Franz Kafka. Bernd Oei. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Oei
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753174839
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Anfangsbuchstaben wie Bauer und durch das Wort Feld auch in der Bedeutung…“

      Die beiden Einträge verdeutlichen Kafkas Vorliebe für Zahlen- und Buchstabenmagie und sein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater als auch zu seiner Braut, die den biografischen Hintergrund für seine Selbst-Verurteilung zum Tode implizieren. In die Zeit der ersten Trennung von Felice fällt auch die Arbeit an „Der Prozess“ und „Der Verschollene“, einem Romanfragment, das Brod posthum unter dem Titel „Amerika“ veröffentlicht. Darin wird der sechzehnjährige Karl von einem reifen Mädchen verführt und sanktioniert. Der Autor reflektiert den Bezug: „Roßmann und K, der Schuldlose und der Schuldige, schließlich beide unterschiedslos strafweise umgebracht, der Schuldlose mit leichterer Hand, mehr zur Seite geschoben als niedergeschlagen.“44

      Auch Denken ist ein Prozess des Durchringens und gerade der Prozess der Vergegenwärtigung einer Schuld geht mit physischer Folter einher. Ein drittes Beispiel für eine Selbstanalyse liefert „In der Strafkolonie“. Dieser Erzählung geht ein Traum vom 4. Mai 1913 voraus. „Immerfort die Vorstellung eines brei-ten Selchermessers das eiligst und mit mechanischer Regelmäßigkeit von der Seite her in mich hineinfährt und ganz dünner Querschnitte losschneidet, die bei der schnellen Arbeit fast ein-gerollt davonfliegen.“

      Repräsentativ sind exakte Beschreibung und Mordfantasie. Neben Gewalt- und Hinrichtungsvisionen, der Reflexion über den richtigen Schneidewinkel oder Haltegriff des Messers, tritt Kafkas Faszination an determinierten Abläufen in den Vordergrund: „Dieser Flaschenzug im Inneren. Ein Häkchen rückt vorwärts, irgendwo im Verborgenen, man weiß es kaum im ersten Augenblick, und schon ist der ganze Apparat in Bewegung. Einer unfaßbaren Macht unterworfen, so wie die Uhr der Zeit unterworfen scheint, knackt es hier und dort und alle Ketteln rasseln eine nach der anderen ihr vorgeschriebenes Stück herab.“

      Hervorzuheben ist das Verb „scheint“ in Relation zur Substantivierung „im Verborgenen“, die in der Verallgemeinerung „man weiß kaum“ mündet und die an Seinsvergessenheit heranreicht. Solche Ausdrücke des Vagen verdeutlichen, dass Kafka nicht restlos davon überzeugt ist, dass dieses Naturgesetz so sein muss oder das mechanische Räderwerk apodiktisch seinen Zweck erfüllt. Vielmehr richtet er das Ganze auf die innere Befindlichkeit und Glaubwürdigkeit.

      Auch Denken ist ein Prozess des Durchringens und gerade der Prozess der Vergegenwärtigung einer Schuld geht mit physischer Folter einher. Ein drittes Beispiel für eine Selbstanalyse liefert „In der Strafkolonie“. Dieser Erzählung geht ein Traum vom 4. Mai 1913 voraus. „Immerfort die Vorstellung eines brei-ten Selchermessers das eiligst und mit mechanischer Regel-mäßigkeit von der Seite her in mich hineinfährt und ganz dünner Quer-schnitte losschneidet, die bei der schnellen Arbeit fast ein-gerollt davonfliegen.“

      1 II. 1. 2. Schreiben als physischer Prozess und Reinigung

      „Womit entschuldige ich, daß ich heute noch nichts geschrieben habe?“ Dieser typische Kafka-Satz stammt vom 20.12. 1910. Er steht vor einem unsichtbaren Gericht, den Prozess macht er sich selbst. Das Schreiben ist eine unendliche Geburt. Es ist ein Schrei, dem ein Echo folgen müsste, eine Notgeburt. „Ich kann nicht mehr weiterschreiben“45 Der Mensch wiederholt sich, weil er muss und nicht weil er kann. Dies gilt umso mehr vom Zwang.

      Schreiben gleicht einer Penetration, Eindringen, Vordrängen, Vorwärtsdrängen, Kampf. Unbestimmter Zwang, ja Verpflichtung zur Selbsterziehung. Unmöglichkeit, zu schlafen, jeden-falls nicht regelmäßig. „Meine Nerven erlauben es nicht, nach 1 Uhr schlafen zu gehen, denn dann schlafe ich überhaupt nicht mehr ein, der nächste Tag ist unerträglich und ich zerstöre mich …Eindringen kann ich scheinbar in die Welt nicht, aber ruhig liegen, empfangen.“

      Kafka beobachtet sich selbst, argwöhnisch, stets schuldbewusst. Jeder Tag ist vergeudet, wenn er nicht schreiben kann. Schreiben kann er nur nachts, aber dann fehlt ihm der Schlaf und er kann nicht gut arbeiten am nächsten Tag. Alles scheint in Nebelwolken umhüllt, nur in der Ruhe liegt Selbstzufriedenheit und wann vermag Kafka zu ruhen? Jedes Gespräch empfindet er als Zuspitzung, Festigung und dauerhaften Zusammenhang mit einem nur ihm bekannten Gesetz, als dessen Angeklagter er sich empfindet. Er schreibt, um zu überleben. Eine physische Qual für seinen schwachen, lungenkranken Körper. Kopfschmerzen überfallen ihn ebenso häufig wie Fieber. „Die alte Unfähigkeit“ nennt er seine Gebrechen.

      Ohne Schreiben vermag er nicht zu existieren - es bietet seine Existenzgrundlage, um nicht in Nutzlosigkeit zu enden, wie er sagt. Unaufhörlicher Zweifel; kaum ein Wort taucht häufiger in seinen Tagebüchern auf. „Ich will mich quälen, will meinen Zustand immerfort verändern, glaube zu ahnen, daß in der Veränderung meine Rettung liegt.“46

      Eine Rettung, die kaum eine seiner literarischen Figuren erlangt. Eine Rettung, die keine Lösung, sondern lösen impliziert.

      Fragen und Warten auf Antwort ist sinnlos, selbst das Urteil bisweilen. Einzig der Prozess ist interessant. Die Selbstaussage lässt sich vor allem auf das Schreiben beziehen, denn weder auf Anfang noch Ende kommt es an, sondern nur auf das „da-zwischen“. Genauso versteht Kafka den Traum: im Halb-wachen vermag er am besten zu denken, was in ihm verborgen ist. Schlaf und Fiktion sind nicht. Schlechter Schlaf bedeutet Traumlosigkeit, im Traum selbst aber vermag er sich nicht zu erinnern, zu deuten, zu fühlen. Er führt eine Reihe von Grün-den an, weshalb Napoleon scheitern muss, da-runter auch den Mangel an rechter Traumdeutung und an den Dolmetschern. Schreiben ist primär ein physischer Akt, wie Kafka mehrfach be-tont: „Ich schreibe bestimmt aus Verzweiflung über meinen Körper und über diese Zukunft mit diesem Körper.“47

      Joseph Roth schreibt, Kunst und Alkohol sind zwei Formen, sich das Leben zu nehmen. Verzweiflung spielt eine große Rolle für das Schreiben Kafkas, da es mit seiner beruflichen Existenz einerseits unvereinbar bleibt, andererseits aber ihm die ökonomische Sicherheit die künstlerische Freiheit sichert. Kafka wird nur durch Schmerz und Enttäuschung inspiriert zu schreiben; ein glücklicher Kafka ist als Autor undenkbar. Eine typische Notiz ist: „Vom Strich angefangen mit Verzweiflung geschrieben … ich zur Vollendung des Unglücks so schlecht schreibe …weil ich so wenig Zeit habe, fast ganz unter Maxens Einfluß stehe …“

      Neben Schmerz sind Scham und Verlegenheit Dauergäste in Kafkas Seelenleben. Offensichtlich leidet er an Minderwertigkeit und Schuldgefühlen. Dies gesteht er in seiner Selbstanalyse-se, zu dessen Zweck er das Tagebuch angelegt hat. Seine chronologisch nach Traumerfahrung geschriebene Prosa wird immer wieder durch körperliche oder seelische Leiden unterbrochen, gegen die er nur umso verzweifelter und schuldbewusster an-schreibt: „Heute Nachmittag kam der Schmerz über meine Verlassenheit so durchdringend und straff in mich, daß ich merkte, auf diese Weise verbrauche sich die Kraft, die ich durch dieses Schreiben gewinne und die ich zu diesem Ziel wahrhaftig nicht bestimmt habe.“48

      Kafka schreibt nicht, vom Anfang (der Wurzel) aus, sondern „irgendwo gegen ihre Mitte“. Ihn hat die Erziehung (der Vater) geschadet, aber auch zum Schreiben gezwungen. Vieles ist folglich ambivalent und läuft auf ein Scheitern hinaus. Kafka thematisiert Literatur als ein Vergessen - Wollen, obgleich es dazu eines Erinnerns bedarf. Er ist überzeugt davon, nur im Schreiben anderen nützen zu können und gleichzeitig, dass er für seine Gabe leiden müsse und betrachtet die Büroarbeit als heilige Opfer, den-noch zögert er, sich als freier Schriftsteller von seiner bürgerlichen Existenzgrundlage zu lösen. „Doch dem Literaten vermag ich mich aus den verschiedenen Gründen nicht so hinzugeben und auszuliefern, wie es sein müsste. Meine Familie, meine Arbeit und zuletzt auch mein Charakter und die eingeschränkte Gesundheit hindern mich daran.“

      An Pascals „Gedanken“ und den Jansenismus erinnert das Doppelleben des Prager Schriftstellers: Die äußere Pflicht ist der Beruf und das Familienleben, die innere das Schreiben und die Einsamkeit. Kafka schreibt sich seine Schuld stellvertretend „In der Strafkolonie“ in die Haut. Der Literat ist immer schuldig: entweder am vergessen oder am Aussprechen dessen, was er sagen will. Kafka vergleicht sein Schreiben mit zwei Maulwurfshügeln, vor denen er sitzt. Jeder Gedanke, wenn er zu Papier gebracht wird, gleicht einer Entscheidung für einen Ausweg. Der Maulwurf ist das Unter-irdische, aus dem das kreative Schreiben aufsteigt. Es gibt aber nur ein Loch, aus dem gute Ideen aufsteigen. „Das Gefühl