„Was auch immer er dazu zu sagen hat, ich will es nicht mehr hören.“
„Was soll das heißen?“
„Dass ich abgehauen bin. Einfach weg vom Flohmarkt, weg von den verfluchten Schuhen. Weg von ihm!“
Die Art, wie sie sich aufregte, ließ mich für einen Augenblick vergessen, wie unterschiedlich wir waren. In diesem Moment konnte ich ihren Schmerz nachempfinden, als wäre es mein eigener.
Wieder kam mir die fremde Männerstimme in den Sinn. Ich liebe Celine. Ich verstehe nicht, wie ich sie derart hintergehen konnte. Unter anderen Umständen hätte ich versucht, ihr die Vermutung auszureden, dass ihr Mann sie betrog. Instinktiv ahnte ich jedoch, dass sie recht hatte. Diese Begebenheit konnte kein Zufall sein, ganz gleich, wie sie sich auch erklären ließ.
„Wo ist Udo jetzt?“, fragte ich.
„Keine Ahnung“, antwortete sie. „Bei seinen Eltern, zu Hause, unterwegs. Was weiß ich? Zumindest ist er nicht hier, und das ist auch gut so – für ihn!“
„Weiß er denn, dass du zu mir wolltest?“
„Nein. Ich bin einfach ins Auto gesprungen und abgehauen. Dass ich zu dir fahre, habe ich selbst erst entschieden, nachdem ich fast eine Stunde ziellos umhergefahren war. Ich musste an das denken, was du heute Morgen gesagt hast. Außerdem wusste ich nicht, zu wem ich sonst soll.“
„Ist schon in Ordnung.“
„Ich verstehe nicht, wie er das tun konnte. Ich meine, wie lange hat er mich denn schon hintergangen? Ist sie die Erste, mit der er mich betrügt? Liebt er mich nicht mehr? Ist ihm unsere Ehe denn vollkommen egal?“
„Sie ist ihm ganz bestimmt nicht egal. Ich bin mir sicher, dass es ihm leid tut. Was auch immer er getan hat.“
„Was auch immer er getan hat“, wiederholte sie leise, während sie erneut mit dem Taschentuch über ihre feuchten Augen tupfte.
Eine Weile schwieg sie, dann ließ sie ihren Blick über den Rasen und das umliegende Grundstück wandern, bis er an der Parkfläche neben dem Haus haften blieb.
„Hast du Besuch?“, fragte sie, auf Piets Auto deutend.
„Keine Sorge, der wird uns nicht stören“, antwortete ich. „Das ist nur ein alter Freund.“
Kapitel 5
Nur ein alter Freund. War das wirklich die Bezeichnung, die Piets Position in meinem Leben am treffendsten umschrieb? Ich war dankbar, dass Celine sich nach meinen Überredungsversuchen dazu entschieden hatte, doch noch mal mit Udo zu reden, und nach einer Stunde endlich wieder ins Auto gestiegen war. Gleichzeitig bedeutete es aber auch, dass ich nach dem Aufhängen der Wäsche und dem Gespräch mit ihr keinen plausiblen Grund mehr hatte, Piet aus dem Weg zu gehen.
Wartete er noch immer im Haus auf mich? Oder spielte er bereits mit dem Gedanken, wieder nach Hamburg zurückzufahren?
Als ich mich endlich dazu durchrang, zurück ins Haus zu gehen, und die Tür ins Schloss fallen ließ, kam er augenblicklich aus dem Wohnzimmer ins Foyer.
„Ich dachte schon, du kommst gar nicht wieder.“
„Ich habe spontanen Besuch bekommen.“
„Das habe ich gemerkt, ich habe euch vom Fenster aus gesehen. Erst wollte ich Hallo sagen, aber dann ist mir aufgefallen, dass deine Freundin ziemlich aufgewühlt war. Da wollte ich besser nicht stören.“
„Sie ist nicht meine Freundin.“
Zweifelnd schaute er mich an. Meine Antwort schien nicht besonders glaubwürdig zu sein.
„Zumindest keine besonders gute“, ergänzte ich. „Sie hat Probleme mit ihrem Mann, und weil wir uns heute Vormittag zufällig getroffen haben, hat sie zuerst an mich gedacht, als sie jemanden zum Reden brauchte.“
„Verstehe.“ Er schob die Hände in die Taschen. „Kommt sie denn noch mal wieder?“
„Ich denke nicht.“
„Gut.“
Gut? Bedeutete das, dass er mit mir allein sein wollte? Dass er vorhatte, länger zu bleiben?
„Ich weiß, dass du große Erwartungen an das Album hast“, sagte ich bei dem Versuch, seine Absichten zu deuten. „Aber falls du gehofft hast, dass ich dir noch mehr Texte zeigen kann, muss ich dich leider enttäuschen. Der gestrige Text ist alles, was ich bisher geschrieben habe. Wenn du also nur bleiben möchtest, um Ergebnisse zu sehen ...“
„Tina.“ Mit der gewohnten Beharrlichkeit fiel er mir ins Wort. „Darum geht es doch gar nicht.“
„Nein?“
„Ich will dich nicht unter Druck setzen. Ich will einfach nur ein bisschen bei dir sein, ein paar Ideen sammeln, vielleicht den ein oder anderen Eindruck hinterlassen, den du als Anhaltspunkt für die nächsten Tracks verwenden kannst.“
„Musst du denn nicht zurück?“
„Ich habe eben bei Jessica angerufen. Sie weiß, dass ich hier bin. Alles in Ordnung.“
Alles in Ordnung? Das konnte nur bedeuten, dass sie keine Ahnung von dem Wochenende hatte, dass Piet und ich damals miteinander verbracht hatten. Hätte sie unter anderen Umständen bei der Erwähnung meines Namens nicht heftiger reagiert? Oder war sie sich ihrer Sache trotz allem einfach nur sehr sicher?
„Und was heißt das?“ Ich setzte mich auf die erste Stufe der Treppe, die ins Obergeschoss führte. „Hast du ihr gesagt, dass du länger bleibst?“
„Ich habe ihr gesagt, dass ich versuchen werde, mir für diese Nacht ein Zimmer zu nehmen, und morgen zurück nach Hamburg komme.“
„Und das hat sie dir geglaubt?“
„Warum sollte sie es nicht glauben?“ Er lächelte. „Immerhin ist es die Wahrheit.“
„Tatsächlich. Und wo soll dieses Zimmer sein?“
„Keine Ahnung. Darüber wollte ich nachdenken, sobald ich mit dir gesprochen habe.“
„Falls du denkst, dass du hier übernachten kannst ...“
„Ich denke gar nichts, Tina. Ich dachte nur, dass wir die Zeit nutzen sollten, um über einige Ideen zu sprechen. Ich meine, wenn ich schon mal hier bin.“
„Was ist mit den anderen Jungs?“
„Der Einzige, der sich halbwegs für die Lyrics interessiert, ist Zacharias. Und die anderen ... na ja, du kennst sie ja.“
„Ja, ich kenne sie.“ Unweigerlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. „Und ich kenne dich.“
Wortlos erwiderte er mein Lächeln, das alles und nichts bedeuten konnte.
Der Gedanke, dass er über Nacht bleiben würde, wenn auch nur in einem Hotel in der Nähe, weckte ein unerwartetes Gefühl der Vorfreude in mir. Auch wenn ich nicht bereit war, es mir einzugestehen – geschweige denn ihm gegenüber –, erfüllte es mich mit einem geheimen Glücksgefühl, während die Versuche, seiner Nähe auszuweichen, langsam an Priorität verloren. Was auch immer sein Argument war, über Nacht zu bleiben – immerhin schien es wichtig genug zu sein, um einem Abend mit der Mutter seines Kindes vorgezogen zu werden.
Sein Kind. Der kleine Fabian. Fast ein Jahr alt war er inzwischen. Er hatte mir ein Foto in seiner Brieftasche gezeigt, als wir uns zur Absprache für das Album im Café getroffen hatten.
Er sah ihm ähnlich. Sehr viel ähnlicher als seiner Mutter.
„Und der Kleine?“, fragte ich. „Vermisst er seinen Vater nicht?“
Da war sie wieder, meine Vernunft, die es immer wieder schaffte, jede