Blutlegende. Sofi Mart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofi Mart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847641858
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dunkelhaarigen Mann, erkennen. Der komplett in schwarz gekleidete Hüne sollte mir eigentlich einen Schrecken einjagen, doch genau das Gegenteil passierte. Er war mir seltsam vertraut und dann stand er plötzlich dicht vor mir.

      Mit seiner rechten Hand streichelte er mir über die Wange.

      Bei dieser Berührung fuhr ich leicht zusammen, doch anmerken ließ ich mir meine Unsicherheit nicht. Er hob mein Kinn und meine Augen fielen von allein zu. Gleich darauf spürte ich seine harten Lippen auf meinem weichen Mund. Er fühlte sich so stark und gut an, dass ich nichts weiter denken konnte als: Mehr!

      Meine Knie zitterten und meine Handflächen schwitzten. Als er von mir abließ, öffnete ich die Augen. Zu gern hätte ich gesehen, wer mir da gerade den Verstand rauben wollte, aber er war fort.

       Typisch, ein Klassiker!

      Ich wünschte mir, noch einmal von vorn zu träumen, nur diesmal noch viel schöner. »Zu schade«, seufzte ich, als ich aufwachte und mich in meinem zerwühlten Bett rekelte.

      Noch etwas benommen taumelte ich zum Kleiderständer. Ich nahm meinen Morgenmantel und freute mich auf den Kaffee in der Küche. Cloé musste schon wach sein, dieser verlockende Duft nach frisch aufgebrühten Kaffeebohnen war verräterisch.

      Ein milder Luftzug wehte mir um die Nase, als ich in den Spiegel neben meinem Kleiderschrank schaute.

       Nathan hat recht: Das Kleid steht mir wirklich.

      Ich lächelte verlegen bei diesem Gedanken, bevor meine Miene im nächsten Augenblick einfror. Mein Spiegelbild betrachtend, stotterte ich ungläubig: »Kleid? Hä? Ich hatte doch...! Wo ist mein Pyjama?«

      Ich war mir so sicher, dass ich mich gestern Abend noch umgezogen hatte. Die pure Verzweiflung packte mich: »Das ist doch bekloppt. Total verrückt.«

      Wieder erwischte mich ein Luftzug und wehte mir eine Haarsträhne ins Gesicht.

      »Und die Fenster habe ich gestern Nacht extra fest verriegelt. Ganz, ganz sicher!«

       Das war´s Jules, zweiundzwanzig und schon im Kopf kaputt.

      Um Fassung ringend zog ich mir schnell meinen grünen Jogginganzug über, der wider Erwarten noch über der Stuhllehne hing. Ich brauchte jetzt dringend kaltes Wasser im Gesicht und dann einen starken heißen Kaffee, um runterzukommen. Wütend über so viel Chaos in meinem Kopf ging ich ins Bad.

      Cloé rief aus der Küche: »Auch einen Kaffee, Jules?«

      »Ja, unbedingt.«

      »Beeil dich, du hast Besuch.«

      »Was? Wer denn?«

      »Es ist nur Nathan, der dir deine Schlüssel wiederbringen will.«

      »Oh.« Mehr brachte ich nicht heraus.

      Cloé hatte die offensichtliche Lüge vom Vorabend mitgeschnitten und mir fiel ad hoc nicht ein, welche Erklärung ich ihr jetzt präsentieren konnte. Ich entschloss mich erst einmal, nicht weiter auf die verfahrene Situation einzugehen. Was hier Seltsames vor sich ging, begriff ich selbst nicht. Ich würde mir noch etwas Besseres für sie einfallen lassen. Nach unserer ersten Annäherung wollte ich Cloé nicht enttäuschen.

      Nathan strahlte mich an. Einen Deut irritiert nickte ich im begrüßend zu, da ich mit einer weitaus negativeren Reaktion auf meine Rücksichtslosigkeit von gestern Nacht, rechnete. Ich erklärte es mir schnell mit seinem großherzigen Wesen und bemerkte, dass auch meine Mitbewohnerin mich bei ihm nicht verraten haben konnte. Verblüfft, wie loyal sie sich mir gegenüber verhielt, musterte ich sie kritisch. Cloé jedoch lächelte zurück und hielt mir meine rote Lieblingstasse mit den weißen Punkten entgegen.

      »Hier, bitte«, sagte sie liebenswürdig. Ich wollte gerade wieder Hoffnung schöpfen, mich doch in ihrer Auffassungsgabe getäuscht zu haben. Als sie mir im nächsten Augenblick deutlich zu verstehen gab, dass ich mit meiner ersten Annahme völlig richtig lag.

      »Bis später, Jules, und sei nicht so unachtsam mit deinen Sachen. Verschlossene Türen lassen sich ohne Schlüssel nur schlecht öffnen«, verabschiedete sie sich in ihr Zimmer. Mein ungläubiger Blick verfolgte sie bis in den Flur.

      »Ich bin so froh, dass du gestern gut nach Hause gekommen bist. Wir haben dich gesucht, aber du warst spurlos verschwunden.«

      »Hast du gestern noch angerufen?«

      »Ja, ich wollte Cloé fragen, ob sie etwas von dir gehört hat. So gegen ein Uhr bin ich hier vorbeigefahren. In deiner Küche brannte Licht. Da wollte ich nicht mehr stören und dachte mir, ich hol dich jetzt ab und nehme dich mit zum Campus.«

      »Die Uni? Oh nein. Wie spät ist es?«

      »Du hast genau zehn Minuten«, rief mir Nathan nach, als ich bereits ins Bad hastete.

      Es folgte ein ganz normaler Campustag, außer dass überall Gerüchte über den Tod von Gracy kursierten. Die einen tuschelten Herzfehler, die anderen vermuteten Mord oder Totschlag.

      Für mich passte die Herzfehlertheorie gar nicht, dafür sah ihre Haltung viel zu unnatürlich aus. Wer fiel schon genau hinter einem Müllcontainer um, sortierte vorher noch schön-schaurig seine Schuhe um sich herum und blieb dann im Anschluss mit diesem erschrockenen Gesicht und den nach oben verdrehten Armen liegen? Sie hätte sich doch wenigstens an die Brust gefasst oder sich den linken Arm festgehalten. Nein, natürliche Todesursache hatte ich nach dem grausamen Anblick sofort ausgeschlossen.

       Es war Mord!

      Ob der mysteriöse Kerl etwas damit zu tun hatte? Ich wollte die Fantasie nicht gleich mit mir durchgehen lassen, deshalb konzentrierte ich mich lieber wieder auf meinen Kaffee, den ich in der Cafeteria trank.

      Einige Tage vergingen, ohne dass etwas Aufregendes passierte, bis mich Prof. Stonehaven nach einer Vorlesung spontan zu sich nach Hause einlud: »Miss Pickering, ich würde mich sehr freuen, wenn sie uns heute Abend die Ehre geben würden. Meine Frau kocht und wäre entzückt, sie endlich persönlich kennen lernen zu dürfen.« Etwas eigen war mein Mentor schon, was er mit dieser Ansprache mal wieder deutlich unterstrich.

      »Ja, sehr gern.«

      »Ich habe eine kleine Überraschung für Sie.«

      Mit dieser Information konnte er wohl nur die Bewertung meiner Semesterarbeit meinen. Ich lächelte zurück und nahm den kleinen Zettel mit seiner Adresse an mich.

      »Ich erwarte Sie pünktlich um acht Uhr. Und seien sie bitte sehr hungrig, meiner Frau zuliebe.« Er wirkte amüsiert, als fiele ihm in diesem Zusammenhang eine entsprechende Situation wieder ein.

       Es muss die Zusage sein. Wäre es sonst eine Überraschung? Aber er hat ja nicht gesagt, dass es eine positive Überraschung ist. Ist eine Überraschung nicht meistens positiv? Vielleicht hat er mich nur eingeladen, um mir die Absage schonend beizubringen? Hör auf damit!

      Ich war nervös und die Gedanken gingen mir durch, als ich den Weg zu den Stonehavens zu Fuß zurücklegte. Bisher erschien es unnötig, meinen Mentor daheim aufzusuchen, schließlich hatte er sein eigenes Büro auf dem Campus. Umso erstaunter war ich über diese Einladung. Hinzu kam, dass er nur ein paar Straßen von mir entfernt wohnte. Punkt acht Uhr stand ich vor der alten Villa, welche Professor Stonehaven sein Heim nannte.

      Das dunkelrote Haus mit dem schön angelegten Vorgarten stammte aus der Gründerzeit und befand sich bereits seit Generationen in Familienbesitz. Das unscheinbare und düstere Bauwerk, konkurrierte mit dem kunterbunten Garten. Ich klingelte an der Ein-gangstür, die von zwei weißen Säulen und einem kleinen Vordach umrahmt wurde.

      Die Tür wurde gleich darauf geöffnet und eine elegante Dame in Abendrobe reichte mir die Hand. Wie automatisch griff ich danach und knickste bei der Begrüßung sogar. »Guten Abend, Mrs. Stonehaven, und vielen Dank für die Einladung.«

      Dann schaute ich an mir herunter und dachte: Jeans, weißes T-Shirt. Gott sei Dank: der dunkelblaue Blazer.

      »Nein.