Blutlegende. Sofi Mart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sofi Mart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847641858
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verzweifeltes Klingeln brachte nichts!

      »Cloé, du taube Nuss«, fluchte ich laut.

       Eine Autotür. Schritte. Tapsen. Ein kläffender Hund...

      Die Geräusche konnte ich in meiner nun aufsteigenden Panik nicht mehr unterscheiden. Ich rannte in den Garten unserer kleinen Vorstadtvilla. Zum Glück ließ ich meist mein Schlafzimmerfenster im ersten Stock des Hauses einen Spalt offen stehen.

      Ich zog den Rock meines Kleides ein Stück rauf und die hochhackigen Schuhe aus. Mit großem Schwung sprang ich an der Hauswand empor und landete nach dem dritten Versuch mit einem selbst für mich gewaltigen Satz hockend auf dem Fensterbrett. Die Scheibe schob ich ein Stück auf und zwängte mich durch den etwa vierzig Zentimeter hohen Spalt. Ich schloss das Fenster schloss hinter mir und verriegelte hastig das zweite rechts daneben. Noch bevor ich Luft holen konnte, um nach draußen zu schauen, erschrak ich fast zu Tode.

       Drrring!

      Das Telefon im Flur durchschnitt die Stille.

      Gott, was war nur mit mir los, so schreckhaft kannte ich mich doch sonst nicht. Ich öffnete die Zimmertür und betrat den düsteren Flur, ohne das Licht anzuknipsen. Es war überflüssig, denn ich konnte nachts fast deutlicher sehen als am hellsten Tag des Jahres. Auch so eine Eigenheit, deren Hintergrund mir fehlte. Das Telefon gab keine Ruhe.

       Dring…Drrring!

      Plötzlich wurde das Licht eingeschaltet. Ich schrie und nur Sekundenbruchteile später auch Cloé, die mit ihrer Augenbinde um den Kopf im Pyjama hinter mir stand.

      »Verdammt Cloé, ich dachte du bist nicht zu Hause!«

      »Doch, wieso sollte ich nicht?«

      »Ich habe vorhin Sturm geklingelt, als ich…« Ich unterbrach mich selbst und formulierte lieber eine realistischere Antwort: »…als ich dachte, ich hätte den Schlüssel verloren.«

      »Ich hab dich nicht gehört!« Cloé deutete auf die blauen Ohrstöpsel in ihrer Hand. In diesem Moment war mir alles zu viel und ich winkte nur noch ab. Als meine Anspannung im nächsten Augenblick nachließ, schossen mir Tränen in die Augen.

      »Hey, komm her!« Cloé breitete ihre Arme aus. Ihre Stimme klang so sehr nach Geborgenheit und Schutz, dass ich nicht anders konnte, als dieser netten Aufforderung nachzukommen. So lang war ich nicht mehr getröstet worden, wenn es mir nicht gut ging oder ich vor Einsamkeit nicht wusste, wohin mit mir. Ich vergaß alle Vorsicht und kassierte sofort die Quittung: »Wow, du bist so warm, hast du Fieber?«, fragte sie besorgt und vergewisserte sich dabei nochmals an meiner Stirn.

      »Fieber? Nein. Ich bin nur den ganzen Weg vom Club nach Hause gerannt«, erwiderte ich und brachte mit einem Schritt zurück Abstand zwischen uns. Sie hakte nach: »Bist du sicher?«

      »Klar bin ich das! Was soll die Frage?«, reagierte ich abweisend, gestützt durch eine in Falten gelegte Stirn und einen vernichtenden Blick. Schließlich war Angriff die beste Verteidigung. Dem Gegenüber das Gefühl zu geben, er spinnt sich etwas zusammen, hatte mir schon aus einigen brenzligen Situationen geholfen. Bei Cloé jedoch war ich mir unsicher. Sie wirkte weder überzeugt von meiner Ausrede, noch beeindruckte sie meine unfreundliche Haltung. Im Gegenteil, sie ignorierte meine unsanfte Aussage und fragte: »Willst du einen Tee? Soll ich dir eine heiße Milch mit Honig machen?« Bei dieser Frage musterte sie mich genau.

      »Milch mit Honig bitte, aber nur wenn du auch eine mittrinkst.«

      Cloé ging in die Küche und machte sich ans Werk. Ich folgte ihr zögerlich, setze mich aber dann rasch an den Küchentisch.

      Meine Mitbewohnerin mit ihren höchstens ein Meter sechzig sah aus wie eine kleine Holländerin. Ihre hellblonden Haare hingen in zwei Zöpfen über den Schultern. Trotz ihrer schnellen Handgriffe hatte ich das Gefühl, eine kleine Ewigkeit allein am Tisch zu warten. Die Situation war für mich eigenartig. Sie jedoch verhielt sich, als sei nichts gewesen. Als sie sich endlich mit den zwei großen Milchtassen zu mir setzte, schaute sie mich fast schon bedauernd an.

      Cloé erzählte, wie sie sich in London bei `Fabrizio RAINONE´ um eine Praktikumsstelle beworben hatte, um als Modefotografin Karriere zu machen. Sie sei sehr froh, das Zimmer bei mir bekommen zu haben und die Wohnung gefalle ihr gut. Ab und an nippte sie an ihrer noch dampfenden Tasse. Ich nicht. Milch trank ich nur lauwarm.

      Sie verhielt sich so herzlich, dass ich fast schon ein schlechtes Gewissen bekam. Cloé wirkte nicht mehr so unnahbar und arrogant. Es schien, als hätte ich sie seit ihrem Einzug völlig verkannt.

      Trotz ihrer Plauderei achtete sie darauf, nicht aufdringlich zu sein. Dazu lieb gemeinte Blicke und zwischendurch die Frage, ob mit mir wieder alles in Ordnung wäre.

      Feinfühligkeit - eine Charaktereigenschaft die mir sehr zusagte. So kam schnell eine gewisse Vertrautheit zwischen uns auf. Wir saßen bereits einige Zeit in der Küche und es war mir, als redete sie zum ersten Mal mehr als nur drei Sätze mit mir.

      Dann erzählte sie von ihrem Freund Luke, wie sehr sie ihn vermisste und dass die schreckliche Sehnsucht nach ihrem fünfjährigen Hund Jack, einem Jack Russel Terrier, kaum auszuhalten war.

      Ob mich die ablenkende, sentimentale Stimmung animierte, weiß ich heute nicht mehr so genau. Nur noch, dass auch ich Cloé ein bisschen aus meinem Leben erzählte.

      Ich berichtete ihr von Harry und Marie Ann, meinen Adoptiveltern, wie wunderschön wir auf den Falklandinseln gewohnt hatten. Meine Heimat, bis Mom so unerwartet an einem Herzinfarkt starb. Ich konnte mich nicht mal von ihr verabschieden, weil ich damals mit dem Abschlussjahrgang Italien erkundete. Harry stand Tag für Tag über ein halbes Jahr lang auf ihrem Lieblingshügel hinter unserem Haus und starrte trauernd auf die Brandung der kleinen Bucht.

      Er sprach von da an kein Wort mehr mit mir, als wäre ich schuld an ihrem Tod. Wir hatten nie ein inniges Verhältnis zueinander, aber seit Mom nicht mehr lebte…In diesem Moment wurden meine Augen wieder wässrig. Seit damals - inzwischen mochten fast vier Jahre vergangen sein - sprach ich zum ersten Mal mit jemandem über meine tote Mutter und den Schmerz, der sich tief in mir verankert hatte.

      »Cloé, ich geh jetzt besser schlafen«, unterbrach ich abrupt unsere traute Zweisamkeit. »Sei mir nicht böse, ich bin total erledigt«, fügte ich noch etwas heiser hinzu.

      »Oh, du hast recht, es ist schon spät! Sorry, ich wollte nichts aufwühlen.«

      »Hast du nicht! Schlaf gut und Danke«, erklärte ich unbeholfen und verschwand durch den Flur in mein Zimmer.

       ***

      Kapitel 2

      

       Glück im Unglück

      In dieser Nacht träumte ich wirres Zeug. Von einem dunkelgrünen Tannenwald in leichten Nebel eingehüllt. Ich sah mich selbst! Schnell rannte und sprang ich mühelos durchs Gelände.

       Wie ein Raubtier auf Beutezug.

      Mein Unterbewusstsein arbeitete auf Hochtouren. Fast schon konnte ich den Duft des Harzes riechen, so realistisch und unfassbar berauschend.

      Aber ich war nicht allein in dieser wilden Herrlichkeit. Eine Gestalt, deren Umriss ich nur erahnte, erregte meine Aufmerksamkeit. Sie stand reglos auf einer sonnendurchfluteten Lichtung, umgeben von einer saftig grünen Wiese. Das Vogelgezwitscher untermalte diesen schönen Anblick und gab mir ein wohliges Gefühl. Die Stimmung hielt an, auch wenn ich mich im Traum mal wieder nicht von der Stelle bewegen konnte. Ich dachte sofort an meine Mom und wie schön es wäre, wenn ich sie hier wieder sehen könnte. Ihre Stimme noch einmal hören und eine letzte Umarmung spüren. Besser ein geträumter Abschied, als gar keiner!

      Ich wollte wissen, wer da stand und streckte den linken Arm nach der Person aus, mehr blieb mir so angewurzelt nicht übrig. Der Schatten bewegte