Franz Kafka. Bernd Oei. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Oei
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753174839
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den Bau schließlich von außen, so dass sich die Funktion des Schutzes ins Gegenteil verkehrt. Es liegt nahe, das Geräusch als selbstverursachten Atem zu deuten, da es von überall herkommt und an keiner Stelle intensiver ist als an einer anderen. Zudem bietet der monologisieren-de Biber seinem imaginären Feind bereits den Kompromiss an, der sich leicht als Assimilation aufdrängt.

      In „Bericht an eine Akademie“ lehnt der Affe Rotpeters den „Ausweg“, der Freiheit ausdrücklich ab. Durch Assimilation und sogar Dressur überlebt das eingesperrte, äußerst intelligente Tier – den arttypischen Geruch hat es jedoch verloren und Affen ängstigen ihn mehr, als dass er sich mit ihnen verbrüdert.

      „Die Sängerin Josephine“ fordert neben der Bewunderung ihres Gesangs, der sich als gewöhnliches Mäusepfeifen heraus stellt, unbedingt Respekt für ihre Kunst. Sie fordert Unmögliches, denn was das hart arbeitende Mäusevolk an ihr schätzt, ist die Inszenierung, der Ritus, das vermeintliche Wunder. Jede Geschichte legt in Form eines Tieres eine charakteristische Ver-haltensweise des Judentums bloß (Politzer), doch wesentlicher ist die Entfremdung ihres eigentlichen Ziels.

      „Eine Kreuzung“ erzählt von einem Erbstück zwischen Lamm und Katze. Grözinger erkennt darin den assimilierten Westjuden wieder - laut Scholem ohnehin der Schlüssel zum Werkverständnis Kafkas. Dabei „vollzieht sich das göttliche Gericht am Menschen als die Strafe der Seelenwanderung, hebräisch Gilge. Zu ihr werden solche menschlichen Seelen verurteilt, deren Sünde nicht im Purgatorium tilgbar ist oder die ihre seelische Vollendung noch nicht erlangen konnten.“

      In der Kabbala weiß das Tier von seiner vormenschlichen Existenz analog Platons Seelenwanderungslehre im „Haiden“, den Kafka las. Unter anderem wird dort der sich wie ein Esel benehmende Mensch in nächster Erscheinung als Esel wieder geboren und weiß um seine Eseleien, da ein zentrales Moment der platonischen Ideenlehre die Wiedererkennung ist. Kafka kennt Platons Schrift und vergleicht sie mit dem Chassidismus, wie aus seinen Tagebuchnotizen hervorgeht. Unter anderem beschreibt „Der Advokat“ ein stufenweißes Sichtfortbilden der menschlichen Seele durch Wiedergeburt, die auch durch tierische Existenzformen führt. Ob Kafka daran glaubt bleibt ungewiss, der literarische Einfluss hingegen evident.

       „Der Jäger Gracchus“ (1917) stellt einen Sonderfall dar, bereits sein Name für einen Vogel (Dohle) und damit ein Selbstbild Kafkas(Rabe) steht. Betonung erfährt das Todesmotiv durch die Tauben; „die Tauben fliegen vor mir her“ – in der babylonischen Tradition sind sie Totenwächter – galten. Zentral ist die Schuldfrage an seinem Absturz bei der Jagd nach Glück („glücklich war ich“) durch eine verborgene Schuld. Eros und Tod werden durch die Kleidung konnotiert: „in das Totenhemd schlüpfte ich wie ein Mädchen ins Hochzeitskleid“.40 Das Motiv der Seelenwanderung und Verwandlung verkörpert ein Insekt: „Ich bin, antwortete der Jäger, immer auf der großen Treppe, die hinaufführt. Auf dieser unendlich weiten Freitreppe treibe ich mich herum, bald oben, bald unten, bald rechts, bald links, immer in Bewegung. Aus dem Jäger ist ein Schmetterling geworden.“

      Die Parabel folgt nicht der Tradition von Fabel oder Märchen, sondern im Zusammenhang mit jüdischer Liturgie, da Gesänge den Weg der Seele durch das Totenreich auf einem Kahn be-gleiten. „Niemals haben die Berge solchen Gesang“.

      Die vermeintliche Schuld des abgestürzten Jägers ist das Töten von Wild, das sich wie ein Gleichnis auf den Krieg, die Störung der natürlichen Ordnung, deuten lässt: „Alles ging der Ordnung nach.“ Laut dem Propheten Maimonides gelangt die Seele eines Frevlers in ein unterirdisches Purgatorium und in Abhängigkeit ihrer Sünden verbleibt die Seele dort oder durchwandert mehrere tierische Existenzformen, bis sie wieder im Menschen geboren wird. Hat sie stark gesündigt, wird sie in niederen Tierformen wie Insekten wiedergeboren. Die skurrile Parabel inkludiert diverse Paradoxa, darunter: „ich hatte gerne gelebt und war gern gestorben“.

      Ein Beispiel dafür, wie er die Bilder Goethes transformiert, liefert dessen Schlussvers aus Faust II „Alles Vergängliche / Ist nur ein Gleichnis / Das Unzulängliche / Hier wird's Ereignis“, das Kafka variiert: „Das einzig Bleibende ist das Vergängliche“. Der Gedanke der kontinuierlichen Diskontinuität entspricht Zenons Paradox von der ruhenden Bewegung: „Der fliegende Pfeil ruht.“ An einem Ort kann keine Bewegung sein; folglich ist Verwandlung selbst entweder Zeit oder Raum.

      Einfacher formuliert: „Verbringe nicht die Zeit mit der Suche nach einem Problem, vielleicht ist gar keines da.“41

      Es gibt keine Entwicklung, aber vorhersehbare misslungene Geschäftswege; keinen Ausweg, nur Sisyphos-Arbeit; „man muß die Last weiter tragen.“

      1 II. Tagebücher

      1 II. 1. Selbstinterpretation

      Kafka schreibt an Ernst Rowohlt, August 1912, dass selbst bei größter Übung und Sorgfalt, das Schlechte an seinem Schreiben nicht unmittelbar auffällt, aber nur auf dem ersten Blick sich der Kritik entziehe. Zweifellos hat er von den wenigsten seiner Versuche etwas gehalten. „Die verbreitetste Individualität der Schriftsteller besteht ja darin, daß jeder auf ganz besonderer Weise sein Schlechtes verdeckt.“42

      Da Kafka auch festhält, dass sein Verlangen nach tieferem Schlaf einem metaphysischen Todesbedürfnis entspricht, sind seine Geschichten immer auch vom Aspekt der Erlösung des Eros vom Thanatos her zu betrachten. Sätze wie: „Bin ich als große Masse in meinen schmalen Wegen endgültig festgerannt?“ künden von seiner panischen Furcht vor der Antriebslosigkeit: „schreckliche Ruhe stört nur die Erfindungskraft … Ich werde schwer aufzuschütteln sein und bin doch unruhig.“ Andererseits leidet der Autor unter Geräuschen.

      Es überrascht daher wenig, dass Kafkas Geschichten immer Verwandlungen sind, sie stürzen von einem Bild ins nächste, lassen kaum Spielraum für eine klare intellektuelle Positionierung. Die Metaphern bewegen sich, um mit Rilkes erster Elegie zu sprechen wie „Dinge, seltsam sie lose zu sehen, so flatternd im Raum.“ Mögen sich beide Schriftsteller stilistisch auch noch so widersprechen, so umkreisen sie doch beide das Phänomen der Ordnung des Seins ebenso wie das der gewohnten Sprache, die mehr verdeckt als sie enthüllt.

      Kafka will keine Eindeutigkeit, er verwahrt sich gegen eine Auslegung, zumindest in der Prosa, gegen ein endgültiges Urteil. Sein Zögern ist charakteristisch für die eigene Existenz. Am 25. September 1912 gibt er an, vom Schreiben sich mit Gewalt zurückgehalten und sich ununterbrochen im Bett gewälzt zu haben. Es erscheint daher keineswegs zufällig, dass er seine erste Eigeninterpretation in direktem Zusammenhang mit „Das Urteil“ vornimmt. „Nichts kann geschrieben werden, nur in einem solchen Zusammenhang, mit solcher vollständigen Öffnung des Leibes und der Seele.“43

      Er gesteht sich Gedanken an Freud ein hinsichtlich des männlichen Ödipuskomplexes. Er sagt, dass er sich vom Schreiben mit Gewalt zurückhalte, aus Angst, das könne eintreffen, was er zu Papier bringe. Schließlich habe bald nach „Das Urteil“ ein guter Freund tatsächlich sich in der Fremde verlobt und der Vater kurz vor einem geschäftlichen Ruin (Entlassung zahlreicher Angestellter) gestanden. Vier Monate später überarbeitet er die Erzählung und interpretiert sie, nachdem er sie vorgelesen und die Reaktionen der Freunde und der Geschwister erhalten hat. „Die Geschichte ist wie eine regelrechte Geburt mit Schmutz und Schleim bedeckt aus mir herausgekommen …“

      Kafka beschreibt die haptische Lust der Zeugung durch das Schreiben mit einer Hand, die zum Körper dringt und das genuine Gefühl, „den Vater in sich“ zu haben. In seiner internen Logik handelt es sich um Penetration, um das Eindringen von Fremden ins Eigene und um den Versuch, das Eigene dem Fremden zu injizieren, folglich, mit sich ins Reine zu gelangen.

      Drei Punkte erwähnt Kafka: die Freundschaft als das wichtigste Bindeglied zum Vater, das sich umkehrende Machtverhältnis durch den fehlenden „Blutkreis“ - der Sohn ist substanziell für sich allein - und die an Goethes Wahlverwandtschaft erinnernde Verbindung der männlichen Charaktere. „Georg hat soviel Buchstaben wie Franz. Im Bendemann ist „mann“ vorweggenommen eine Verstärkung von Bende. Bende aber hat ebenso viele Buchstaben wie Kafka und der Vokal e wiederholt sich an den gleichen Stellen wie der Vokal in Kafka.“

      Die Geschichte wäre ohne Bekanntschaft