Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561884
Скачать книгу
werde es mir ansehen, aber vorher würde ich gern mit einigen ihrer Kollegen sprechen. Wenn Sie das vielleicht organisieren könnten?“

      „Ja, natürlich. Ansonsten hätte ich Ihnen noch den Rest des Hauses gezeigt.“ Unschlüssig nickte Schaffroth zur Tür, die von der Seitenbühne zum Treppenhaus führte. Das Ruhe-Schild war für die Proben nicht beleuchtet.

      „Ja, gern. Ach, da fällt mir ein: Als Solistin hatte sie doch sicher auch eine eigene Garderobe?“ Franziska überlegte, ob sie dort vielleicht auch private Gegenstände verwahrte, ein Handy oder vielleicht ein Adressbuch?

      „Ich glaube, Sie machen sich da falsche Vorstellungen.“ Der Verwaltungsdirektor stieg bereits die Steintreppe, die in den oberen Stock führte, hinauf. „Wir sind ein kleines Opernhaus, wie ich vorhin schon ausführte. Wir können günstiger arbeiten, müssen aber eben auch sparen. Bei uns gibt es nur je eine Sammelumkleide für Männer und Frauen und natürlich für den Chor und das Orchester. Aber Sie können sich gern alles anschauen.“ Auffordernd zeigte er mit dem rechten Arm in einen schlicht eingerichteten Raum. Ein Tisch mit großem Spiegel darüber und einem Stuhl davor. Alles in hellem Kiefernholz gehalten, wie in einem Klassenzimmer. Nur die Fotos, die an manchen Spiegeln im Rahmen steckten, wiesen auf die Individualität ihrer Besitzer hin.

      „Hier ist der Platz von Sophia Weberknecht.“ Schaffroth wollte schon weitergehen, doch Franziska hielt ihn zurück.

      „Hatte sie keinen Schrank oder so?“

      „Nein, nur diesen Platz. Alles was die Künstler brauchen, haben sie dabei und die Kostüme werden im Fundus in großen Holzkisten aufbewahrt, schließlich müssen sie ja jederzeit auf Reisen gehen können.“ Der Verwaltungsdirektor hatte inzwischen viel von seiner Selbstsicherheit eingebüßt, vielleicht fehlten ihm auch seine Zigaretten. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn und immer wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Fast tat er Franziska Leid, als sie die Treppe nach unten ansteuerten und sie fragte: „Welches Stück proben Sie eigentlich?“

      „Rigoletto! Das ist die Oper von Giuseppe Verdi schlechthin. Mit ihr hat er seinen Weltruhm begründet. Eine wunderbare Oper, ein faszinierendes musikalisches Drama. Absurdes Theater. Einfach herrlich!“ Auf Schaffroths Gesicht breitete sich eine begeisterte Röte aus.

      „Und um was geht‘s?“

      Schaffroth hatte die Treppe erreicht und erzählte, während er langsam hinunterging. „Um einen missgestalteten Opernhelden, der einen Sack hinter sich her schleift, in dem sich, ohne dass er es ahnt, seine sterbende Tochter befindet. Es ist eine typische Dreiecksgeschichte, die den Gesetzen der italienischen Nummernoper entspricht. Ein Tenor liebt einen Sopran, solange bis ein Bariton etwas dagegen hat.“

      „Und Frau Weberknecht sang den Sopran?“

      „Ja, die Gilda. Ihr Vater, Rigoletto, ist der bucklige Hofnarr des Herzogs von Mantua – ein notorischer Frauenheld, der gehörnte Ehemänner und entsetzte Väter mit beißendem Spott überzieht. Er treibt es so schlimm, dass selbst die Höflinge genug von ihm haben und beschließen, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Da kommt ihnen Gilda, die Tochter Rigolettos, die sich der Herzog als neueste Eroberung ausgesucht hat, gerade recht. Rigoletto, der für seinen Herrn eigentlich die Gräfin Ceprano entführen wollte, beteiligt sich unwissentlich an der Entführung der eigenen Tochter. Als er erfährt, dass sie sich in den Herzog verliebt hat, will er sie in Männerkleidung fortschicken und den Herzog von einem Meuchelmörder umbringen lassen. Rigoletto behandelt Gilda, die längst zu einer lebenshungrigen Frau geworden ist, wie ein Kleinkind. Als sie erfährt, dass der Geliebte getötet werden soll, opfert sie sich für ihn, wird tödlich verletzt und landet in dem Sack, den Rigoletto übergeben bekommt. Erst als er die Stimme des Herzogs hört, öffnet er den Sack und entdeckt Gilda darin. Am Ende stirbt seine Tochter in seinen Armen.“

      „Das ist ja furchtbar!“

      „Das ist die Oper! Übrigens bin ich mir sicher, dass Sie den einen oder anderen Opernhit des Herzogs von Mantua ohnehin kennen.“ Gleich darauf erhob Schaffroth seine Stimme und sang: „La donna è mobile qual piuma al vento, muta d‘accento e di pensiero. Sempre un amabile, leggiadro viso, in pianto o in riso, è menzognero.“

      „Aus der Pizzawerbung?“, fragte Franziska fasziniert.

      „Aus dem Rigoletto!“, antwortete Schaffroth voller Stolz.

      „Ja, sehr schön“, mischte sich Hannes ein wenig unwirsch in die Darbietung ein. „Und wer hat jetzt alles mit Frau Weberknecht zusammengearbeitet?“

      „Einen Moment, bitte.“ Der Verwaltungsdirektor räusperte sich, ging zu einem Pult neben dem schwarzen Vorhang, der die Hauptbühne abgrenzte, und drückte einige Knöpfe, bevor er in ein Mikrofon sprach: „Bitte das gesamte Ensemble zu einer Besprechung auf die Bühne.“

      Kurz darauf öffnete sich die Tür zur Hinterbühne und etliche Männer und Frauen strömten herein, um sich zwischen den Kulissen niederzulassen. Als Schaffroth den erstaunten Blick der Oberkommissarin sah, erklärte er. „Über das Inspizientenpult werden während der Aufführung Sänger, Chor, Techniker und Kulissen eingerufen. In jedem Raum hängen extra Lautsprecher.“

      „Hey, ich bin Carlos.“ Der kräftige junge Mann, der erst jetzt hinzukam, nickte den Kommissaren zu und gesellte sich zu den anderen.

      „Carlos singt den Herzog von Mantua“, flüsterte Schaffroth den beiden zu.

      „Tenor?“, wollte Hannes wissen.

      „Respekt, Herr Kommissar, Sie kennen sich aus!“

      „Ich bin Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau und das ist mein Kollege Johannes Hollermann“, stellte Franziska sie dem Ensemble vor. „Wir ermitteln im Todesfall Sophia Weberknecht und möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“

      „Sie ermitteln bei uns? Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass einer von uns Sophia etwas angetan hat?“

      „Wir sind Sänger, wir inszenieren einen Mord auf der Bühne, aber doch nicht in echt!“

      „Wie ist sie denn eigentlich gestorben?“, fragte schließlich eine der Frauen, die sie schon zu Beginn auf der Bühne gesehen hatten, mit dunkler Stimme. Sie hatte eine sehr weibliche Figur mit üppigen Rundungen, wie Hannes entzückt feststellte.

      „Das ist Katharina Eschenbacher, sie singt die Maddalena. Mezzosopran“, flüsterte Schaffroth erneut.

      „Sie wurde in ihrer Wohnung erschlagen“, antwortete Franziska ungeachtet seiner Eingaben. Ein Raunen ging durch den Raum und es dauerte, bis sich alle wieder beruhigt hatten.

      „Wir müssen davon ausgehen, dass sie ihren Mörder kannte.“ Wieder stieg der Geräuschpegel beachtlich. Die Akustik war wirklich sehr gut.

      „Wer von Ihnen hat sie denn näher gekannt? Wer kann mir etwas über ihr Leben erzählen, über ihren Umgang, ihre Freunde? Was hat sie gemacht, wenn sie nicht auf der Bühne stand?

      „Geprobt vermutlich“, spekulierte Carlos laut und quittierte seine Aussage mit einem schelmischen Lächeln. Franziska warf schnell einen Blick zu Schaffroth, aber der schien gar nichts sagen zu wollen.

      „Nein, wirklich, sie hat ständig geprobt und an sich gearbeitet. Hatte für nichts und niemand Zeit. Wenn überhaupt, dann kannte Sweta sie näher, die hat sie mal nach Krumau eingeladen.“ Es war erneut Carlos, der sich zu einer Aussage hinreißen ließ und dabei ein paar Schritte auf Franziska zuging. „Aber sonst wüsste ich niemanden. Ich bin mir gar nicht sicher, ob Sophia überhaupt Freunde hatte oder brauchte. Ich glaube, die war sich selbst genug.“ Franziska musterte den Sänger: Seine Stimme war wirklich schön und zudem hatte er ein weiches, freundliches Gesicht. So unschuldig, wie es sich für einen Verführer auf der Bühne eben gehörte. Er mochte Ende zwanzig sein. Ob das jetzt auch eine Rolle war, die er ihr vorspielte?

      „Was ist denn mit Walter?“, fragte eine zierliche junge Frau in Jogginghosen und knappem T-Shirt, woraufhin sich Carlos erstaunlich schnell zu ihr umdrehte.

      „Walter? Bist du verrückt! Der wollte sie doch auch