Das Dossier. Wolfgang Voosen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolfgang Voosen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753195391
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Uschi haben ein­tauchen lassen. Dabei ist dann eben eine ganze Flasche Masi Bardolino draufgegangen und in meinem Alter bleibt das nicht so einfach in den Klamotten hängen“, meinte Heinz mit einem schelmischen Grinsen und überspielte damit seine traurigen Gedanken an den Krebstod seiner im Sommer vorletzten Jahres verstorbenen Frau.

      „Was meine Pensionierung zum Jahresende betrifft“, griff er dann die Frage von Ve-rena wieder auf, „kann ich nur sagen, ich freue mich riesig auf den Ruhestand, wenn ich daran denke, wie viele Reisen ich noch vor mir habe.“

      „Dann wird das wohl eher ein Unruhestand. Spann lieber erst einmal aus, wenn´s soweit ist“, erwiderte Verena.

      „Aber du bist ja sicherlich nicht gekommen, um mit mir über meine Pensionierung zu re­den, oder?“, brachte Heinz dann, während er zu essen begann, das Gespräch wieder auf den Punkt.

      „Richtig, ich hab dir ja schon vorhin gesagt, dass ich mich noch mal habe beurlauben lassen, um mit mir ins Reine zu kommen. Um es klar zu sagen, ich will die Sache mit Paul zu Ende bringen, das heißt, ich möchte dein Angebot annehmen und mit deiner Unterstützung weiter recherchieren. Dein Angebot gilt doch nach wie vor, oder?“

      „Das ist wohl hoffentlich nur eine rhetorische Frage, denn es geht mir wie dir. Auch ich bin von Pauls Unschuld überzeugt. Wenn wir das beweisen können, wird sich sein an­geblicher Suizid als ein Mordkomplott herausstellen. Das eine hängt ganz eng mit dem anderen zusammen. Darauf verwette ich meinen Hintern!“

      Verena musste lächeln, weil dieser Ausdruck so gar nicht zu Pülls sonstigem Vokabular passte. Aber sie wusste, dass er damit ihr gegenüber nur deutlich machen wollte, wie fest er an ihre These glaubte und wie sehr sie sich würde auf ihn verlassen können.

      „Wie sollen wir weiter vorgehen?“, fragte Verena und war sich ganz sicher, dass er sich schon vor ihrem Treffen einen Plan zurechtgelegt hatte. „Hast du dir schon ein paar Ge­danken gemacht?“

      „Ja. Alles, was wir bereits untersucht haben, auch das, was wir als irrelevant aussortiert haben, trage ich in den nächsten Tagen noch einmal zusammen und dann treffen wir uns. Sagen wir am kommenden Samstag bei dir? Morgens gegen zehn?“

      „Das passt mir gut. Ich habe am Samstag nichts vor, bin aber Freitagabend eingeladen und das wird vielleicht ein bisschen später“, antwortete Verena und ergänzte dann, als sie Pülls fragenden Blick sah, „nein, nein, kein neuer Mann. Ich gehe mit Kirsten in die Oper. 'Der fliegende Holländer', die richtige Musik zum Wachrütteln.“

      „Bei mir wird´s sicherlich auch spät, denn die Abende im Schachclub ziehen sich ja im­mer etwas in die Länge und ganz trocken sind die meistens auch nicht mehr. Früher als der Ehrgeiz noch groß war, es quasi um jeden Platz in der internen Rangliste ging, da haben wir fast alle nur Wasser getrunken, doch die Zeiten haben sich Gott sei Dank ge­ändert. Keine harten Sachen, aber das eine oder andere Kölsch geht da schon über den Tisch.“

      Schweigend aßen sie zu Ende. Beider Gedanken kreisten um den viel zu frühen Tod. Verena dachte an Paul, Heinz an seine Frau. Er brach als erster das Schweigen.

      „Möchtest du noch einen Kaffee?“

      „Nein, danke, ich bin gleich noch mit Kirsten im 'Eigel' verabredet.“

      „Ist wohl auch besser so, ich habe heute Nachmittag eine wichtige Besprechung und will mich darauf vorbereiten.“ Er begleitete sie noch nach draußen. „Mach´s gut. Viel Spaß in der Oper. Also bis Samstag bei dir“, verabschiedete er sich von Verena und fügte noch lachend hinzu: „Vergiss nicht, Wagner von mir zu grüßen. Er soll mal ein bisschen leiser sein als sonst.“

      „Ciao, bis Samstag, du Opern-Muffel! Nochmals vielen Dank für deine Hilfe.“

      4.

      Verena stellte ihren Wagen wie üblich im Parkhaus an der Oper ab. Da sie noch reich­lich Zeit hatte, nahm sie Kurs auf die Schildergasse, um sich in der Mayer´schen Buch­handlung am Neumarkt noch ein wenig umzusehen. Eigentlich hielt sie sich viel lieber in kleinen Buchläden auf als in solchen durchgestylten Fabriken mit etlichen Kassen ne­beneinander. Sie kam sich immer vor wie im Supermarkt: Bestseller auf Wühltischen. Konsalik en gros: Literatur aus dem Reagenzglas. Nichts mehr von all dem Charme, den sie in den kleinen Läden Berliner Vororte während ihres Praktikums beim 'Wirt­schaftsforum‘ kennengelernt hatte. Aber dieses mehrgeschossige Monstrum einer Buch­handlung hatte natürlich, vor allem, wenn man die Systematik einmal begriffen hatte, un­schlagbare Vorteile: Zu finden war nahezu alles, was das Herz begehrt. Obwohl sie in­zwischen auch viel bei Amazon über das Internet bestellte, zog sie es letztlich doch vor, in der Buchhandlung herumzustöbern. Was ihr - und das musste sie sich trotz ihrer kriti­schen Einstellung eingestehen - besonders gefiel, war die Möglichkeit, sich auf eine be­queme Couch zu setzen und zu lesen. Immer wieder erstaunte sie die Ruhe, die hier herrschte, trotz der vielen Menschen, die wie ein Heer von Ameisen herumwuselten.

      Sie hatte keine bestimmte Vorstellung von dem, was sie lesen wollte. Nichts Schweres sollte es sein. Vielleicht ein Krimi? Würde ganz gut passen, bei dem, was ich in den nächsten Wochen vor mir habe, dachte sie, als sie nach einem Mankell griff, der sich in letzter Zeit offensichtlich wie warme Semmeln verkaufte. 'Die weiße Löwin‘ und 'Die fünf­te Frau‘ hatten ihr gut gefallen, 'Hunde von Riga‘ dagegen fand sie verwirrend und schwermütig. So legte sie den neuesten Mankell wieder zurück ins Regal und dachte an die kürzlich im ZDF gesehene Literatursendung von Elke Heidenreich. Aber es fiel ihr nicht ein einziger Titel der von ihr empfohlenen Bücher ein, obwohl sie sich während der Sendung zwei Titel notiert hatte. So wandte Verena sich den Büchern von Elke Heiden­reich selbst zu und kaufte schließlich - vielleicht gerade weil sie die 'Hunde von Riga‘ so düster in Erinnerung hatte - den Erzählband 'Rudernde Hunde‘. Da klang der Titel schon lustig und das Cover mit den beiden im Boot aufrecht sitzenden Hunden rundete noch den humorigen Eindruck ab. Bestärkt wurde sie in ihrer Wahl auch dadurch, dass ihr einfiel, kürzlich eine sehr positive Rezension über das Buch 'Mutter und Sohn‘ des Co-Autors Bernd Schroeder gelesen zu haben.

      Nachdem sie mit der Rolltreppe wieder ins Erdgeschoss gelangt war, verließ sie die Buchhandlung nach links in Richtung Schildergasse, kaufte bei Douglas noch schnell ei­nen Eyeliner und einen Lippenstift.

      Verena betrat das 'Eigel' bereits um zwanzig Minuten nach vier. Trotzdem war Kirsten schon da. Sie hatte sich wie üblich ganz nach hinten unter das Plexiglas-Dach gesetzt, wo es immer ein wenig heller war als im mittleren Teil des Cafés. Sie saß direkt unter ei­nem quadratischen Bild, auf dem ein mit schwarzen und gelben Öltupfern gestalteter Kreis zu sehen war, der nach außen immer stärker verblasste. Offensichtlich hatte man nach Verenas letztem Besuch vor etwa drei Wochen einen neuen Künstler ausgestellt, wie sie mit einem Blick auf die gleichartigen anderen Bilder feststellte.

      Kirsten hatte sich in ein Buch vertieft. Sie las mit Vorliebe Romane von Rosamunde Pil­cher. In puncto Literatur waren die beiden Freundinnen ebenso gegensätzlich wie in ihrem Äußeren. Kirsten war ein sehr fraulicher, romantischer Typ mit einer die Blicke der Männer anziehenden Figur. Ihr Gesicht wurde von einem sinnlichen, großen Mund do­miniert und von halblangem, schwarzem Lockenhaar gerahmt. Ihre dunkelbraunen Au­gen schauten immer ein wenig hilflos und verstärkten so ihre Wirkung auf die Männer­welt.

      Gelegentlich hatte Verena - sich ihres eigenen eher etwas burschikosen Typs bewusst - bedauert, nichts von Kirstens weiblichen Vorzügen zu haben. Aber dieser Anflug von Neid verflog dann immer schnell, wenn wieder einmal eine der vielen, meist nur wenige Wochen oder Monate andauernden Beziehungen Kirstens in die Brüche gegangen war. So wie zuletzt die Sache mit Karsten.

      Begonnen hatte die Geschichte, als seien die beiden wie für einander geschaffen. Nicht nur der Gleichklang der Namen war auffällig, auch die Seelenverwandtschaft. Zwei er­folgreiche Singles hatten sich gefunden. Sie langjährig in einem in Köln ansässigen gro­ßen Versicherungskonzern als Vorstandssekretärin tätig, er Flugkapitän bei einer deut­schen Fluggesellschaft. Nichts konnte sie trennen. Bis diese scheinbar unantastbare Liebe wie eine große schillernde Seifenblase zerplatzte.

      Karsten