„Das ist Ihr Wagen?“, maulte Grünberger, der schon immer sehr viel Wert auf prestigeträchtige Autos gelegt hatte. Der dunkelblaue Spießerwagen, der rund herum verschrammt war und mehr zu einem Rentnerehepaar passen würde, war eine Beleidigung für ihn.
„Stellen Sie sich nicht so an und steigen Sie ein!“, schrie Karl Braun, dem Autos an sich völlig gleichgültig waren. Sie mussten praktisch sein und vor allem funktionieren, mehr verlangte er nicht.
Nur widerwillig stieg Grünberger ein. Er bemerkte den Dreck und die Brösel im Fußraum das Wagens, was ihn anwiderte. Zwei Gesichtsmasken hingen am Rückspiegel, die dort nichts zu suchen hatten. Er schnallte sich an und besah sich dann die Rückbank, auf der eine Reisetasche auf einer dunkelbraunen Decke lag. Zu allem Übel sah er einen Wackeldackel auf der Hutablage, die er nur vom Hörensagen kannte, da sie aus den Achtzigern stammten. Für diesen Scheiß war er zum Glück noch zu jung, er war erst achtunddreißig. Wie alt war Braun eigentlich? Er sah ihn abschätzend an und versuchte, sich die Akte vor Augen zu führen, konnte sich aber nicht an das Geburtsjahr erinnern. Das war nicht weiter verwunderlich, denn er hatte den Mann nicht ausgesucht, er war nur der erste Ansprechpartner, mehr nicht. War Braun vierzig oder fünfzig? Nein, er musste über fünfzig sein. War er für die Aufgabe nicht schon zu alt? Grünberger wischte die Gedanken beiseite, denn das war alles nichts, was zu seinem Job gehörte, das unterlag einzig und allein Valentin Schober!
Braun parkte aus, das konnte Sonja Wagner deutlich sehen. Sie war zu langsam und würde es nicht rechtzeitig schaffen, das Fahrzeug zu erreichen. Und wenn ihr das gelänge – was würde sie dann tun? Die Männer einfach ansprechen und nach dem Grund des Besuches auf dem Friedhof fragen? Nie im Leben! Ihr Mut schwand, aber noch wollte sie nicht aufgeben. Sie suchte nach ihrem Smartphone in ihrer alten Handtasche und fand es schließlich. Mit zitternden Händen suchte sie nach der Fotofunktion. Während sie auf ihrem Smartphone wischte, entfernte sich das Fahrzeug immer mehr. Endlich fand sie, wonach sie gesucht hatte, und drückte mehrfach auf den Auslöser. Nur wenige Augenblicke später fuhr der Wagen direkt an ihr vorbei. Sie sah die weit aufgerissenen Augen des Beifahrers und ahnte, dass sie zu weit gegangen war.
„Was macht die Alte da?“, rief Grünberger.
„Keine Ahnung. Hat die uns fotografiert?“
„Das sah ganz danach aus. Aber warum sollte sie das tun?“
„Hast du die Blumen nicht gesehen? Das war die Alte vom Friedhof!“
„Ich verbitte mir, dass Sie mich duzen, verstanden?“, schrie Grünberger, der völlig aufgewühlt war. In welchen Mist hatte er sich da hineinziehen lassen?
„Schon gut, regen Sie sich nicht gleich auf. Was machen wir mit der Alten?“
Grünberger sah Braun an.
„Natürlich nichts! Was sollten wir denn tun?“
„Es wäre keine schlechte Idee, umzudrehen und ihr das Smartphone wegzunehmen.“ Braun fuhr an den Straßenrand und sah Grünberger fragend an.
„Sind Sie verrückt geworden? Nein, so etwas mache ich nicht!“
„Und wenn sie uns verrät?“
„Jetzt bleiben Sie mal auf dem Teppich. Was haben wir denn getan? Wir waren auf einem Friedhof – mehr nicht!“
„Und wenn durch sie die ganze Sache auffliegt?“
„Schwachsinn! Wir warten, bis entschieden ist, was mit Ihnen passiert. Vermutlich wird nichts geändert und alles läuft weiter wie bisher.“
Braun nickte und fuhr weiter.
Sonja Wagner war völlig aufgewühlt, als sie nach den Polizisten suchte. Deren Auto stand immer noch am Friedhof, also konnten sie nicht weit weg sein. Sonja fand sie vor einem Grabstein stehend.
„Die Männer sind weg, das waren sicher nur Angehörige“, empfing sie einer der Polizisten.
„Das glaube ich nicht. Ich komme mehrmals in der Woche hierher, diese Männer sind mir nicht bekannt. Außerdem haben sie sich merkwürdig benommen. Die sind getürmt, ich konnte sie aber noch fotografieren.“ Sie reichte den Polizisten freudestrahlend und nicht ohne Stolz ihr Smartphone. Jetzt erst registrierte Sonja die Namen der Polizisten, die auf deren Uniformen angebracht waren: Sautter und Ochsenberg. Sie waren beide etwa gleich alt, Sonja schätzte rund um die vierzig. Während der eine groß, hager und sportlich war, war Ochsenberg klein und untersetzt.
„Und?“, drängelte sie, nachdem sich die Polizisten wieder und wieder die Fotos angesehen haben. „Können Sie etwas damit anfangen?“
„Sie wissen, dass das nicht erlaubt ist, gute Frau?“, sah Ochsenberg sie streng an. „Sie können nicht einfach unbescholtene Bürger fotografieren! Machen Sie das nie wieder!“ Der Polizist lächelte und drohte dabei mit dem Finger – wie bei einem Kleinkind. So etwas mochte Sonja Wagner überhaupt nicht.
„Was sind Sie denn für eine Pfeife? Während Sie hier mit Ihrem Kollegen untätig herumstanden, habe ich die Verfolgung der Verdächtigen übernommen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, sie aufzuhalten, was Sie nicht getan haben. Jetzt, da Sie Fotos in Händen halten, ist es an Ihnen, herauszufinden, wer die beiden sind und was sie im Schilde führen. Statt mir dankbar zu sein, bin ich jetzt die Verbrecherin? Sie sind doch nicht ganz dicht!“ Sonja Wagner war außer sich. Was fiel diesem ungehobelten Kerl ein?
„Atmen Sie tief durch und überlegen Sie sich Ihre Worte! Das kann ganz schnell in eine Beamtenbeleidigung ausarten und das wollen wir doch nicht, gute Frau, oder doch?“
„Hören Sie auf, mich wie ein dummes Kind zu behandeln! Mein Name ist Sonja Wagner – ich bestehe darauf, dass Sie mich beim Namen nennen! Das ist doch hoffentlich nicht zu viel verlangt, oder? Nehmen Sie die Fotos von meinem Telefon runter und suchen Sie nach diesen Männern!“
„Dafür gibt es keinen Grund, Frau Wagner. Sie werden die Fotos löschen, verstanden?“ Ochsenberg reichte ihr das Smartphone und nickte seinem Kollegen zu. Es war an der Zeit, endlich wieder zu gehen. Wieder ein Einsatz, der keiner war und nur viel Zeit gekostet hatte.
Sonja sah den beiden wütend hinterher. Am liebsten hätte sie ihrem Ärger Luft gemacht, aber das wagte sie nicht, vor allem nicht an diesem Ort der Ruhe und Stille. Sie suchte das Grab ihres Ahnen auf und gab die Blumen in die Vase.
„Bei dir hätte es diese Schlamperei sicher nicht gegeben“, murmelte sie und säuberte das Grab vom Laub, das der Sturm der letzten Tage hergeweht hatte. Noch auf dem Heimweg ärgerte sie sich über die Polizisten, die sie nicht ernst genommen hatten. Zuhause angekommen freute sie sich jedoch über ihren Mut, über den sie sich immer noch wunderte. Sie goss sich ein Glas des selbstgemachten Eierlikörs ein, setzte sich in den Ohrensessel und trank genüsslich. Dann besah sie sich die Fotos, die sie heute gemacht hatte. Ob sie sie löschen sollte? Vielleicht hatte der dicke Polizist recht damit, dass es sich bei den Männern nicht um Verbrecher handelte. Wie kam sie nur auf die Idee? Sie warf einen Blick auf ihre reich bestückte Bücherwand und lächelte. Ja, sie las zu viele Krimis. Sie drückte auf die Löschtaste. Als sie das Löschen bestätigen sollte, zögerte sie.
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