Piet und ich vor über anderthalb Jahren zusammen in Dublin verbracht hatten. Üblicherweise gab er Interviews entweder mit den anderen Jungs oder als Kopf der Band hin und wieder auch allein. Anlässlich der eher kurzfristigen Promotiontermine in Großbritannien, die im Rahmen der Veröffentlichung einer englischsprachigen Single organisiert worden waren, hatte er stattdessen vorgeschlagen, dass ich ihn begleite und sogar bei einem der Interviews dabei sei. Im Mittelpunkt stand der Wunsch – so nannte er es zumindest –, der Welt „die Frau hinter den Worten“ vorzustellen.

      Nicht nur diese Tatsache war es, die mich beflügelte. Es war die Zeit, in der ich, von mädchenhaften Hoffnungen getragen, auf Wolke Sieben schwebte. Immerhin hatte er damals gerade mit Jessica Schluss gemacht und mir durch recht offensive Andeutungen zu verstehen gegeben, dass er mehr für mich empfand als bloße Freundschaft. Der Gipfel meiner Hoffnungen sollte das Wochenende in Dublin werden. Ich hatte mich regelrecht zügeln müssen, um ihm in meiner Euphorie nicht um den Hals zu fallen.

      Immer wieder schoben sich Bilder unserer Reise in mein Gedächtnis. Das Hotelzimmer mit dem schmalen Balkon, auf dem wir bis in die Nacht hinein unseren Gedanken nachgehangen hatten. Das Zimmer, das eigentlich seines war und doch innerhalb weniger Stunden zu unserem wurde, während meines bis zu unserer Abreise ungenutzt blieb. Und doch, trotz der körperlichen Nähe, die uns damals verbunden hatte, war es vor allem die seelische Nähe, die uns an jenem Wochenende für immer prägen sollte.

      Er hatte recht. Wir waren Seelenverwandte. Aber was war das heute noch wert? Nach allem, was vorgefallen war? Nach Jessicas Zustand, den sie ihm nur wenige Tage nach unserer Rückkehr offenbarte? Nach dem schmerzhaften Gespräch, das er damals mit mir führte? Nach all den Tränen, die mich seine Entscheidung kostete? Er hatte Verantwortung zeigen und zu seinen Fehlern stehen wollen, auch wenn es sicher anmaßend war, eine Schwangerschaft als Fehler zu bezeichnen. Trotzdem konnte ich den Drang nicht unterdrücken, sie als solches zu sehen. Einen Fehler. Zumindest, wenn man in Betracht zog, dass er Jessica nur wenige Tage zuvor verlassen hatte, weil seine Gefühle für mehr als eine kurze Liaison nicht ausreichten. Nicht selten hatte ich sogar der Vermutung nachgegeben, dass er sie meinetwegen verlassen hatte. Warum war es da so falsch anzunehmen, dass seine Gefühle für mich Grund genug gewesen wären, um Jessica beizustehen, ohne zu ihr zurückzukehren? Brachte Verantwortung für ein Kind denn zwangsläufig auch Verantwortung für die Mutter des Kindes mit sich?

      Ich unterdrückte die Erinnerungen. Sie schmerzten zu sehr, und umso mehr, wenn er in meiner Nähe war.

      Mühsam versuchte ich, das letzte bisschen Stolz in mir abzurufen. Es ging schließlich um weit mehr als nur Gefühle. Er war der Leadsänger einer der bekanntesten Bands Deutschlands. Und ich war das, was man die unsichtbare Kraft im Hintergrund nannte. Zusammen waren wir Teil einer Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen suchte. Noch dazu hatte ich der Zusammenarbeit mit der Band den Großteil meiner Karriere zu verdanken. Waren es Tatsachen wie diese nicht wert, die eigenen unprofessionellen Emotionen zu unterdrücken?

      „Du schaffst das“, murmelte ich meinem Spiegelbild zu. „Beherrschung ist das Schlüsselwort.“

      Und während ich versuchte, mein verzweifeltes Schlüsselwort zu verinnerlichen, verließ ich das Schlafzimmer mit erhobenem Haupt in Richtung Erdgeschoss.

      *

      „Ich will atmen

       Ich will schreien

       Will mich spüren ohne dich

       Lass mich atmen

       Lass mich schreien

       Auf dem Weg zum neuen Ich“

      Die Worte aus seinem Mund zu hören ließ mich für einen Moment vergessen, dass sie von mir stammten. Die Art, wie er sie wiedergab, kam einer Mischung aus Reden und Gesang gleich.

      „Gefällt mir“, sagte er. „Gefällt mir wirklich.“ Lächelnd ließ er sich gegen die Lehne des Küchenstuhls sinken, während er den Laptop zur Seite schob. „Du hast wieder mal die richtigen Worte gefunden.“

      Ich nickte. Die richtigen Worte. Wenn dies die richtigen waren, was waren dann die falschen?

      „Es geht schneller voran, als ich gedacht hätte“, antwortete ich. „Andererseits gönne ich mir zwischendurch auch viele Pausen, daher weiß ich nicht, ob die vier Wochen ausreichen werden. Vielleicht versuche ich auch, den Aufenthalt hier zu verlängern.“

      „Oder du schreibst in Hamburg weiter.“

      „Ich weiß nicht, ob das so gut wäre. Ich habe den Eindruck, dass mir der Abstand zur Stadt ganz guttut.“

      „Vielleicht bist du einfach nur froh, mal wieder in deiner alten Heimat zu sein.“

      „Vielleicht.“ Ich nahm einen Schluck von meinem mittlerweile lauwarmen Kaffee.

      In Wahrheit war es weit mehr als der Abstand zur Stadt oder die Sehnsucht nach der Heimat. Viel eher war es ein wesentlicher Schritt auf der Suche nach mir selbst. Der Suche nach einer Richtung für mein Leben, während sich meine Vergangenheit und die Ahnung einer Zukunft um einen Platz in der Gegenwart stritten.

      Sein Blick führte ins Leere, während er den Mund öffnete und wieder schloss. Ich kannte dieses Verhalten. Es bedeutete, dass er nach Worten suchte, die er nicht zu finden schien.

      Dankbar, endlich von der Gefühlsebene weggekommen zu sein, kam ich seinen erneuten Erklärungen zuvor. „Du solltest aufhören, darüber zu reden, Piet. Solange diese Sache immer und immer wieder zur Sprache kommt, werden wir nie die Chance haben, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.“

      „Ich habe doch gar nichts gesagt.“

      „Aber du wolltest es gerade.“

      „Nein, ich ...“ Er hielt kurz inne. „Du hast recht, ich wollte es. Aber nur, weil ich das Gefühl habe, dass noch lange nicht alles gesagt ist.“

      Ich stand auf und goss mir Kaffee nach. Mit dem Rücken zur Spüle blieb ich stehen. „Vielleicht machen Worte alles nur noch schlimmer.“