Blutlegende. Sofi Mart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofi Mart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847641858
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die hässlichen Klauen und ich hoffte inständig, dass das kein Dauerzustand werden würde. Traum hin oder her, alles fühlte sich hier so real an.

      Er stieß seine Hände in die Eiswand und kletterte elegant zwei Meter nach oben, dann stoppte er. Ich ahmte ihm auf meiner Seite in gleiche Höhe nach und dann gab ich Gas. Diesmal sollte er mir folgen.

      Meine Aktion war waghalsig und atemraubend. Ich war vom Tempo wie berauscht. Die Mauer ragte schier unendlich bis in die Wolken. Ich blickte mich um und griff unachtsam daneben.

      Mein freier Fall wurde plötzlich von seiner Stimme begleitet: »Luftkissen!«

      Ich schloss die Augen und wartete auf den harten Aufprall, doch ich landete weich und unbeschadet.

      Mein Herz sprang fast aus meiner Brust. Ich wagte nicht die Augen zu öffnen. Meine Hände fühlten den flatternden Stoff unter mir. Einen Sekundenbruchteil später spürte ich, wie er mich in seine Arme nahm und an sich presste.

       Bitte, bitte lieber Gott - lass diesen Traum von Mann noch da sein, wenn ich meine Augen öffne.

      Die Geschichte fand diesmal kein abruptes Ende. Sonst wachte ich in solchen Moment auf.

      Ich blinzelte mit den Lidern und langsam wurde sein Gesicht deutlich erkennbar. »Du?«, schrie ich bis ins Mark erschrocken, als mich der mysteriöse Kerl lächelnd zuzwinkerte. Mit allem hatte ich gerechnet, mir gewünscht, endlich zu wissen, wer er war. Und dann so eine Enttäuschung.

      »Das darf nicht sein«, kreischte ich, doch diesmal war ich bereits wach und wieder zurück in meinem Zimmer.

       Wow! Ich hab seinen Geruch noch in der Nase.

      Adrenalin schoss durch meine Adern, und ich war sofort von Null auf Hundert. Getrieben von Koffeinlust öffnete ich die Zimmertür und fragte laut den Flur hinunter: »Cloé, willst du einen Kaffee mit mir trinken?«

      »Danke, hab schon einen. Komm, ich will dir jemanden vorstellen.«

      Ich stutzte. Der so vertraute Duft kam nicht aus meinem Traum. Er war hier! In meiner Wohnung! Vermutlich hatte ich deshalb meinen Traummann so deutlich in ihm erkannt. Der Geruch wurde immer intensiver, je näher ich der Küche kam. Da saß er! Ich konnte es nicht glauben. Der Typ wirkte entspannt, hockte an unserem Küchentisch mit einer Kaffeetasse in der Hand.

      Irritiert starrte ich ihn an. Er stellte die Tasse auf dem Tisch ab, stand auf und kam mir entgegen.

      »Mein Name ist Readwulf, ich glaube wir sind uns bereits zweimal begegnet.«

      Cloé nickte und schmunzelte ihn an: »Das ist Juliette Pickering, meine Mitbewohnerin.«

      Ich wollte ihm aus reiner Höflichkeit die Hand reichen, da ergriff er sie und verblüffte mich mit einem Handkuss, der an eine Verbeugung gekoppelt war.

       Wie schnulzig, altmodisch. Was für ein Schleimer.

      Ich zog meine Hand sofort wieder weg. »Woher kennt ihr euch?«

      »Cloé ist meine Cousine.«

      Nie im Leben! Die Wahrheit würde mir jetzt bestimmt keiner von beiden sagen, daher entschied ich, mir Cloé später zu schnappen und sie auszuquetschen, bis ich eine vernünftigere Erklärung bekäme. Ich kochte innerlich, denn die Situation stank bis zum Himmel. Das konnte kein Zufall sein.

      »Na, dann will ich mal nicht weiter stören.« Ich verließ auf dem Absatz wendend die Küche und stürmte wütend zurück in mein Zimmer. Ich bekam es gerade noch hin, die Tür nicht komplett zufliegen zu lassen, und warf mich vorwärts wieder aufs Bett. Den Kopf in ein Kissen gepresst schimpfte ich los: »Was bildet der sich ein? Wie dreist muss man sein, auch noch in meine Wohnung zu kommen? So ein arroganter Schnösel. Zum Kotzen diese aufgesetzte Art!«

      Ich war wahnsinnig geladen, und diese belämmerte Kuh Cloé macht da auch noch mit. Bestimmt hatten die Zwei sich schon ausführlich über mich lustig gemacht. War das jetzt Verfolgungswahn?

       Wie soll man da nicht schizophren werden? Verdammt!

      Ich verstand erneut gar nichts mehr und im selben Moment schoss mir wieder einmal Wasser in die Augen, diesmal jedoch aus purer Wut. Am liebsten hätte ich losgeschrien, auch vor lauter Ärger über mich selbst. Ich hatte es nicht besser verdient, wie konnte ich nur so naiv sein. Ich kannte sie erst ein paar Wochen und weiß eigentlich nichts von ihr.

       Ich bin so blöd, dass es nervt.

      Bisher hatte ich nicht mal mit Nathan oder Tess über meine Vergangenheit gesprochen. Die beiden kannte ich ebenfalls erst ein dreiviertel Jahr. Sie standen mir inzwischen viel näher und doch vergaß ich meine Vorsicht bei ihnen nie.

      Ausgerechnet Cloé! Aber das war gar nicht der Auslöser für meine extreme Wut. Wohl eher die Tatsache, dass ich ihr fast alles über mich und meine unnatürliche Gabe, oder besser, meinen Fluch anvertraut hätte. Sie brachte mich fast so weit, wirklich ALLES auszuplaudern und jetzt schoss mir nur noch durch den Kopf: Vorsicht ist besser, als Nachsicht. Leider bestätigte mich diese traurige Tatsache wieder mal darin, allein auf dieser Welt zu sein.

      Ich zog mir schnell die alten Joggingsachen über und beeilte mich, aus der auf einmal viel zu engen Wohnung herauszukommen.

      »Wohin willst du jetzt?«, rief Cloé.

      »In den Wald Laufen«, zischte ich in die Küche.

      Ich rannte einen Marathon in weniger als einer Dreiviertelstunde, bevor ich wieder klar denken konnte. So viel Wut hatte ich schon lange nicht mehr und schon gar nicht auf mich selbst. Und jetzt, mit etwas Abstand betrachtet, fand ich meinen übertriebenen Abgang peinlich.

       ***

       Sein Auto stoppte abrupt und er zog sein Handy aus der Jackentasche. Er wählte eilig eine Nummer und am anderen Ende der Leitung meldete sich nach zweimaligem Klingeln eine helle Frauenstimme: »Winter. Hallo?«

       »Cloé wir müssen uns treffen. Unbedingt!«

       »Bist du in London? Was ist passiert?«

       »Sie kann...Sie hat...Wie soll ich dir das jetzt so schnell erklären? Sie ist wie ich!«

       »Wer?«

       »Juliette Pickering!«

       »Es war einen Moment still in der Leitung, bevor sie antwortete: »Bei mir. Morgen Nachmittag gegen drei Uhr ist sie an der Uni, aber das weißt du sicherlich bereits, oder?«

       Ohne eine Antwort abzuwarten, wurde das Gespräch von ihr abgebrochen.

       In dieser Nacht lag er stundenlang wach und versuchte, das für ihn Unfassbare richtig einzuordnen. Darius hatte ihn aufgezogen und ihm erklärt, er sei ein Findelkind, das eines Tages ohne jede Nachricht auf den Stufen vor dem Kloster lag. Niemand wusste, wer ihn dort abgelegt hatte, und folglich konnte sich auch keiner der Ordensbrüder erklären, womit seine Andersartigkeit zu erklären war. Seine Fähigkeiten hielt man im Kloster für eine Gottesgabe. Die Brüder sahen in ihm einen neuen Messias, dessen Geheimnis man für alle Zeiten bewahren müsste. Wenn er also der Auserwählte war, wer war dann sie?

       Am nächsten Tag schellte er wie vereinbart um drei Uhr und Cloé öffnete die Wohnungstür. Readwulf kam eilig die Treppe hinauf und umarmte sie.

       »Es ist schön, dich zu sehen, auch wenn die Umstände weniger erfreulich sind.«

       »Du musst mir alles haarklein erzählen«

       Er nickte bestätigend und setzte sich an den Küchentisch. Er schilderte seine Erlebnisse der letzten Nacht. Dann fragte er: »Wenn es noch jemanden wie mich gibt und dein Onkel mich genau auf diese Person angesetzt hat, weiß er dann auch von ihren Fähigkeiten?«

       »Wenn er es weiß, erklärt das auch