Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738074062
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ge­pflegt. Als er zu­rück­kam, hat er uns er­zählt, dass er noch nie von die­sem klei­nen Dorf hier oben in den Ber­gen ge­hört hat­te und dass es si­cher­lich auch nicht so schnell von je­mand ge­fun­den wür­de. Wenn ich mich recht an sei­ne Orts­be­schrei­bung er­in­ne­re, dürf­te nicht weit von hier ein schma­ler Weg in die Ber­ge ab­zwei­gen, und et­was ver­steckt in ei­nem Sei­ten­tal ste­hen sechs oder sie­ben Hüt­ten.‹

      ›Sechs oder sie­ben Hüt­ten!? Liu Shi Meng, wo sol­len wir denn da mit all den Ver­letz­ten un­ter­kom­men? Die Leu­te hier in den Ber­gen ha­ben meist ge­ra­de mal ge­nug Platz für sich selbst, sie le­ben schon auf engs­tem Raum, da ist nie­mals Platz für uns alle.‹

      ›Ist schon rich­tig, aber wo willst du sonst hin. Selbst wenn nie­mand mehr hier­her kommt, auf die­ser Wie­se kön­nen wir die Ver­letz­ten nie­mals ge­sund pfle­gen.‹

      ›Da hast du schon recht‹, sag­te ich nach­denk­lich. ›Und selbst wenn wir in den Hüt­ten der Berg­bau­ern nicht un­ter­kom­men, könn­ten wir dort si­cher­lich bes­ser ein pro­vi­so­ri­sches La­ger ein­rich­ten als hier. Weißt du ge­nau, wo die­ses Dorf liegt?‹, frag­te ich Liu Shi Meng.

      ›Nein, nicht ge­nau. Doch ich wür­de mor­gen früh so zei­tig wie mög­lich auf­bre­chen und da­nach su­chen. Ihr müsst so­wie­so auf die an­de­ren war­ten, und erst dann kön­nen wir von hier ver­schwin­den. Bis das so weit ist, wer­de ich das Dorf si­cher ge­fun­den ha­ben.‹

      Da uns nichts Bes­se­res ein­fiel, ei­nig­ten wir uns auf Liu Shi Mengs Vor­schlag, und nach­dem wir noch ein­mal nach den Ver­wun­de­ten ge­se­hen hat­ten, gin­gen wir zur Ruhe.

      Die Nacht ver­lief ru­hig, und am Mor­gen küm­mer­ten wir uns als Ers­tes um die Ver­wun­de­ten. Der Zu­stand von zwei der Ver­letz­ten er­schi­en mir recht kri­tisch. Ich be­riet mich mit Wang Lee, und auch er war der Mei­nung, dass die bei­den schnells­tens Hil­fe be­nö­tig­ten.

      Ei­ner von ih­nen hat­te eine klaf­fen­de Wun­de am Hals und sehr viel Blut ver­lo­ren. Die Blu­tung hat­ten wir zwar stil­len kön­nen, doch er war durch den ho­hen Blut­ver­lust so schwach, dass wir um sein Le­ben bang­ten. Der an­de­re hat­te eine Bauch­wun­de, und um ihn sorg­ten wir uns ei­gent­lich noch mehr, da wir nicht wuss­ten, ob auch in­ne­re Or­ga­ne ver­letzt wa­ren. Wir hat­ten zwar in Er­man­ge­lung an­de­rer Hilfs­mit­tel die Wun­drän­der mit dem Ver­band fest zu­sam­men­ge­presst, doch wür­de das rei­chen? Kei­ner von uns hat­te Er­fah­rung in der Be­hand­lung sol­cher Ver­let­zun­gen.

      Der Dai­myo be­merk­te un­se­re Sor­ge und kam mit dem dol­met­schen­den Sa­mu­rai zu uns.

      ›Der Fürst Date Ma­sa­mu­ne möch­te wis­sen, wie es um die Ver­letz­ten steht.‹

      Ich stand auf und ant­wor­te­te, den Fürst da­bei an­schau­end:

      ›Den Ver­wun­de­ten geht es so weit gut, nur um die­se bei­den hier ma­chen wir uns Sor­gen. Wir sind kei­ne Hei­ler, und uns fehlt die Er­fah­rung in der Be­hand­lung sol­cher Wun­den. Doch die Hil­fe aus dem Klos­ter müss­te heu­te im Lau­fe des Ta­ges ein­tref­fen, und wir hof­fen, dass es dann noch nicht zu spät ist.‹

      Der Dai­myo sah auf die bei­den he­r­un­ter, nick­te, und der Sa­mu­rai über­setz­te uns dann sei­ne Wor­te:

      ›Date Ma­sa­mu­ne sagt: Es sind gute und star­ke Män­ner, sie wer­den so lan­ge durch­hal­ten wie nö­tig, und wenn es so weit ist, wer­den sie ge­hen, ohne zu kla­gen.‹

      Ich sah mir den Fürst ge­nau­er an, denn er ver­wirr­te mich im­mer wie­der. Auf der einen Sei­te wirk­te er be­sorgt und auf­merk­sam sei­nen Män­nern ge­gen­über, doch nach au­ßen schi­en er über die­sen Din­gen zu ste­hen. Es sah im­mer so aus, als dürf­te kei­ner se­hen, dass in die­sem har­ten Mann auch ein wei­cher Kern steck­te. Die­ser Ein­druck wur­de noch durch sein Äu­ße­res ver­stärkt, denn ihm fehl­te das rech­te Auge. Im Klos­ter hat­te er eine Au­gen­klap­pe ge­tra­gen, doch jetzt sah man die ver­wach­se­ne lee­re Au­gen­höh­le, wäh­rend das an­de­re Auge auf­merk­sam al­les um sich he­r­um im Blick be­hielt. Spä­ter er­fuhr ich, dass er das Auge durch eine schwe­re Er­kran­kung ver­lo­ren hat­te, aber er för­der­te auch an­de­re Ge­rüch­te. Die­se und sei­ne Aus­strah­lung tru­gen dazu bei, dass er den Spitz­na­men ein­äu­gi­ger Dra­che er­hal­ten hat­te.

      Wäh­rend­des­sen hat­te der Fürst wei­ter ge­spro­chen, und der Sa­mu­rai über­setz­te ge­wis­sen­haft sei­ne Wor­te:

      ›Date Ma­sa­mu­ne möch­te wis­sen, wie es wei­ter­ge­hen soll. Er fin­det den Platz hier nicht gut und möch­te so schnell wie mög­lich die­sen Ort ver­las­sen.‹

      Also hat­te nicht nur Liu Shi Meng ein schlech­tes Ge­fühl.

      ›Wir ha­ben uns auch schon dar­über un­ter­hal­ten, und Liu Shi Meng möch­te ger­ne ein Dorf su­chen, das hier ganz in der Nähe sein muss‹, ant­wor­te­te ich.

      Der Dai­myo nick­te und gab zu ver­ste­hen, dass er so schnell wie mög­lich wei­ter möch­te. Nach­dem ich ihm er­klärt hat­te, dass wir we­nigs­tens die Hil­fe vom Klos­ter ab­war­ten müss­ten und dass wir die Ver­letz­ten auch nicht sehr weit trans­por­tie­ren könn­ten, ging er miss­mu­tig da­von.

      Der Sa­mu­rai war bei uns ge­blie­ben, und nach­dem der Fürst au­ßer Hör­wei­te war, sag­te er:

      ›Sie müs­sen Date Ma­sa­mu­ne ver­ste­hen, er macht sich Sor­gen um un­se­re Si­cher­heit. Au­ßer­dem un­ter­nah­men wir die­sen Ab­ste­cher ins Klos­ter nicht im Auf­trag des Sho­gun. Wenn sei­ne Missi­on jetzt des­halb ge­fähr­det ist, könn­te das sei­ne Stel­lung sehr ne­ga­tiv be­ein­flus­sen. Er macht sich Vor­wür­fe, dass er die­se Rei­se an­ge­tre­ten hat, denn das ei­gent­li­che Ziel war schon er­reicht.‹

      ›Ich kann das ja ver­ste­hen, doch es ist nun ein­mal ge­sche­hen, und wir müs­sen se­hen, dass wir das Bes­te dar­aus ma­chen. Liu Shi Meng wird auf­bre­chen und nach dem Dorf su­chen. Ich möch­te aber mit Wang Lees Hil­fe ver­su­chen, die­sen bei­den Ver­letz­ten noch ein we­nig Kraft zu ge­ben, da­mit sie durch­hal­ten, bis die an­de­ren ein­tref­fen.‹

      Der Sa­mu­rai und auch Wang Lee, mit dem ich noch nicht dar­über ge­spro­chen hat­te, sa­hen mich er­staunt an.

      ›Was hast du vor? Du willst doch nicht etwa das­sel­be ver­su­chen wie da­mals Han Li­ang Tian bei Hu Kang?‹

      ›Doch, warum nicht? Schlim­mer kön­nen wir es nicht ma­chen, den­ke ich.‹

      ›Das weißt du nicht! Wir ha­ben es noch nie­mals ge­tan, und Han Li­ang Tian hat die­se Fä­hig­kei­ten nur im äu­ßers­ten Not­fall an­ge­wen­det.‹

      ›Ich weiß, aber ich habe Angst, dass die bei­den uns wegs­ter­ben, bis Hil­fe da ist.‹

      Der Sa­mu­rai war neu­gie­rig ge­wor­den und un­ter­brach uns.

      ›Darf ich er­fah­ren, was Sie vor­ha­ben und warum Sie nicht si­cher sind, ob Sie es an­wen­den dür­fen?‹

      Ich sah Wang Lee an, und die­ser zuck­te die Schul­tern mit ei­nem Blick, der sag­te: Nun sieh zu, wie du da wie­der raus­kommst, ich hab nicht da­von an­ge­fan­gen. Ich ent­schloss mich, dem Sa­mu­rai mei­ne Ab­sicht so gut wie mög­lich zu er­läu­tern.

      ›Es be­steht die Mög­lich­keit, an­de­ren Kraft zur Hei­lung zu ge­ben, doch es ge­hört ein sehr star­kes Chi dazu. Wir bei­de